Christina Gerlach-Schweitzer

Wunderschöne Tiere

Ich hatte seine Geldbörse gefunden, unten im Park,
in einem Gebüsch hängend, gleich bei dem kleinen Ententeich.
Das Geld war weg, aber die Papiere waren noch drin.
Ich hatte ihn angerufen und ihm das mitgeteilt.
Ich fuhr in den sechsten Stock und betrat seine Wohnung.
Er setzte sich in der Küche an den Tisch.
Auf dem Tisch lag diese grau-orange Wachstischdecke,
darauf ein Telefon und ein verkrümelter Teller.
Ein Rollator stand auch dort.
Er erzählte, dass ihn seine Frau schon vor Jahren verlassen hatte.
Er hatte niemanden, der sich um ihn kümmerte.
Das brauche er aber auch nicht, sagte er.
Das gäbe doch immer nur Ärger.
Er führte mich ins Wohnzimmer.
Ein großer Raum mit weißen Wänden.
Ausgestopfte, gewaltige Tierköpfe hingen dort,
an allen vier Wänden hingen sie.
Ringsum große Geweihe, riesige Gehörne,
afrikanische Tiere, die ich nicht kannte.
Aber auch Oryxantilopenköpfe und die Köpfe von Kudus,
mit großen, dunklen, glänzenden Glasaugen
in starren, braunen oder beigen Köpfen
mit harten, schwarz lackierten Nasen.
Köpfe und Felle gewaltiger toter Tiere
auf Holzträgern an die Wände gehängt.
Sonst war sein Wohnzimmer völlig leer.
Die Tiere mussten wunderschön gewesen sein.
Lebendig, atmend, mit dunklem Wimpernschlag
und dem Geruch von Wärme,
fressend und springend in der gelben und roten Savanne.
Ich starrte,
verstummte und fror.
Die Wohnung war kalt.
Ich atmete langsam und leise.
Dieser Mann?
Dieser eine Mann?
Er stand seitlich hinter mir. War das sein Glück?
Fast unmerklich nickte er, sacht und grau.
Lächelte er?
Kälte höhlte mich aus.
Wer nimmt all das Zeug, wenn er mal tot ist?
Alles Müll.

 

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