Andreas Vierk

Verfallszeit

Möglicherweise für J. A. Prufrock

 

Es wird Zeit, daß es Zeit wird.

Celan

 

 

 

I

 

 

Wie den zerstörten Pfau kannst du sie hören,

um dessen Tod das Land sich dezimiert,

wenn sich die Zeit in deiner Haut verliert –

Wenn du erschauerst, rauschen auch die Föhren.

 

Wenn Stolz und Mut noch einmal auferstehen,

obwohl du weißt: sie müssen auch verfallen,

wenn sie sich einmal noch ins Dasein krallen,

mit Pinien und Birken zu verwehen –

 

dann singe, weil du doch du selber bleibst,

obwohl die Zeit beginnt, dich zu zersetzen.

Sing trotzig gegen sie vom Segel setzen!

 

Wenn du den Rücken an dem Stein zerreibst,

sieh! In der Flucht von Dohlen, Raben, Krähen:

wie eine Säule ist die Zeit zu sehen.

 

 

 

II

 

 

Wie eine Säule ist die Zeit zu sehen:

wie ein Geysir von Milch, durchzuckt von Adern.

Was hilft’s, mit einer Illusion zu hadern,

und gegen den Tornado aufzustehen?

 

Die Liebe blüht im Wald als Vogelbeere,

auf die die Zeit sich langsam zubewegt.

Besteht sie, oder wird sie fort gefegt,

als wenn ihr Wort in uns unmöglich wäre?

 

Die Zeit lässt Leere in der Stirn zurück

und in der Brust ein scharfes, kaltes Wehen.

Du ziehst dich fort, auf Knien Stück um Stück.

 

Die Hoffnung hilft der Liebe abzusterben.

Die Haut der Stunde selbst zerfällt in Scherben.

Auf einem Blutwurz bleibt sie schwankend stehen.

 

 

 

III

 

 

Auf einem Blutwurz bleibt sie schwankend stehen,

die Zeit, und äfft der Hoffnung hinterher.

Sie lässt die Haut wie eine Puppe leer.

Ich muss verwehen.

 

Auf Wurzeln voller Weh stand auch die Liebe:

sie wuchs im Wald, umhegt von Nervengiften.

Ich sah sie heute in der Strömung driften

und meinte kurz, dass sie drin stehen bliebe.

 

Ich wollte lauschen,

doch hatte mir die Zeit das Ohr gefüllt

wie fernes Blau, das in den Muscheln brüllt.

 

Mir war, als hörte ich die Stimme rauschen

von dir: Ich konnte ihre Mildheit hören

wie Milch, umtanzt von den Erinnyenchören.

 

 

 

IV

 

 

Wie Milch, umtanzt von den Erinnyenchören,

und langsam von dem Nebeldunst durchdrungen,

so zögernd wich der Hauch aus unsren Lungen.

Die Zeit will sich empören,

 

und glimmen auf den Poren deiner Hand.

Sie sinkt in deine Lebenslinien ein:

unreines Melanom und Krankheitskeim

und schwefelgiftdurchsetzter Wüstensand.

 

Die Meuterei der Zeit,

die mit der Reinheit unsrer Pulse bricht,

und dem geheimen Wachs in unsrem Haar –

 

hat sie was weich war in uns schon verbleit?

Wir lebten noch, was längst verloren war.

Die Liebe ist wie Milch und Kerzenlicht.

 

 

 

V

 

 

Die Liebe ist wie Milch und Kerzenlicht,

und unerbittlich misst der Geigerzähler

die Stunden unter dem Kartoffelschäler

Schicht um Schicht.

 

Dann schließlich sind wir nur gedrehte Dochte,

die ihre Strahlung halb verloren haben.

Wir würden auch nicht wieder aufgeladen

wenn man uns in der Sternensuppe kochte.

 

Die Ewigkeit,

sie kann die Ohnezeit der Liebe sein,

die Unzeit über einem weiten Land,

 

doch zwischen uns steht die Verfallenheit,

das Sterben des Urans im Kerzenschein.

Es ist der Zeit, dem Taumeldu verwandt.

 

 

 

VI

 

 

Sie ist der Zeit, dem Taumeldu verwandt, die Unerbittlichkeit uns auszuschmelzen, selbst noch im Winter, unter Mäusepelzen im kalten Sand.

 

Mir geht’s noch gut am Rand von Einsamkeit und Stille, die das Einverständnis äfft, und uns in unsren eignen Sphären lässt, uns jeden in der Selbstverlorenheit.

 

Und wie geht’s dir? Wir sind uns schließlich fremd und unverwandt. Was wäre deine Antwort auf die Frage?

 

Vergiss den blöden Spruch vom Jetzt-und-Hier. Denn lebten wir die kupferhelle Sage, um Zeit und Liebe wüchs ein Wiesenland.

 

 

 

VII

 

 

Um Zeit und Liebe wächst ein Wiesenland, noch fern von unsrem Sein, doch nicht mehr lange. Noch überschminkst du dir die Faltenwange mit deiner alten Hand, doch schau: in unsrem eignen Implodieren verschmelzen alle unsre Wesensseelen zu einem Lied in einer Vogelkehle. Und doch: wir werden nie uns selbst verlieren!

 

Nur hier ist es ein wehgefülltes In-uns-Sein, nur hier ist Liebe gleich mit Selbstverzicht. Nur hier sind Unterschiede zwischen Tier und Mensch und Pflanze, Flüssigkeit und Stein, durchzuckt von Flammen wie ein Strafgericht.

 

 

 

VIII

 

 

Durchzuckt von Flammen wie ein Strafgericht will uns die Zeit von unsren Körpern spalten. Da hilft uns auch kein bloßes Innehalten, zu denken hilft nicht, nichts hält uns fest, schon gar kein Reha-Sport. – Zynismus, angesichts der Guillotine sich noch einmal das Kinn scharf zu rasieren. – Kein Bunker hilft. Wir müssen alle fort.

 

Der Glaube nur, der heiße Mut, das Auf-dem-Löwen-Reiten, Gewissheit, dass wir alle auferstehen: dies hilft uns weiter in den Kern zu schreiten. Doch wird der Zweifel immer mit uns gehen. Die Zeit drückt in das Dasein ihre Spur.

 

 

 

 

IX

 

 

Die Zeit drückt in das Dasein ihre Spur, schon muss der Genstrang vor sich hin mutieren, und muss die Liebe sich ins Gift verlieren. Ihr innerer Lemur verhampelt kühn die letzte Möglichkeit, die letzte Ausfahrt in ein tiefes Leben. Uns hilft kein Diskutiern und Dauerreden. Wir driften träg in die Vergesslichkeit. Wir leben länger. Wir dehnten unsre Haut nach Ost und West und meinten schon, wir wären Widergänger. Wir sind der Strang der Evolution!

Das Gen? Die Schlinge? Wir verliern uns schon, so wird das Sein ein Tanz und Seuchenfest.

 

 

 

X / XI

 

 

So wird das sein ein tanz und seuchenfest! Wir wollen feiern doch uns auch verstecken. Wir wollen die geliebten wunden lecken. Sei mein palimpsest! Diezeit istin unssel bersüß ver go renfriss unserda seinwie die scho kola desei metzger mirhäng michan deinenha ken verliert die zeit nun selber ihren letzten halt? Wir können nur auf ihren fortgang hoffen! Dann sind wir frei und wie die meere offen. Hörst du uns in den muscheln wiederhallen bevor die stunde selber implodiert? Be vordiestundeselberimplodiert? In uns verfallen ist der zeitenlauf und aus dem blutwurz steigt der phoenix auf. er ist lackiert schonin derfar

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ziehtsuns hinauf. Du bleibst du und ich will meinem innersten verbleiben wenn ich vielleicht in deinen armen ruh. Und noch im traum will meine fingerspur noch violette liebeslyrik schreiben in deine wangenlinientextur.

 

 

 

 

XII

 

 

In deiner wangenlinientextur – wir beide sind aus sandstein in der wüste: wie eine zwillingspharaonenbüste – sind teile einer weiten reifenspur,

 

dievont raktoren stammtver kiesel teper fektmech anisiert emastod ontensie glüh tenin demkrei svon horiz onten alsuns diezeitimb lickzerrie selte

 

Die zeit: ein wenig staub im augenwinkel von schuppenflechten von dem selbstbetrug von augenbrauenhärchen noch ein rest.

 

Der Himmel ist wie Asche, Brot und Dinkel, wie Schrift an einem Terrakottakrug, Verfallszeit, Fleisch und rohes Palimpsest.

 

 

 

XIII

 

 

Verfallszeit, Fleisch und rohes Palimpsest: so könnte man den Menschen auch benennen. Und wenn die Beine zu den Ärzten rennen, stellt sich der Mensch schon selber sein Attest.

 

Doch müssen die Betrachter Misanthropen wie Außerirdische und Amseln sein? Wir Menschen sind wie Schilf im Wasserschein, ein Hin- und Wiederklatschen in Synkopen,

 

vielleicht ein Blütenwald von lauter Küssen,

dem Handkuss und dem Zungenkuss – ja und

dem Judaskuss, dem Kuss, der kalkuliert.

 

Wie schade, dass wir Abschied nehmen müssen,

mein Mund sich trennen muss von deinem Mund,

wenn jede Pore die Struktur verliert.

 

 

 

XIV

 

 

Wenn jede Pore die Struktur verliert,

und deine Züge in Vergessenheit

geraten in der kranken, bösen Zeit,

wenn deine Hoffnung nur noch vegetiert,

 

dann wird es Zeit, für unsre Zeit, zu gehen,

dann wird es Zeit, nicht mehr mit ihr zu huren,

dann schlägt die letzte Stunde für die Uhren,

dann müssen wir im Wüstensand verwehen.

 

Wir sind so jung, und müssen so früh sterben!

Wer folgt uns nach, wird unsre Noten erben?

Oh, höchstwarscheinlich sind es Kakerlaken!

 

Noch einmal soll uns diese Welt betören!

Du siehst sie wie den Kabeljau am Haken.

Wie den zerstörten Pfau kannst du sie hören.

 

 

 

XV

 

 

Wie den zerstörten Pfau kannst du sie hören,

wie eine Säule ist die Zeit zu sehen:

Auf einem Blutwurz bleibt sie schwankend stehen,

wie Milch, umtanzt von den Erinnyenchören.

 

Die Liebe ist wie Milch und Kerzenlicht.

Sie ist der Zeit, dem Taumeldu verwandt.

Um Zeit und Liebe wächst ein Wiesenland,

durchzuckt von Flammen wie ein Strafgericht.

 

Die Zeit drückt in das Dasein ihre Spur,

so wird das Sein ein Tanz und Seuchenfest,

bevor die Stunde selber implodiert

 

in deiner Wangenlinientextur:

Verfallszeit, Fleisch und rohes Palimpsest,

wenn jede Pore die Struktur verliert.

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Andreas Vierk schreibt seit seinem zehnten Lebensjahr Prosa und Lyrik. Er verfasste die meisten der Gedichte des „Septemberstrands“ in den Jahren 2013 und 2014.

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