Patrick Rabe

Humor Faber

Ich weiß, es ist kein Gedicht. Auch kein Prosagedicht. Es ist eine Kurzgeschichte. Aber ich finde sie zu gelungen, als dass sie überlesen werden sollte. Egal, was mir das dann wieder für Reaktionen einbringt. Einen Schriftsteller ohne Ego gibt es nämlich glaube ich nicht. Das neheme ich dann schon mal nicht als Vorwurf, wenn er wieder erhoben wird. Und hier nun die Geschichte.


Humor Faber

 

Ich stand auf dem Flughafen. Eine Super-Constellation. Über New York waren Schneestürme. „Über?“, so dachte ich. „Warum startet das Ding dann nicht. Da kann dann doch gar nichts in die Turbinen kommen.“ Nervös fummelte ich mein Smartphone heraus und las meine „La Guardia.app“. Auf dem Bildschirm vor mir lief „Homo Faber“. Exzellenter Film, aber keine Zeit. Ich bin ein Macher. Ich las schnell durch, dass das Flugzeug approximately in 5 Minutes starten würde. Das fand ich geil. Ich wusste doch, dass wir heute noch loskommen. Dann könnte ich mich wieder wie Buddy Holly fühlen, und dreckig lachend aus dem Fenster sehen, so, wie Ärtzte-Fans sich das halt vorstellen,(die aus Angst vor Ärzten „die Ärzte“ auch immer mit „tz“ schreiben), wie es war, als Buddy Holly in den Schneesturm flog, und das Flugzeug dann abstürzte. So nach dem Motto: „Denen bin ich ja grade noch entkommen, diesen Hinterwäldlern in Hibbing, oder Moorhead, oder wie das hier heißt, anyway…. Die wollten ja wirklich nur „the Big Bopper“ sehen. Und dann auf die Bühne rennen, und mich schlachten. Schnell noch meine Frau anrufen – wie Major Tom- und dann los.“ Der kleine, jüdische Junge da mitten in der Menge natürlich, der ging Buddy nicht mehr aus dem Kopf. Wie er hochgeschaut hatte zu ihm mit staunenden, dankbaren Augen. Vielleicht hatte er gedacht Schade. Elvis ist nicht dabei… Aber wenigstens Buddy Holly. Ich freu mich. Und das hatte er ernst gemeint. Buddy Holly hatte in dem Moment, wo er mal wieder dachte, er könne die Gedanken eines Menschen im Publikum lesen, das sehr schnell beiseite gewischt mit einer Ruck seines Kopfes und einem Hochreißen der E-Gitarre. „Oh Boy“ spielte er dann. Und der kleine jüdische Junge im Publikum verschwand in einem elektrischen Blazeoflight, ein Wort,  dass Mick Jagger ein halbes Jahrhundert später auf „Voodoo Lounge“ prägte, genauso wie auch den Satz „I caaaaaan’t say nothing about these people from Rusha.“ . Und dann alle erschreckt merkten, dass es Russia noch gab, es wieder Russland hieß, und dass Mick sich soeben auf der Bühne einer politischen Aussage verweigert hatte.

 

Unten in Moorhead, viele Kilometer von Hibbing entfernt, im Februar 1959, stand Bob Dylan und fror sich den Arsch ab. Er hieß damals ja noch nicht Bob Dylan. Nicht offziell jedenfalls. Nur bei den „Golden Chords“. Die Bands waren weg, das Publikum verstört, es war eiskalt, und Bob musste noch den ganzen Weg nach Hause nach Hibbing, das waren ca. drei Tagestrips. Und die Jungs, die ihn im Auto mitgenommen hatten, waren ihm im Gewühl verloren gegangen. Außerdem waren die Lichter viel zu schnell ausgegangen. Er war erschrocken, und da war ihm seine Brille runtergefallen. Reflexartig, wie Brillenträger das nun mal tun, beugte er sich herunter, um sie wieder aufzuheben. Und da wurde er schon zu Boden gestoßen, und die Leute fingen an, über ihn herüber zu trampeln. Er dachte, sein letztes Stündlein hätte geschlagen. Und das nach dem Konzert von Buddy Holly, den er unbedingt hatte sehen wollen, und für das er soviel Geld gespart hatte. Und dann auch noch gegen den Willen seiner Eltern dorthin gefahren war. Er wunderte sich, dass er das dachte, während sie über ihn drüber liefen. Dies musste sein Todestag sein. Vielleicht war er auch schon gestorben, und dies war Teil des Lebensfilmes, den er vor seinem Auge vorüberziehen sah. Aber wenigstens hatte er Buddy noch gesehen. Und vor seinen Augen erstrahlte die Gestalt von Buddy Holly in all seiner Schönheit, wie ein Heiliger und winkte ihm zu. Ist das deine? fragte das rothaarige Mädchen. Bob sah auf. Schlagartig war er wieder in der Realität. In Moorhead am Red River Shore. Dort stand WIRKLICH ein schüchtern aussehendes, rothaariges Mädchen mit wirren Haaren, einer riesigen Brille, und hinter dieser Brille hervorschauenden Glubschaugen (die natürlich keine waren, aber hinter dieser riesigen Brille mit der ungeheuren Sehstärke sahen sie aus wie Glubschaugen.). Und in der Hand hatte sie Bobs Brille. Bob stockte und richtete sich auf. So etwas konnte es doch gar nicht geben. Das musste ja ein Engel sein!!! Vielleicht hatte den ihm ja St. Buddy aus dem Himmel geschickt. Denn- das sagte sich der ansonsten durchaus rational denkende Bob- dass es das nicht geben kann, dass ein schüchterner Brillenträger bei einem Winter-Open-Air-Konzert eines Rockstars niedergetrampelt wird, seine Brille verliert… und dann steht da ein schüchternes Mädchen, das auch Brillenträgerin ist… und gibt ihm auch noch seine eigene wieder. Bob stand sofort wieder auf seinen Beinen und griff nach der Brille. Na, nicht grabschen!, sagte das Mädchen, schlug Bobs Hand weg, und hob die Brille hoch, außerhalb seiner Reichweite.  „Wieso grabschen? Ich grabsch dich doch gar nicht an! Du bist doch ’ne Hässlette.“ `Ne Hasskette? fragte das Mädchen, Hast du einen Sprachfehler? Das heißt Halskette. Und was für einen Akzent sprichst du eigentlich? Wie heißt das in deinem Staat? Hääälsklette? „Nee.“, sagte Bob genervt. „Hells Klette. Das ist ein Slangausdruck für Blöde Mädchen, die wie Hölle an einem kleben. Wie `ne Klette im Haar. Verstehste?“ Ach, du bist Jude! Das Mädchen jubelte es fast. Dann versteh ich. Ihr habt ja für alles andere Worte. Das heißt aber eigentlich nicht ‚Klette‘, sondern ‚Distel‘. Guck mal. Hier hast du deine Brille wieder. Nennst du sie ‚Spectacles‘ oder ‚Glasses‘? Ich kann sie auch noch für dich abputzen. „Mann, bist du lieb.“. Bob unterdrückte ein Tränchen. Und, dass es im offiziellen amerikanischen Englisch eigentlich „abwischen“ heißt. „Weißt du, was `ne Wallflower ist?“. Ja, klar. , sagte das Mädchen, und grinste schief, um ihre Verletztheit zu überspielen, und ihre -auch echte- Souveränität zu zeigen. So was wie ich halt. Ein Mauerblümchen.Aber es blüht.“, sagte Bob. „Und dann auch noch mitten im Winter. Darf ich ein Lied für dich singen? Hab ich mir grade ausgedacht.“. Boah. Du bist Songwriter? Wie Buddy?,  fragte das Mädchen. „Ja, Rocker halt.“, sagte Bob. „Ich spiel  in `ner Band, die heißt ‚The golden Chords‘. Ich heiße Bob Dylan.“. Wow!, rief das Mädchen. Und ich dachte immer, der hieße Bob Darin! Ich heiße Janis. – sie salutierte- aus dem Stamm der Shoshonen. Deswegen auch Ehrenname Shoshanna! Den Namen haben mir die Shoshonen drüben im Lake-Reservat gegeben, weil ich so laut gekreischt habe, dass sie mich nicht skalpieren konnten. Dafür haben sie mich dann in ihren Stamm aufgenommen. „Sorry.“, sagte Bob. „Das klingt für mich wie `ne typische Bob-Dylan-Geschichte. Erstunken und erlogen und übertrieben ausgeschmückt. Ich weiß zufällig genau, dass das Indianerreservat ‚White World-Indianerreservat‘ heißt, und erst westlich vom Lake-Reservat kommt. Es ist ungefähr auf einer Höhe mit dieser Konzertspielstätte hier. Das Lake-Reservat ist ein Natur-Reservat. Da werden keine Indianer geschützt, sondern die Natur. Also, für `nen jüdischen Jungen bist du ziemlich ungebildet. , sagte das Mädchen. Glaubst du, dass es im Lake-Reservat keine ‚Indianer‘ gibt, wie du sie nennst? Die heißen von Stamm zu Stamm verschieden, und mit Indern haben die gar nichts zu tun. Das hat ja sogar schon Columbus selber gemerkt, dass er nicht Indien entdeckt hatte. Die im Lake-Reservat heißen jedenfalls Shoshonen. Ich wollte da nur zum Pinkeln raus. Aber dann fand ich die Wälder so schön, dass ich da einfach drin rumgelaufen bin. War mir scheißegal, dass der Typ, mit dem ich da getrampt bin, dann weitergefahren ist. Ich dachte, ich konnt` mich ja immer durchschlagen, würde es also auch diesmal schaffen, und dann halt zu Fuß nach Moorhead gehen. „Ziemlich naiv.“, warf Bob besorgt ein. Ja, ich weiß. , sagte das Mädchen. Jetzt jedenfalls. Denn ich war gerade mitten auf einer schönen Lichtung, da kamen diese Rothäute plötzlich von überallher und wollten mich abmetzeln. Ich war offenbar in ihr Revier eingedrungen. Einige waren echte Native-Shoshonen, die dort schon ewig lebten, und andere waren welche, die waren aus diesem beschissenen ‚White-Power- äh… White World-Rassistenreservat weggelaufen, und von den echten Shoshonen aufgepäppelt worden. Natürlich waren da auch ein paar Apachen und Sioux dabei. Aber als sie merkten, dass sie mich nicht töten konnten, setzten wir uns in einen Kreis, sie gaben mir so `ne Pfeife Pot zu rauchen, schlossen Frieden mit mir und beratschlagten, welchen Shoshonennamen sie mir geben wollten. Da ich die Shoshonensprache nicht spreche, schlug ich auf Englisch ‚Maidenhead“ vor, also ‚Jungfrauenhäuptling‘. Da sagte ein ganz alter Shoshone, der auch englisch konnte, das hieße aber nicht ‚Jungfrauenhäuptling‘, sondern ‚Jungfrauenhaupt‘. Häuptlinge würden ‚Chief‘ heißen. Und außerdem gäbe es eine Stadt in England, die ‚Maidenhead‘ hieße. Und, dass man gar nicht vorgehabt hätte, mich zum Häuptling zu machen, sondern eher zur Schamanin. Da motzte ich dann rum. Häuptling müsste es schon mindestens sein. „Sorry“, warf Bob ein, „Dann weißt du supergebildetes Mädchen ja auch nicht grade viel über die sogenannten Indianer.“. Janis kreischte laut. Es dröhnte in Bobs Ohren. Als Bob verstummt war, und anfing, auf seiner Unterlippe herumzukauen, sah sie ihm wieder aufmerksam in die Augen. Du brauchst auch mal jemanden, der auf dich aufpasst, nicht?, sagte sie mitleidig. Mir scheint, dass du schon lange niemandem mehr gehorchen musstest. Sie zog ein Tüchlein aus der Tasche ihrer viel zu weiten Seidenstoffhose und putzte Bobs Brille ab. Bob dachte kurz an Hesses ‚Steppenwolf‘, und wie Harry dort Hermine kennenlernt, an Harrys anschließenden Traum mitten im Gewühl einer Tanzkneipe, und an Hamlets Satz ‚For in that sleep of death, what dreams may come‘, dann nahm er die Brille aus Janis‘ Hand, setzte sie auf, und küsste Janis. Völlig verdattert küsste Janis zurück. Ihr Zungenkuss ging eine bis zehn Ewigkeiten und sie versanken darin. – Bobby Darindachte Janis und wurde feucht zwischen den Beinen. Sie landeten wieder auf dem Boden. Wälzten sich zur Seite, sodass Janis erregt spürte, wie Bobs Oberkörper mal an ihren Brüsten – Janis hätte ‚Titten‘ gesagt – und mal davon entfernt war. Sie standen sich wieder gegenüber. Die Shoshonen wollten mich erst ‚Chatterbox‘ nennen, aber dann befand ich, dass ‚Plapperkasten‘ sowohl für eine Schamanin als auch für eine Häuptlingin ein komischer Name wäre. Als dann der alte Shoshone, der englisch konnte, und eigentlich ein Apache war, mir gnaddelig erklärte, dass die Shoshonen zum Radio „Chatterbox“ sagen, pflaumte ich ihn an, dass man mich dann ja auch gleich „Fernseher“ nennen könne, weil das ja gut zu meiner Sehstörung passen würde. Da einigten sich die Shoshonen und die Apachen angsterfüllt im Losverfahren – also, in dem sie Knochen warfen- für mich auf den Namen „Shoshanna“, was ‚Shoshonin der Shoshonen‘ bedeutet, oder eigentlich „die Übershoshonin“.  Jetzt war Bob wirklich allmählich ernsthaft genervt. „Also, ich würde dich vielleicht auch ‚die Überdosis‘ nennen.“, sagte er. „Da du ja so viel über Juden weißt, Mädchen, weißt du ja vielleicht auch, dass einer, der sich für einen Übermenschen hielt, sie mal zu Untermenschen machen wollte und dann vergasen. Von so Überqualifizierten wie dir halten wir nicht so viel, weißte? Aber vielleicht liegt es auch nur am Wort.“ Bob nahm wieder seine Brille ab. Er sah, dass Janis hinter ihrer Brille weinte. „Hey, du weinst ja.“, sagte Bob betroffen und weinte auch. Ganz zärtlich beugte er sich zu Janis hin, und küsste ihr die Tränen weg. „Weißt du, wie ich dich dann nennen würde?“, fragte er. „Mhhh.?“, schluckte Janis.         „ Suzie.“

 

Warum? , fragte Janis mit ganz zerbrechlicher Stimme.  „Weil es den Namen auch in der Bibel gibt. Im Neuen Testament. Susanna. Eine Jüngerin Jesu.“. „Bist du etwa auch noch Christ?“, flüsterte Janis nun so, dass man es schriftlich kursiv schreiben müsste. „Ja“, wisperte Bob zurück. „Aber das dürfen meine Eltern jetzt nicht auch noch wissen. Die haben schon einen derartigen Terz gemacht, als ich hierher auf ein Rock’n Roll-Konzert gefahren bin, und ich bin mir sicher, sie machen sich schon große Sorgen um mich. Aber, dass ich auch noch IHM gehöre, das werde ich ihnen erst sagen, wenn ich volljährig bin. Mit 21. Weißt du, ich hab mich in einer Kirche bekehrt. Aber nicht, indem ich Gemeindemitglied wurde, oder mit einem Pastor gesprochen hätte, oder so. Sondern ich spürte von dem Kreuz, das da hing – und ER daran- eine unglaublich starke Energie…Liebe, Geborgenheit, Klarheit… ausgehen, sodass ich dachte: so sehr lieben mich nicht mal meine Eltern. Und da bin ich niedergekniet und habe mein Leben Jesus Christus übergeben.

 

Aber ich nehme das schon ernst. Würdest du also sagen, du bist Susanna oder Johannes? Das macht nämlich schon einen Unterschied, oder? Mann oder Frau, weißte? Janis heißt ja quasi Johannes. Ich heiße nämlich mit bürgerlichem Namen Robert Zimmerman.“

 

Janis war erschrocken, und weinte noch mehr. „Nenn mich doch deine kleine Flüstertüte.“, sagte sie. So, wie Eltern ihren Kindern manchmal süße Namen geben. Dann kannst du mir auch so `ne Flüstertüte vor die Nase halten, weißte, so’n Megaphon, wie es die Polizei benutzt, und ich mach auch dann nur ganz leise, sanfte Durchsagen, so, wie der heilige Geist.“

 

„You are blessed!“, sagte Bob. „Wie willst du noch heiliger werden? Aus dem Mund von Kindern und Unverständigen werde ich mir Lob erklingen lassen! , sagte Jesus am jüdischen Tempel zu den Pharisäern.“

 

Und dann tanzten sie. Und er sang ihr das Lied ins Ohr, dass er sich für sie ausgedacht hatte: „Mauerblümchen, Mauerblümchen, komm, und tanz mit mir, ich bin so einsam wie du. Mauerblümchen, Mauerblümchen, wage es mit mir. Ich verliebe mich grad‘ in dich!“

 

Bob würde das Lied erst sieben Jahre später in einem Keller aufnehmen, bei den Sessions zu den sogenannten Basement-Tapes. Vielleicht hatte es damit zu tun, dass er zwischendurch noch eine echte, rothaarige Suzie kennenlernte, die Suze geschrieben wurde, und in die er sich verliebte, oder auch damit, dass Janis mit ihm in einem geklauten VW-Bus zurück nach Hibbing trampte, unterwegs die ganze Zeit soff, und ihn nach einer ewigen Irrfahrt in Salt Lake City rausschmiss und behauptete, das wäre dasselbe wie Salinas in Kalifornien, weil beide Namen sich von dem Wort ‚Salz‘ ableiten. Als Bob dann unsanft, aber stehend wie eine Katze auf dem Marktplatz von Salt Lake City stand, und sich fühlte, wie Kaspar Hauser bei seiner Aussetzung auf dem Unschlittplatz in Nürnberg, und dann wütend rief: „Ja,ja, ihr seid das Salz der Erde! Was aber soll man mit dem Salz machen, wenn es fade wird? Man soll es auf den Misthaufen werfen, denn dann taugt es nichts mehr! Und irgendwann geh ich auch noch nach Chicago Sugar Town und schmeiße den Sugar down.“, passierte s das erste Mal, dass man ihn wirklich für Jesus hielt. Allerdings fragten sie ihn dann auch gleich, ob er das Buch Mormon kennen würde, und er setzte ihnen in ihrem Tempel lang und breit auseinander, dass das gar kein Buch sei, das in der Bibel steht. Die Ältesten staunten, und einige überlegten, ob sie Katholiken oder Protestanten werden sollten. Nur ein ziemlich gnaddelig dreinschauender Ältester mit Namen „Elder John“, der sich vor allem über das von Bob eingeworfeme Nebenthema über den „Crocodile-Rock“ ärgerte, rief grimmig Bobs Eltern in Hibbing an, und forderte sie auf, ihren Sohn abzuholen. Die Zimmermans, ganz einfache, schüchterne, aber sehr liebe Leute kamen dann drei Tage später dort an. Bob fiel ihnen weinend um den Hals und rief: „Die Leute hier sind wie Menschenfresser!“. Bobs Mutter, Betty, sagte zu ihrem Sohn: „Wo bist du bloß gewesen? Dein Vater und ich haben uns solche Sorgen um dich gemacht.“. Bob kuschelte sich in ihren Arm und murmelte: „Mama, weißt du denn nicht, dass ich in dem sein muss, was meines Vaters ist?“. Mrs. Zimmerman sah ihren Bob ratlos an, und dann ihren Mann Abe. Er sah sie ernst an. „Er zitiert die Bibel.“, sagte er. Sie gingen zu ihrem Auto und fuhren los. Auf dem Weg nach Hibbing brachten sie Bob schonend bei, dass Buddy Holly vor ein paar Wochen bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen war. Bob weinte und sagte: „Ich wusste es schon. Ich habe ihn in einer Vision gesehen. Als Heiligen. Und, weißt du… Ich hab da auf diesem Konzert so ein Mädchen kennengelernt.“ „Ein Mädchen!!!???“. Mrs. Zimmerman kreischte dieses Wort so laut, dass es in Bobs Ohren dröhnte. Bob rückte von ihr weg. (In den Autos der 50er Jahre in Amerika hatte es noch keine Sicherheitsgurte gegeben, also ging das problemlos.). „Nicht, was du denkst.“, sagte Bob beschwichtigend. „Naja“, ergänzte er, „Verliebt hab ich mich schon in sie, und rumgemacht mit ihr auch. Aber sie ist irgendwie anders. Ein Mauerblümchen. Mit Brille. Und `ne schreiende, saufende Schabracke. Und vor allem ein Engel.“ „Bob, du lügst!“., sagte Mrs. Zimmerman. So etwas kann es doch gar nicht geben.“. „Und du zitierst ‚Peer Gynt‘.“ , maulte Bob. „Was zitiere ich?“, fragte Mrs. Zimmerman. „Na, ‚Peer Gynt‘. Dieses Stück von Ibsen, das wir zuletzt im Unterricht gelesen haben. Da sagt die Mutter immer zu ihm: ‚Peer, du lügst!‘“. Mrs. Zimmerman schluckte. War sie etwa auch noch eine schlechte Mutter? Der Bruder von ihrem Mann hatte ja auch behauptet, er hätte wegen ihr Kinderlähmung bekommen und hätte seinen Elektroladen deswegen nicht weiterführen können. Vielleicht hatte jemand sie mal verflucht. Sie tastete nach Bob Hand. Tränen liefen ihr über das Gesicht. Sie bekam es mit der Angst, wenn Bob so biblisch sprach. Denn tatsächlich war ihr auch manchmal der Gedanke gekommen, dass ihr Nachname – Zimmerman- etwas damit zu tun haben könnte, das Jesu Vater Zimmermann gewesen war. Und sie wollte ihren Sohn doch nicht verlieren. Schon gar nicht an Römer oder an Soldaten oder so etwas. Sie sah ihn an. Nein, er war nicht Jesus. Er war ihr über alles geliebter Bob.

 

„Sie war die einzige, die mich jemals wirklich gesehen hat. Sie ist das Mädchen vom Red River Shore.“,

sagte Bob leise vor sich hin. „Wirklich gesehen. Als Mensch. Nicht nur wegen ihrer Brille.“, setze er noch hinzu, und lachte ein kleines, glucksendes Lachen. Machte er oft.

 

Die Turbinen der Super-Constellation begannen sich zu drehen. Ich fuhr aus meinem Sekundenschlaf hoch. „Wusste ich doch.“, sagte ich. „War wieder nur blinder Alarm, das mit dem Schneesturm. Greta-Thunberg-Gesülze.“. Die Stewardess, eine hübsche Rothaarige,  beugte sich zu mir herunter. „Passenger Faber.“, sagte sie. „Haben sie auch nichts vergessen? Als sie da halb schlafwandelnd eben noch mal auf der Flughafentoilette waren?“. „Wo war ich?“, fragte ich. „Na, auf der Flughafentoilette. Sie sind wieder ausgestiegen, was ja wegen des Schneesturms und der anliegenden Wartezeit auch jeder verstand. Aber dann sind sie durch den ganzen F Wir starten gleich.lughafen gewankt und haben sich selber irgendeine Geschichte von Bob Dylan erzählt. Auf der Toilette haben sie sich schließlich übergeben. Sie sahen bleich aus wie Sam Shepard in ‚Homo Faber‘.“ „Ich BIN Homo Faber.“, sagte ich. „Walter Faber. Auf der Flucht vor meiner nervigen verlobten Ivy. Die ist wirklich wie ihr Name. Nämlich anhänglich wie Efeu.“. Die Stewardess musterte ihn streng. „Mr. Faber. Wir haben jetzt keine Zeit, uns ihre Lebensgeschichte anzuhören. Wir starten gleich.“. Ein blonder, kraushaariger, junger Mann mit Kopfhörern im Flugzeugsitz rechts auf der anderen Seite von mir stand nervös auf und fummelte an der Bügelfalte seiner Hose herum. „Bitte, Herr Landsberg. Können sie sich bitte wieder hinsetzen? Wir starten gleich.“, ermahnte die Stewardess ihn. Der „Landsberg“ genannte Mann setzte sich unter Gemurmel wieder hin. Ich träumte weg. Meine jüdische Frau, die ich wegen Hitler hatte verlassen müssen, hatte Hanna Landsberg geheißen. „Mr. Faber…“, sagte die Stewardess und sah mich prüfend an. „Träumen sie?“ „Ich bewege mich durch eine ganze Reihe von Träumen. A Series of dreams. Wissen sie?“, sagte ich. „Ach?“, sagte sie. „So Traumserien? Wie das Traumschiff?“. „Nein.“, sagte ich brüsk. „Sowas gucke ich nicht. Das ist ja Unterschichtsfernsehen. Ich gucke nur Filme wie ‚Die unglaubliche Reise in einem verrückten Raumschiff.‘. „Sience Fiction?“, fragte sie. „Nein. Parodien. Das brauche ich zwischendurch. Zum Ablachen, bevor ich wieder an meinem todernsten Buch „Der Besuch der alten Dame“ schreibe. Die Stewardess wurde bleich. „Oh. Mr. Duerrenmath? Ich habe doch gewusst. Ein Schweizer. Ich bin ein riesen Fan von ihnen. Können sie mir ein Autogramm geben?“. Ich war etwas angesäuert. „Dürrenmatt spricht man das aus. Mit U-Umlaut und TT am Ende. Nicht mit Tee Eighdge.“. „Ja“, sagte sie, „Wir leben im Tea Age. Einem ziemlich flüssigen Zeitalter.“. Ich sah sie an. Sie verschwamm vor meinen Augen. Ich hatte noch nie jemand so viel Blödsinn am Stück reden hören. Ich meinte zwar kurz, es könne sich auch um ein Zitat aus Hesses ‚Steppenwolf‘ handeln, als Harry Haller dem Neffen seiner Vermieterin erklären will, dass er auch an Sternzeichen nicht mehr glaubt, aber dann dachte ich: „Wer nicht mal so viel Bildung hat, um zu wissen, dass ‚Homo Faber‘ „Der machende Mensch“ heißt, kann doch Harry und Hermine aus dem ‚Steppenwolf‘ auch nicht von Harry und Hermione aus ‚Harry Potter‘ unterscheiden. Aus den Kopfhörern des jungen Herrn Landsberg tönte „Red River Shore“ von Bob Dylan. Ich verzog das Gesicht zu einer schiefen Fratze. Konnte der Kerl das nicht leiser stellen? Immer wunderte sich Robert Zimmerman in seinen Liedern über die Liebe. Das war ja, als wenn man an einen Baum in Mägendorf „Bu“ schreibt, dann mit seinem schwarzen Auto an einer Tankstelle vorbeifährt ohne zu tanken, aber nach einem Mädchen im roten Kleid glotzt, und dann an einen Baum in Solothurn „Sen“ schreibt. Und das alles noch am hellichten Tag. Die Stewardess stand immer noch vornübergebeugt vor mir. So langsam fiel mir auf, dass sie ziemlich geile, dicke, feste Brüste – Ivy hätte ‚Titten‘ gesagt- hatte. „Mr. Faber.“, sagte die Stewardess, jetzt freundlich grinsend. Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit. Wir wollen jetzt starten. Hier, ihre Brille.“

 

***                                                                                                                    

 

Dies ist der Beginn einer Trilogie, die ich nicht schreiben werde. Die nicht mehr kommenden Teile heißen:

Humor, Faber“, eine Parodie auf meinen Kurzgeschichtenband „Alter, ego“.

und

Tumor Faber“, die nicht autorisierte Fortsetzung von „Homo Faber“, gegen die Max Frisch sicherlich etwas gehabt hätte.

 

Und natürlich noch den gleichzeitig auch verfilmten vierten Band

 

„Wie ich alle meine Versprechen ins Klo erbrach“

 

um meinen Ruf als Judas zu zementieren, und Andreas Vierk mit meiner Fäkalsprache eine Freude zu machen.

 

© by Patrick Rabe, 4. Juni 2021, Hamburg.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 03.06.2021. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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