Patrick Rabe

Ein neues Lied an eine neue Liebste

Ein neues Lied an eine neue Liebste

 

(in Worten, die so gewählt sind, dass die alten Liebsten nicht denken, ich lege Feuer an sie

und Freunde seien für mich Fremde,

die aber auch daran erinnern sollen,

dass man weder Ikonen zerschlagen, noch Bücher verbrennen sollte,

solange noch Menschen leben, die ohne diese innerlich zugrunde gehen würden,

und man sie schon lebend in die Grube senken könnte.)

 

 

Der Rabe macht 'ne Liste seiner Ex-Freundinnen auf,

doch den Kontakt zur Wichtigsten hat die Verwandtschaft ihm versaut.

Blut ist nicht immer dicker als Wasser, wie man sagt,

sondern kleckert mir die Wohnung voll, als wär's der jüngste Tag.

Soviel Aids, wie hier sein müsste, weil ihr Alkohol hier sucht,

hab ich wohl kaum verteilt, lest mal in dem guten Buch.

 

Meine Freunde und Freundinnen haben viel für mich gegeben,

darum möchte ich sie wiedersehen, und mit ihnen leben.

Was prägt, das sind die Menschen, mit denen man gewacht,

mit denen will man feiern, selbst in der tiefsten Nacht.

Und wen man mal geliebt, vergisst man nie, er bleibt,

selbst wenn die Weltgeschichte schon in andre Bücher schreibt.

 

Drum führt mein Weg in Zinnen und in düst're Katakomben,

drum ist mir klar, das Feuerwerk hört Kriegsflüchtling als Bomben.

Und dennoch ist die Kirche es, in der ich leise bete,

die ich, wenn ich die Liebsten such, ganz ohne Falsch betrete.

Wer hier, am Orte Gottes lästern und zerstören will,

der findet mich auch Sommers nicht, an keinem Partygrill.

 

Man rettet Notre Dame nicht, indem man es entkernt,

  es voll elektrisiert und die Ehrfurcht dort entfernt;

das Staunen über manche so sehr kunstvolle Figur,

die vielleicht nur man selber fand, sei's Teufel, Tod und Hur',

vor der man still gebetet, weil sie in einem gründet,

und die man, wenn nicht dort, nur noch im eignen Leben findet.

 

Wer Feuer legt an Orten, die Menschen etwas geben,

wer Kunstwerke zertrampelt, achtet Liebe nicht und Leben.

Ein "Fast genau" ist nicht dasselbe wie das echte Bild,

da nützt auch kein "Hier malte Raffael Madonna"-Hinweisschlild.

Wenn Lebende schon fragen: "Find ich Lebende noch wieder?",

wer mag dann Tote schelten, steigen sie auf und nieder.

 

Die Kathedrale "Leben", das Gotteskunstwerk "Welt"

viel mehr als nur Licht, Luft und Liebe und etwas Wein enthält.

Und ehe "Notre Dame" wieder "Unsre Dame" werde,

muss sich die Frage stellen, "Wer ist DEINE auf der Erde?"

Zuviel gesoffen hat man schnell, dann trampelt man zur Hure,

was andern eine Heil'ge ist und reihert auf die Flure.

 

Der Paternoster klemmt, weil das Vaterunser hakt,

dass dies dieselben Worte sind, weiß man seit dem ersten Tag,

an dem man bei dem Paternoster mal daneben trat

und sechs Stockwerke runterfiel, und unten wieder bat

in tief vertrauten Versen, die die Eltern einem sangen,

selbst wenn sie andern Kindern stets wie fremde Zungen klangen.

 

Das Leben geht ja weiter, Tocotronic macht schon Sinn,

doch nur, wenn niemand Distelmeyers Jochen haut ans Kinn.

Wenn niemand denkt, die Tanja könnt' für mich auch Lara heißen,

weil beides noch"Schiwago", und das würde sich nicht beißen,

wie Hunde, die nicht bellen, bis das Hakenkreuz erscheint,

und man begreift: ein lachend' Auge weiß, warum es weint.

 

Der Rabe macht 'ne Liste seiner Ex-Freundinnen auf,

damit man nicht mal denkt, die gab's im Sonderschlussverkauf

als Ramschgesöff, 1-Euro-Schuh, Paninibild zum Tauschen,

und wenn die Esche "Ulme" sagt, hört man die Linde rauschen.

Wie soll man neue Liebe finden und singen neue Lieder,

wenn man befürchten muss, die alten sieht und hört man niemals wieder?

 

 

(für das Zarteste, was man hegt, im Bewusstsein, dass man es nicht wird retten können,

wenn es nicht bei einem ist, wenn die Welt brennt.)

 

mit Dank an meine Familie, die Rabes und die Rübsamens, ohne die hier vieles nicht mehr laufen würde,

mit Verneigung vor und Zuneigung für noch lebende Menschen, die mich begleitet, gestützt und getragen haben, deren Namen ich hier nicht nenne, weil dies ein Gedicht und nicht Schindlers Liste ist.

 

Gegen Rechts, im Bewusstsein von Überfremdung, Hunger, Durst und Corona.

Viele von den mittlerweile hier lebenden Flüchtlingen verhalten sich so merkwürdig, weil sie vor Hunger und Durst nach den ihnen vertrauten Bildern, Worten und Gebräuchen umkommen.

So do I. (So geht's mir auch.)

 

für Carina Wyler

 

 

© by Patrick Rabe, 1. April 2020, Hamburg

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