Patrick Rabe
Das Glas klirrt in der Christopher Street
Das Glas klirrt in der Christopher Street
Als im Stone Wall Inn in der Christopher Street
wieder einmal die Polizeirazzia durch war,
die man kaum noch zur Kenntnis nahm,
weil man gespannt auf erste Fernsehübertragungen
vom Woodstock-Festival wartete,
die nur unterbrochen wurden von der Ansage,
ein hysterischer Irrer mit jüdischem Gesicht
wäre in der Nähe von Woodstock
in einen Bus nach New York eingestiegen,
und man lachend murmelte:
„Das war wohl wieder Holden Caulfield,
der schnell durch den Roggen wollte“,
stürzte plötzlich Bob Dylan aufgebracht ins Stone Wall Inn
und schrie:
„Seid ihr hier in Sicherheit? Er ist wieder unterwegs!“,
stolperte über einen Barhocker,
und kippte mit dem Messer in der Hand, das er offenbar zur Selbstverteidigung mitgenommen hatte, von hinten in eine Tunte, die von dem Messer aufgeschlitzt wurde.
Joni Mitchell sprang hinter der Bar hervor und schrie:
„Revolution! Bob Dylan ist gar nicht Jesus! Er ist der Teufel!“.
Und der schreiende Mob ergoss sich über die Straßen und Fensterglas klirrte.
Irgendwo in San Francisco ging ein Hippie namens Charles Manson
gemächlich zur Villa von Roman Polanski.
Er wollte ihm mitteilen, dass er seine letzten Filme verstanden habe,
und ihn darin bekräftigen, bei der blutigen Revolution mitzumachen.
Auch ein Hells Angel namens Sonny Barger und sein Freund Robert Zimmerman
stiegen auf ihre Motorräder und fuhren los.
Im leeren Stone Wall Inn
rappelte sich Bob Dylan vom Boden auf und rief weinend:
„Sie zerstören das gesamte Greenwich Villiage!“.
Die zwei Kratzer an seiner Hand begannen zu bluten.
Zwei Polizeibeamte kamen herein.
„Messer weg, du Freak!“,
schrien sie.
Bob ließ das Messer fallen
und hielt ihnen seine blutenden Handinnenflächen entgegen.
Schreiend liefen die Polizeibeamten weg.
Irgendwo in ihrer kleinen Wohnung in der Lower East Side
Erwachte Suze Rotolo,
und erinnert sich daran,
dass sie heute eigentlich ins Stone Wall Inn hatte gehen wollen,
um sich die Übertragungen aus Woodstock anzusehen.
Irgendwie hatte sie gehofft, ihr Ex Bob Dylan
würde dort auch auftreten.
Da hörte sie, wie eine Wohnung unter ihr
bei ihrem jugendlichen Nachbarn Luca
die Polizei die Tür auftrat.
Luca schrie.
Suze tat nichts.
Vor Angst.
Später besuchte Joni Mitchell sie
Und sagte ihr:
„Dein Bob ist ein Held. Und das Festival war toll.
Wird morgen noch mal im Fernsehen wiederholt.“
Im Greenwich Villiage hatten die Straßen Namen.
Nicht nur Nummern, wie überall sonst in New York.
Es war die einzige Gegend,
in der Bob Dylan sich problemlos zurechtfand.
Patrick Rabe, Freitag, 6. August 2021, Hamburg.
© by Patrick Rabe, 2021
Im Gegensatz zu dem, was heute viele glauben, wurde bei der Ur-Revolte der Schwulen und Lesben während der Studentenunruhen in den 1960ern in Amerika kein „schwuler Märtyrer namens Christopher Street“ getötet, sondern eine Schwulenbar namens „Stone Wall Inn“ zuerst von der Polizei, dann von mehreren auf den Straßen revoltierenden jungen Menschen gestürmt. Ähnlich wie auch bei den Unruhen während des Schah-besuchs in Berlin 1968 konnte man bald nicht mehr feststellen, wer bei der ganzen Sache auf der Seite der progressiven Hippies, Rocker und Studenten stand, wer konservativ oder rechtsgerichtet war, wer schwul oder wer hetero war, und wer vielleicht einfach nur ein Anwohner des Greenwich Villiage- des Künstlerviertels von New York- war, der vor Angst, man könnte das ganze Viertel demolieren, auf den Straßen „mitkämpfte“. Die Rolle von Bob Dylan und seinen Freunden dabei ist umstritten. Fakt ist, dass ihn viele seiner Anhänger für Jesus hielten, dass es ja aber auch immer anders ausgerichtete Christen wie Manson oder Chapman gegeben hat, die solche Künstler-Lichtgestalten gerne mal für einen Falschjesus oder den Antichristen hielten, und sie dann versuchten zu töten. Mein Gedicht hier ist weitgehend fiktiv. Hält sich aber dennoch an die Fakten, und an das, was im Sommer 1969 im Schwange war. Was zum Beispiel definitiv stimmt, ist, dass Suze Rotolo, die damalige Ex-Freundin von Bob Dylan einen im selben Haus wohnenden, ebenfalls der linken Sache nahestehenden Freund namens Luca hatte. Suzanne Vega – noch eine Suzanne… - hat Anfang der 1980er Jahre den Song „Luka“ aus der Sache gemacht. Und heute gibt es die „Luca-App“. Ab wann werden Revolutionäre, deren Revolution nicht so gelingt wie sie dachten, zu blinden, gewalttätigen Verrückten, die sogar noch über die eigenen Leichen gehen würden, um eine von ihnen für richtig und gerecht empfundene Sache auf Biegen und Brechen durchzudrücken? Und wer achtet auf die stillen Retter, die manchmal sogar Leben retten, wenn sie keine Lieder singen, sondern irrtümlich in Bars laufen, im unbestimmten Gefühl, eine Person, die sie lieben, könnte in Gefahr sein? Wie schnell geht es vom „Hosianna Davidssohn!“ bis zum „Kreuziget ihn!“. Ich finde, gerade in der Zeit, in der wir heute leben, sollte man über so etwas nachdenken. „Where the streets have no names“ von U2 wäre ganz sicher ein Anspieltip. Auch die damit verbundene Frage, wo Engel sich vielleicht sicher fühlen, wo Menschen, und wo Götter, die ein wenig verschachtelt in dem Wim-Wenders-Film „Million Dollar Hotel“ aufgegriffen wird, der sich auch auf das Video von U2 und die sich an die späten 1960er anknüpfende Zeit anlehnt. Er ist im Gegensatz zu Wenders früheren Werken „Der Himmel über Berlin“ und „In weiter Ferne so nah“ ein Film über die Underdogs, die ganz zarten, zerbrochenen und zerbrechlichen Menschen, die in Kaschemmen wie dem „Million Dollar Hotel“ ihr Leben fristen müssen. Es gelingt diesem Film dennoch auch, das Ganze nicht als tristes Elend zu zeigen, sondern ganz zart das Wunder aufscheinen zu lassen, das sich zwischen diesen angeblich so „kaputten“ Menschen ereignen kann.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 06.08.2021.
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