Patrick Rabe

Jeder geschlossene Raum

Jeder geschlossene Raum

(Drei Psychiatrie-Gedichte)

 

2008, Klapse

In mumpfigen Klamotten sitzen,

im dunkeln Fernsehraum früh schwitzen,

weil da die Heizung aufgedreht,

der Fernseher… Zum Glück, er geht.

 

Gleich Morgens immer MTV,

denn Hoffnung fand man anders nie,

in diesem schmutzigen Gebäude,

Leid fließt von Wänden, auch ich leide.

 

Sie ist ja grade erst gestorben,

hat über mir nach Licht geworben,

weil sie es nicht auf Erden fand,

oh, wie vermiss‘ ich ihre Hand.

 

Und der auf Koks, halb auf Entzug,

übt in den Gängen Selbstbetrug,

doch er wird nie ein anderer,

mein Nachbar nennt mich „Wanderer“.

 

Und S. sitzt neben mir und kuschelt,

hat sich in Trost hier eingemuschelt,

Und U. spricht dankbar von Bob Dylan,

von Liebe auf den Plattenrillen.

 

Und J. übt auf dem Klo Gitarre,

wo noch was liegt von heißer Ware,

die der auf Koks hat eingezogen

durch seine Nase. Ungelogen.

 

Dann malt er auf die Wand im Flur

die Frau des Teufels, Bab’lons Hur‘,

und sagt: „Sie trinkt gern Tee mit mir,

doch heute ist sie grad‘ nicht hier.“

 

Mein neuer Zimmernachbar sieht

wie Jimi Hendrix aus, auf Speed,

das aus Musik bestand,

flirrt hier die E-Gitarrenhand.

 

Und als wir dort improvisier’n,

werden die Wölfe fast zu Tier’n,

die man possierlich streicheln könnt‘,

bei „Child in time“ der Himmel brennt.

 

Und morgens wieder MTV,

denn Hoffnung fand man anders nie,

als nur, wenn die Musik erklingt,

Amy Mc. Donald Tröstung singt.



Freitag, 18. Februar 2022, Hamburg.

© by Patrick Rabe, 2022

 

 

Gewidmet meiner Zeit in der halbgeschlossenen Psychiatrie und der Tagesklinik

nach dem Suizid meiner Lebensgefährtin Roxana.

 

Für Amy Mc.Donald, Linkin Park, Duffy, Alanis Morissette, A fine Frenzy… In Dankbarkeit.

 

Und für Sarah, Ursula, Julius, Juliane, Saskya, Rebecca, Vicky, Alex, Dirk, Martin und Vera.

 

Ich hoffe, es geht euch gut.

 

Bei Julius und Juliane handelt es sich um völlig verschiedene Menschen. Julius – ein Physiker, und Juliane, eine freundliche Transfrau, die einmal ein Mann war. Was beide verband, und mich mit ihnen beiden, war unsere Begeisterung für die Musik der 60er Jahre, die wir auch immer viel selber spielten und sangen. Denkwürdig zum Beispiel Julianes Performance von „Across the Universe“. Meine Versionen von „All along the watchtower“, „Atlantis“ und „Child in time“ sollen ja auch ganz gut gewesen sein…

 

 

Patrick Rabe, Freitag, 18. Februar 2022, Hamburg.

 

© by Patrick Rabe

 

***

 

Runtergerockt (Mit Beschluss in der Klapse)

 

Mein Kumpel ist mit Beschluss drin,

er ist nicht in Belarus drin,

jetzt sitzt er einsam im strömenden Regen,

und kann sich vor Trauer kaum noch bewegen.

 

Man hat ihn langsam runtergerockt,

seine Talente abgezockt.

Er soll nicht mehr singen, am Liebsten nur kiffen,

und obdachlos gegen Wände schiffen.

 

Er war schon so oft in der Psychiatrie,

und sehr weit gekommen ist er draußen nie.

Dabei ist er Musiker und ein Genie,

die Songs flogen zu ihm, man wusste nicht wie.

 

Ob Rock oder Reggea, Crossover und Punk,

er konnt‘ alles spielen, nun nennt man ihn krank.

 

Wir war’n junge Künstler,  `ne riesige Clicque,

Dichter und Schauspieler, Musiker, Sicke,

wir lebten den Traum, den and’re nur träumen,

und brachen zusammen durch zu neuen Räumen.

 

Bewusstsein erweitert, von Zeichen geführt,

und haben die Ankunft des Heilands gespürt.

Wir waren zu links und zu frei für die Zeit,

wir waren zwar high, doch nicht immer breit.

 

Wir wollten nach oben, das ganz große Ding,

doch dann man uns mit diesem Misstrauen fing,

dass der Staat gegen alle hat, die frei agieren,

sie sind nicht zu fassen und zu kontrollieren.

 

Sie stellen sich nicht in marschierende Reih’n

Und ordnen sich nicht in Konformität ein.

Sie sind es, die gegen Faschismus anrocken,

und kriegen dafür von den Bull’n auf die Glocken.

 

Oft warnen sie auch vor subtileren Feinden,

die alle in ihren Saugstrahl eingemeinden.

 

Sie sind diesem Staat eine Spurbreit zu ehrlich,

ihre Kunst funkelt wild, und für jene gefährlich,

die Menschen beherrschen woll’n als Bio-Schutt,

Deutschland, du machst deine Künstler kaputt!

 

Patrick Rabe, Montag, 21. Februar 2022, Hamburg.

 

©by Patrick Rabe, 2022

 

***

 

Gefangen (Gelbe Gänge)

 

In den Gängen der Psychiatrie

roch es nach Blut und vergorenem Hass.

Schreiende Münder, schreiende Augen,

Rempeln in Gängen, zerbrechendes Glas.

 

Es roch, als wären hier Menschen gestorben,

doch nachgebessert in freundlichem Gelb

sah man kein Leiden und sah man kein Morden,

nur Patienten, die eine Pizza bestellt.

 

Und den Besuch führte man zu den Sesseln

In den klaustrophobisch stets zu kleinen Raum,

er war mit dem Weißlicht ganz eklig beleuchtet,

das röntgende Ultraviolett sah man kaum.

 

Und doch ging es allen durch Mark und durch Knochen,

der Besucher wollt‘ geh’n, der Patient blieb allein,

in der Küche sollt‘ heut ein Forensiker kochen,

der Ofen ging hoch, es roch nach totem Schwein.

 

Und auf nacktem Boden brach einer zusammen,

und rief stammelnd aus: „Jesus, wo bist‘ geblieben?“,

und aus der Küche, da schlugen jetzt Flammen,

an die Türe hat einer „Der Ekel“ geschrieben.

 

Patrick Rabe, Montag, 21. Februar 2022, Hamburg

 

© by Patrick Rabe , 2022

 

***

 

„Jeder geschlossene Raum ist ein Sarg.“ ist eine Zeile aus dem Blumfeld-Song „Verstärker“.

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