Thomas Spiekermann

Globalisierung (Wut des kleinen Mannes)

Wenn man durch das Städtchen bummelt
und der Darm gar böse grummelt,
sollte man zu Karstadt rennen
und sich von seinem Ballast trennen.

Die Mitarbeiter sind zwar fort,
doch nicht - zum Glück - der stille Ort.
Die Klofrau ist, das stimmt mich heiter
seit heute auch noch Kaufhausleiter.

Ein paar mittellose Säufer
spielen Fleischwurstfachverkäufer.
In der Etage für die Damen,
die früher gern zum Bummeln kamen
regiert, so konnte man es lesen,
die Putzfrau mit dem Reisigbesen.

Im Musikshop riecht’s bäuerlich
und bei den Herren säuerlich.
Bei den Dessous stinkt’s nach Benzol,
im Souterrain mieft’s nach Karbol
und beim Käse in den Tresen,
dampft’s als würde was verwesen.

Das Buch in dem man gerne schmökert
wird von einem Typ verhökert,
der vor dem großen Wirtschaftstief
oft unter der Brücke schlief.
Und statt der Computerkassen
steh’n überall nur - Untertassen...
Die Idee so doof, dass man sich kringelt,
ist, dass die Kasse endlich klingelt.

Das Arbeitsamt in seiner Not
schickt das letzte Aufgebot.
Die Leute sind zwar mäßig willig,
doch Karstadt freut’s, denn sie sind billig.
Und statt bei der Verkaufsanbahnung
Betätigt man sich mangels Ahnung,
(schließlich ist man Quereinsteiger),
als vogelscheuchengleicher Schweiger.

Die Kosten, das war zu erwarten,
sinken in fast allen Sparten,
doch geht der Umsatz immer schneller
mit den Kosten in den Keller.
Denn entgegen der Erwartung;
der Kunde will trotz Geiz - Beratung,
obwohl es ihm ,wie man erzählt,
enorm am Zahlungsmittel fehlt.

Schließlich hat doch jetzt der Pole
volkswirtschaftlich unsre Kohle
Denn gelockt vom Hungerlohn
zieht die deutsche Produktion
wegen viel geringrer Kosten
lemmingleich in Richtung Osten.

Opel droht ganz unverhohlen
mit Verlagerung nach Polen.
Bayer ist zwar noch nicht da,
doch will man nach Malaysia,
wo Siemens, das hier Leute feuert,
seit Jahren den Gewinn versteuert.

Da wundert sich der kleine Mann,
wie das funktionieren kann.
In Deutschland muss man stempeln gehn,
beim Arbeitsamt um Stütze flehn,
muss sich zum Hungerlohn verdingen,
um seine Kinder durchzubringen.
Deshalb können wohl die meisten
sich Karstadt einfach nicht mehr leisten.

Und die Wirtschaft stöhnt und klagt
Über unsern Binnenmarkt,
der ganz tief am Boden liegt
weil Geiz als Volksparole siegt.

So treibt man die Konsolidierung
weiter mit Globalisierung,
obwohl man weiß, dass Dividende
füllt zuerst mal jene Hände,
die von des Füllhorns schönen Gaben
ja ohnehin schon reichlich haben.

Man übersieht nicht unbeflissen,
fast so, als würde man nicht wissen,
dass man als Durchschnittsfrau und -mann
Dax und Co nicht essen kann,
und dass, auch wenn die Branche schnauft,
ein Auto nie ein Auto kauft...

Hallo, Freunde des schönen Wortes...

wie man am aktuellen Bezug sehen kann, ist dies Gedicht ganz neu und ich habe meinem Ärger über die Vorgänge Luft gemacht, die viele in unserem Land sehr bedrücken.

Witzigerweise muss ich erst einmal Anette (Esposito) danken, die mich mit ihrem Gedicht über das böse Darmgrimmen erst auf die Idee gebracht hat -

Die erste Strophe fiel mir postwendend innerhalb von einer Minute nach der (zugegebenermaßen nicht immer ganz appetitlichen, aber sehr realistischen) Beschreibung ihrer Übelkeit ein und ich musste dem Impuls widerstehen, sie sofort als Kommentar einzustellen, weil ich mir dachte, dass man mehr daraus machen könnte.

Umso erstaunlicher - auch für mich - was daraus geworden ist...

Irgendwie finde ich das Gedicht noch nicht ganz rund und werde womöglich in den nächsten Tagen noch hier und da was ändern, aber als ich heute hörte, dass der Spiegel dieser Woche titelt: "Deutschland ist Exportweltmeister [Untertitel: von Arbeitsplätzen]", wusste ich - heute ist der rechte Tag dafür...

Besonders wütend macht mich, dass die polnische Regierung für sechs Milliarden Dollar Düsenjäger, also Massenvernichtungswaffen, bei Lockheed kauft
und dass ihr - da sie ja eigentlich soviel Geld nicht mal eben parat hat - die amerikanische Regierung Kompensations-Investitionen in gleicher Höhe zugesichert hat.
Unter anderem deshalb muss und will (dem amerikanischen Lobbyismus sei Dank) General Motors die Produktion des Astra II (mein neues Auto - ich hatte mir mit voller Absicht keinen Japaner gekauft) und des neuen Zafira nach Polen verlagern...

Noch eine kleine Erläuterung zum letzen Vers:
Er bezieht sich auf ein Zitat von Henry Ford, der einmal gefragt wurde, warum er so viel Geld und Engagement ins Wohlergehen seiner Arbeiter investiert. Seine Antwort lautete:
"Weil Autos keine Autos kaufen!"

Ich selbst bin zwar selbständig, bin am Ort aber mit meinem Reisebüro sehr vom örtlichen Werk der Bayer AG abhängig - jede negative Veränderung im Säckel der hiesigen Arbeiter wirkt sich lähmend auf die gesamte Infrastruktur aus, und betrifft kleinere Unternehmer und Angestellte der Industrie gleichermaßen...

Insofern teile ich Wut und Sorge der Bevölkerung nicht ohne Grund, habe aber keine Ahnung, wie wir diese Lawine aufhalten wollen...

Nachdenkliche Grüße
Thomas
Thomas Spiekermann, Anmerkung zum Gedicht

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