Christina Gerlach-Schweitzer
Mythos Stierkampf 2020
gewidmet Antonio Moreno
Tagelang wurde er hierher transportiert,
in einer Holzbox, bewegungslos, hungrig, durstig.
Dann in den dunklen Zwinger der Arena.
Jetzt tritt der Stier in das gleißende Licht.
Endlich Platz, wieder Freiheit.
Er trabt vor zehntausend Zuschauern, Krach überall.
Nie hat er sowas gesehen, nie hat er sowas gehört.
Seit Tagen wurde er mit Sandsäcken geschlagen,
auf die Nieren, auf den Nacken.
Medikamente hat man ihm gespritzt,
zum Aufputschen, er hat Angst.
Er hat Durchfall.
Die Beine wurden mit ätzender Flüssigkeit abgerieben,
damit sie schmerzen.
Die Spitzen der Hörner wurden abgesägt,
damit er nur ungenau trifft.
Holzspitzen wurden draufgeklebt,
damit sie abbrechen, wenn er trifft.
Nervenenden in den Hörnern wurden angebohrt,
damit ihn der Schmerz durchzuckt, wenn er zustößt.
Die Reiter greifen ihn an, in der Arena,
auf alten Pferden mit schwerem Schutz.
Ihnen wurden die Ohren verstopft.
Die Augen hat man ihnen verbunden,
Medikamente gespritzt und die Stimmbänder durchschnitten,
damit sie nicht flüchten und nicht schreien vor Angst.
Der Stier weiß nicht, warum er in der Arena steht.
Er rennt zurück, dorthin wo er herkam, wo ist der Ausgang?
Die Zuschauer pfeifen ihn aus, den Feigling.
Er will nicht kämpfen, will weg von hier.
Reiter bohren ihre Lanzen in seinen Nacken.
Messerscharfe Gewalt, die ihm Muskeln und Sehnen zerschneidet,
denn er soll seinen Kopf nicht mehr heben können,
damit es der goldene Schlächter einfacher hat.
Der Stier schreit, schreit, schreit vor Schmerzen,
versucht die Holzbarriere zu überwinden, weg von hier.
Die Zuschauer dort rennen schreiend zur Seite.
Feigling, Feigling, brüllen die Leute auf der anderen Seite.
Tränen laufen aus den Augen des Stieres.
Bestraft soll er werden, gedemütigt.
Blut und Schaum tropft aus dem Maul.
Blutverlust, Atemnot.
Menschen schlagen ihm Stöcke ins Fleisch,
mit eisernen Widerhaken.
Bunt und schmerzend wippen sie
bei jeder Bewegung.
Der Stier ringt nach Luft, die Zunge vorgestreckt.
Tanzmusik jetzt.
Der goldene Mann zwingt ihn rückwärts.
Er stößt seinen Stahl tief in den Nacken des Stiers.
Unpräzise getroffen zermetzelt der Degen,
bei jeder Bewegung, die Organe des Tieres, in seinem Inneren.
Blut läuft dem Stier aus dem Maul.
Er fällt in die Knie, stürzt auf die Seite.
Ein letzter Herzschlag.
Getötet.
Diesmal darf ihm der Torero nur ein Ohr abschneiden.
Niemand.
Obwohl alle zugesehen haben,
diesem Tanz der Grausamkeit.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 10.05.2020.
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