Hermann Braun
An Heiligabend gegen acht
Eine fast wahre Weihnachtsgeschichte
Wie schon zuvor all jene Jahre, sitzt einsam er verlassen, still, an Heiligabend, ganz alleine, wie wenn der liebe Gott das will. Mit auf dem Tisch nur einer Kerze, zerknittert drunter Altpapier, verschmiert mit tausend Kringel-Flecken– ähnlich dem ’ner Flasche Bier. Die Flasche Wein, halb leer getrunken, versetzt ihn schnell in tiefen Schlaf. Und als der Wind dann plötzlich, munter, mit einer Bö den Schnee fegt runter, vom hohen Dachfirst ganz weit oben, hört er durchs laute Wettertoben, ein leises und verhaltenes Klopfen – gradso wie wenn tun Regentropfen an Fensterscheiben der Häuser klopfen. Drum eilt er flugs zur Haustür hin, um nachzuschauen ist sein Sinn. Und vor ich steht ein kleines Kind, mit Lockenhaar, zerzaust vom Wind. Ein kleines Mädchen, zart und fein, das ihn anfleht: „Ach, lass mich rein, ich möcht so gern dein Gast heut sein! “Und durch den Garten, rund ums Haus, tobt Schneegestöber, Windgebraus! Hocherfreut nimmt er spontan, das kleine Kind sich auf den Arm, und trägt es in die Stube rein, wie einen hochheiligen Schrein. Verwundert schaut er sich drauf um – hell Lichterglanz um ihn herum.
Und auch der Tisch steht voller Gaben, bis hin zum Bersten vollgeladen. Urplötzlich dann, als wenn wer rief, schaut er zum Tisch und sieht den Brief, ganz nah der Kerze das Couvert, mit einem Herz aus Gold beschwert. Auf dem ganz groß zu lesen steht, was ihn berührt, zutiefst bewegt: „Ein liebes Herz, von ganz weit weg!“ Worauf er sich, zutiefst bewegt, und ganz geschwind, zum Tisch hingeht, den Brief sich nimmt. Und just erwacht, er glaubt es kaum, war aus der Traum: Kein Glanz jetzt in der Stube mehr, und auch der Tisch jetzt öd und leer. Bis auf den Brief, den er – oh, ja – im Traum zuvor schon einmal sah. Was über seine Sinne geht, ist das, was in dem Brief drinsteht, in einer Schrift, die ihm bekannt, von einer ihm vertrauten Hand: „So lange schon bin ich fort, an einem weit entfernten Ort. Wo es den Tag, die Nacht nicht gibt, wo man das Dasein anders sieht. Wo jeder gleich dem andren ist und auch mit andrem Maße misst. Und den man liebt, niemals vergisst. Mein gutes Herz, gib Acht auf dich, das kleine Mädchen, du, war ich!“
© hb/24.12.2017
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 24.12.2017.
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