Ingrid Baumgart-Fütterer
Szenen aus dem Altersheim
Vorspann
Sie war einfühlsam und intelligent,
engagierte sich gesellschaftlich stark
organisierte mehr als ein Event,
war bis zu ihrer Erkrankung autark.
Sie genoss ihr Leben und Mutterglück,
war beruflich erfolgreich und gefragt,
als Witwe entrückte sie Stück für Stück
der Außenwelt - war dement und hochbetagt -
- Inzwischen ist sie am Tiefpunkt ihres Lebens angelangt -
In ihrem Kopf gehen die Lichter aus,
"lichte Momente" gibt,s nur ab und an
sie schlägt um sich, schreit sich die Seele raus,
hält den Enkel für ihren Ehemann.
Sie nimmt den Handspiegel aus dem Nachttisch,
ihr Spiegelbild ihr völlig fremd erscheint,
sie ärgert sich darüber fürchterlich,
schäumt vor Zorn, zieht Grimassen, spuckt und greint.
Dann trampelt sie auf dem Spiegel herum,
Scherben schneiden in die nackten Füße
sie schmerzen, bluten, vor Schreck wird sie stumm,
saurer Schweiß dringt aus jeder Schweißdrüse.
Kurzzeitgedächtnis ist wie ausradiert,
immer mehr Worte sind ihr entfallen
sie kriegt nicht mit, was im Moment passiert,
zehn Finger sich in die Windel krallen.
Mit ihrem Kot verschmiert sie die Wände,
Heizrippen, Fensterscheiben ebenso,
ihr Blick starrt ins Leere, er spricht Bände,
sie taumelt ins Bad, greift tief in das Klo.
Kreischend reißt sie sich das Nachthemd vom Leib,
läuft unbekleidet hinaus auf den Gang,
gibt sich hin ihrem liebsten Zeitvertreib,
sie tänzelt, stimmt an einen Kehlgesang.
Pflegerinnen bringen sie aufs Zimmer,
duschen sie, ziehen ihr ein Nachthemd an,
der verschmierte Kot stinkt schlimm und schlimmer,
jede putzt den Schmutz weg, so schnell sie kann.
Jetzt klart ihr Bewusstsein kurzzeitig auf,
sie bedankt, entschuldigt sich, ist beschämt,
weint bitterlich, lässt den Tränen freien Lauf,
ist vor Schreck und Entsetzen wie gelähmt.
Im Nu ist der "lichte Moment" vorbei,
vergessen ist, was kurz zuvor geschah
ihre Welt versinkt ins graue Einerlei,
ihr "früheres Ich", das ist nicht mehr da.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 02.05.2022.
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