Janna Ney
Schneewittchen wird Witwe
Schneewittchen kam nun in die Jahre.
Die einstmals rabenschwarzen Haare
durchzogen schmutziggraue Streifen.
Nicht Gold, nein Speck hing wie ein Reifen
um ihre einst so schlanken Glieder.
Sie trug ein hauszeltgroßes Mieder.
Man hörte immer öfter Keifen.
Denn außer einem schönen steifen
und heißen Grog mit sehr viel Rum
warf ihren Gatten nichts mehr um.
War sie als Frau für ihn ganz offen,
lag er im Bett und war besoffen.
Erzürnt warf sie den Fettcrèmetiegel
mit Volldampf in den Deckenspiegel.
Die Scherben zeigten tausend Falten,
und sie begann, ihr Haar zu spalten.
Der Angetraute schnarchte weiter.
Voll Argwohn fiel ihr auf wie heiter
sein strenges Mienenspiel sich löste.
Ob er im Traum ein Weib entblößte?
Ob er von junger Schönheit träumte?
Schneewittchens schrilles Mundwerk schäumte.
Als sie die Würstchenfinger streckte,
geschah es, dass er sie entdeckte.
Das war des Gatten letzter Tag:
Ihr Anblick traf ihn; dann der Schlag.
Janna M. Ney
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 28.05.2021.
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