Alois Gerlach

Holunger Kindheit um 1935

Kindheit vor so vielen Jahren
-ach, wie lang die Tage waren,
die uns heut so kurz erscheinen-
barg des Herzens Glück und Weinen.

Holungen und Kindertage,
Lust und Mühen, Traum und Plage:
Sonne, wildes Spiel und Raufen,
Fische fangen, barfuß laufen
und als halbe Wasserleiche
schwimmen in dem großen Teiche,

Baum und Felsen kletternd fassen
oder Drachen steigen lassen,
am Kartoffelfeuer rauchen
und durch dunkle Wälder krauchen,
Zelte bauen, Fahrrad fahren ,
und was sonst so Freuden waren.

Meiner Kindheit ganzer Jammer
kreist um´s Feld, auf Hohenkammer,
auf dem Koppe, Obernfeld
ward Agrarkomplex bestellt.

Ohmberg, Wehnderhütte, Weide
waren schließlich Vaters Freude:
Weil der Weg so lang verrann,
sah er dies als Urlaub an.

Unsere Liese im Gespann,
auf dem Kutschbock obenan,
pfiff er auf der langen Reise.
Ja, im Wald und auf der Heide,
da empfand er seine Freude.

Dieses und auch Himbeerpflücken
-Angst vorm Förster stets im Rücken-
waren Vaters froh Entzücken,
während seine lieben Kinder
Beeren stopften in die Münder.
Und die schauten gar nicht hin,
ob auch mal ein Würmchen drin.

Feldarbeit gab´s immerzu.
Hatte man nur eine Kuh,
blieb nur Ochsendienst als Los.
Geld dafür gab´s Neujahr bloß:
Fünfzig Pfennig für den Tag,
mit Verpflegung wenn man mag,
fünf Mark für ´ne Fuhre Mist,
wie´s nun mal so üblich ist.

Damals war es nicht wie heuer,
Bauernmägde waren teuer.
Doch, wenn ich jetzt rückwärts seh,
war´s nur für die LPG.


aus der Schule heimgekehrt,
fand man Haus und Hof verwehrt.
Auf dem Balken lag der Schlüssel.
Suchte man die Essenschüssel,
fand man auf dem Küchentisch
einen eng beschrieben Wisch:
“ Essen in den Herd gestellt,
komm sofort ins Obernfeld
und beschleunige den Schritt,
bringe auch die Gänse mit.“

Und dann ging es zum Bestellen,
Liese hüten an den Quellen
oder auch zum Disteln stechen,
Klee und Heu und Grummet rechen,
Mist zerstreuen, Unkraut rupfen,
Blätter von den Runkeln zupfen,
die vom Regen noch ganz nass:
Klitscheklatsch, was macht denn das!
Gerste ernten, Garben binden,
irgendwas ließ sich schon finden.
Pflanzen ziehen und verhacken,
säen und das Unkraut zwacken,
Korn abmachen, Hafer wenden,
-Disteln auch an Bein und Händen-
Reisig sammeln, Ähren lesen,
Futter holen und nicht dösen.
Oder dreschen schnell den Weizen.
Mit der Zeit war stets zu geizen!

War da mal ein Tag zum Gammeln,
ging es ab zum Steine sammeln.
Resultat von dieser Chose:
Steinfrei hat´s drauf die Kolchose.
 

Und im Herbst bei Dauerregen
ernten den Kartoffelsegen:
Klamme Hände, steifer Rücken,
hurtig nach Kartoffeln bücken.
Währenddessen rinnt der Regen
auf uns und die Ackersegen.

Zäher Kniest an Knien und Händen,
spürt man den Humor verenden,
Kannst die Füße kaum noch heben,
weil die Schuh im Felde kleben.
Kalt und nass bis auf die Haut,
schüttelt man Kartoffelkraut.
Du schaust nach der Kirchturmsuhr.
Doch die Zeiger bleiben stur.
Statt der Zeit rinnt nur der Regen…

Abends wenn in später Stunde
schwatzend saß die Frauenrunde,
froh befreit von Tages Lasten,
und aus vollen Tiegeln prassten,
war es für die Männer schlimmer,
die bei Nacht und Kerzenschimmer
- und es rinnt und rinnt der der Regen-
schleppen noch den Erntesegen.
Vollbeladen ist der Wagen.
Knurrt man auch und knurrt der Magen:
Nasser Sack muss nasse Säcke,
bückend, stoßend jede Ecke,
auf verglitschten Kellertreppen
kniend noch ins Lager schleppen.
Schwere Säcke auf den Rücken
-in die Knie´e , tiefer, bücken!-
da der Erntedreck von Jahren
viele Schichten hat erfahren,
und der tiefen Wölbung wegen,
Bücken!- Endlos ist der Segen…

Fazit hiervon kann nur sein:
Heut kauf ich im Laden ein!-

 

Angenehmer war das Heuen:
Langer Weg hieß lang sich freuen.
Auch das Wetter war meist heiter.
Pfeifend schlürft man langsam weiter,
sieht die Wolken oben schweben,
träumt von einem anderen Leben
und erquickt sich an der Quelle.
Doch danach kommt das Reelle:
,, Wieso kommst Du jetzt erst an?
Mach mal schneller, halt dich ran!“
Nach dem Einsatz ließ sich´s träumen
bei dem Biwak unter Bäumen,
wo ein Korb mit Brot und Wurst,
und im Steinbutt für den Durst
schwarzer Kaffee oder Säfte
bald erneuerten die Kräfte.

Wenn auf voll belad´nem Wagen
wir erschöpft im Heue lagen,
unterm Hemde ganz verschwitzt,
juckend noch ´ ne Distel sitzt
sann man, wie mit Juck im Rücken,
sich vorm Rest noch könnte drücken.

In der Scheune unterm Dache
heißer Ziegel Ungemache,
zwischen Balken, Staub und Grannen,
möchte man den Tag verbannen.
Während draußen Kameraden
schreiend dich zum Bade laden,
stopfst du hier in Glut und Hitze
keuchend Heu in jede Ritze

Wenn beim Kuh- und Gänsehüten
Kindheitseskapaden blühten
und am Ziegenberger Kulke
Grabenschlachten,Bade-ulke,
Staudämme aus Rasensoden,
Zeltbau auf dem Uferboden,
Wigwamnester in den Bäumen,
Drachen in den Himmelsräumen
oder bloßes Wolkenträumen
und noch andere Interessen
Hütepflichten ließ vergessen,
Gänse waren fortgetrieben
und die Kuh in Nachbars Rüben,
bracht´ der Eigner das Vermächtnis
wieder peitschend ins Gedächtnis.

Liese, Mutters heil´ge Kuh,
brachte uns Kinder um die Ruh´:
Wagen schoben wir zur Wiese,
Fraß auf dieser unsere Liese,
um das arme Tier zu schonen.
Heil´ge die im Himmel wohnen,
mussten ihr das Heil erflehen,
war die wieder mal in Wehen
oder wehen Euter spürte,
den das Gänsefett kurierte.
Mutter hielt mit ihrem Beten
Alle Heiligen in Nöten:
Anton für verlor´ne Sachen,
Wendelin fürs Vieh zu wachen

Vater musste Bücher lesen,
rechnen, forschen und verwesen ,
rätseln auch und zählen, zählen,
sei´s beim Feiern, sei´s beim Quälen:
Wieviel Bündel, Halme ,Säcke,
Er saldierte jede Strecke.

Sommersonntags so die Regel,
ging es froh mit Kind und Kegel
oder mit süßsaurer Miene
hin zur Wildunger Ruine.

Brote gab es aus Mutters Tasche
und zu fünft ´ne Sprudelflasche,
wenn man endlich unter Bäumen
auf der Holzbank konnte säumen.
Nun mit all den jungen Leuten
ließ sich schon der Tag ausbeuten:
Lenchen, Kuni, Rosmarie
waren frohe vis-a-vis
und bei Lied und lust´gem Necken
ließ der Übermut sich wecken.

Wintertags in diesen Jahren:
Rodeln, Ski und Schlittschuh fahren.
Eishockey mit Weidenstecken
brachten manche blaue Flecken.
Pfiff der Vater durch die Hände,
War das Spiel abrupt zu Ende.

Fiel man durch das dünne Eis,
klopft´ uns Mutter wieder heiß,
weil das heiß´re Blut sie hat:
“Voter, sech du ook mohl wat!“

Hohe Zeit der Wintertage:
Weihnachten und Namenstage,
Nisteln, Niklaus und Theater,
Wurstesingen, Ball und Kater,
Spelle gehen und Schlachtefeste,
Tages Mühen, abends Gäste.

Und um elfe schläft zufrieden
in dem Sessel Gast Dornieden,
während fleißig Nadeln klappern,
und die Mäuler lustig plappern,
Kaffee- und auch Kuchendüfte
wabern durch des Hauses Lüfte,
frohen Vortrag hält die Runde,
dann war Feierabends Stunde

Möcht nochmal die Stunden kosten
strenger Winter aus dem Osten,
wenn vom Tag und Frost gerüttelt,
Last wie Schnee ist abgeschüttelt
und im Ofen Funken stieben
alles gut ist und zu lieben
und von Wärme eingefangen,
kribbeln Hände, glühen Wangen.

Sonn-abend lohnt Wochenjoch
wenn´s nach Bad und Braten roch,
und Papas Zigarrenrauch
zog durchs Haus, wie alter Brauch,
wenn die Mutter strickend saß,
Vater aus den Büchern las,
und die Runde der Geschwister
hört und störte mit Geflüster,
bis ein Kichern brach heraus,
dann war ich als Kind zu Haus...



 

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