Lars Weiper

Die alten Hände

Die alten Hände, kalt und fahl und rau,  
wie Erde, die im Herbst den Frost empfing,  
gezeichnet von der Zeit in tiefem Blau,  
ein dunkles Netz, das sich in Falten ringt.  
Sie wirken wie ein Ast, im Sturm verbogen,  
vom Wind der Jahre mühsam, steif bewegt,  
die Narben, Serifen, in Linien eingezogen,  
ein stiller Fluss, der durch das Alter trägt.

Es sind die Hände, die das Leder spannten,  
die Seile knüpften, Netze fest umschlugen,  
die an den Segeln zogen, trotzig standen,  
wenn Wellen sich in hohen Bogen wogen.  
Sie fanden Halt in Sturm und kaltem Meer,  
sie hielten fest, was stets vom Wind bedroht,  
die Knoten festgezurrt, die Leinen schwer,  
und packten zu, auch wenn die Hoffnung floh.

Sie sind die Zeugen längst vergang'ner Tage,  
ein Archiv aus Fleisch, in Riefen eingekerbt,  
sie tragen heimlich eine leise Klage,  
von dem, was war, was einst das Herz begehrt.  
So oft geglitten über Pergament,  
so oft gegriffen in den Schoss der Nacht,  
sie halten sich, als wären sie gelenkt  
von einer Macht, die über alles wacht.

Sie fassen nichts mehr, was im Griff verweilt,  
sie greifen sanft, und alles fließt dahin,  
denn ihre Kraft ist längst schon fortgeeilt,  
und doch bleibt in der Geste tiefer Sinn.  
So viel schon losgelassen, hingeschwunden,  
so viel gehalten, was der Wind verweht,  
sie sind ein Schweigen, das durch Raum und Stunden  
mit milder Weisheit über Welten geht.

Und wenn sie ruh'n, als wär' die Welt entschwunden,  
so heben sie sich sacht zum letzten Gruß,  
denn in den Furchen, bedeutungsvoll verbunden,  
liegt alles, was das Leben geben muss.  
Die alten Hände, die das Sein bewahren,  
die Zeit mit jedem Finger lind berührt,  
sie ruhen nun, nach all den langen Jahren,  
und doch ist alles, was sie sind, gespürt.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 16.09.2024. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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