Susanne Aukschun

Die Fraktur (2003)

 
Mein lngo ist ein toller Mann, den ich ja sehr gut leiden kann.
Wir lieben uns schon lange Jahre, zusammen woll'n wir graue Haare.
 
Er schuftet viel, wie ich so sehe, wenn ich mich auf dem Drehstuhl drehe.
Denn so ein Mann, der ist arm dran, schleppt haufenweise Taler ran.
 
Er schubbert meist den ganzen Tag, was man ihm gerne glauben mag.
Schon in der Frühe ist er wach, wenn ich ihm einen Kaffee mach'.
 
Dazu TV und einen Kuchen, den Rest muß er sich selber suchen.
Denn meist muß ich schon sehr früh los, auch wenn ich schreiben tue bloß.
 
Mit mir hat er's nicht immer leicht, wenn diese Aussage man reicht.
Da trifft ihn schon ein neuer Schock: der Bruch in meinem Wirbelblock.
 
Geknackt hat es an einer Stelle, ganz ohne Blut oder ,ne Delle.
Beim Reiten war's - in der Dressur, beim Sitzenbleiben war es nur.
 
Gemein ist an der ganzen Sache, was ich mir auch nicht einfach mache,
dass man den ollen Bruch nicht sieht und gar nicht merkt, wenn was geschieht.
-
Denn eigentlich, da bin ich fit, möcht' gern bei jedem Ausflug mit.
Und eigentlich könnt' ich's auch machen, vielleicht geht das ja ohne Krachen?
 
Doch wenn es kracht, dann wär das schlimm, dann ist mein ganzes Leben hin.
Ne Querschnittslähmung scheint ganz dicht und die möcht' ich nun wirklich nicht.
 
Muß ein Korsett jetzt täglich tragen, zu bücken darf ich mich nicht wagen.
Darf mich nicht drehen oder wenden, denn dieses konnte böse enden.
 
Ich darf nicht stehen und nicht sitzen, muß mit dem ollen Ding so schwitzen,
denn die Korsage, die sitzt eng - und wenn ich esse, machts fast ,,peng“.
 
Die Knochendichte ist nicht doll, der Knochen ist nicht so ganz voll.
Ich mich das kaum zu sagen trau, hab' Knochen wie ,ne alte Frau.
 
Drum übe ich das mit dem Schonen, es wird sich eines Tages lohnen.
Obwohl es ist nicht meine Schuld, ich brauch' jetzt ziemlich viel Geduld.
Über den Chef, da bin ich froh, denn der sieht das ganz ebenso.
Sagt zu mir ,,Madel, laß' Dir Zeit und komm' erst wieder, wenn dat geit".

Frau R. vermißt mich eher schon, ist ziemlich oft am Telefon.
Im Schrank, da rufen mich die Akten - ist nicht gesponnen, sondern Fakten.

Man hat mich dort nicht abgeschrieben, das wär' auch ziemlich übertrieben,
denn wenn ich liege auf dem Bauch, dann heilt der Bruch ganz sicher auch.

So jedenfalls die Theorie, denn in der Praxis klappt das nie.
Warum, das will ich gern beschreiben, sollt' aber unter uns schon bleiben:

Ende April fing alles an, kam also mit dem Bruch da an.
Ende April brauchte ich Pflege und eigentlich von lngo Hege.

Seither muß er hier ,,alles machen" - sagt er fast jedem (ich muß lachen)
ist so ,,den ganzen Tag auf Tour', ich lieg' auf meiner Couch ja nur ...

Die Leute glauben's, das ist gut, weil lngo das sehr gut meist tut.
Ich streichel ihn oft auch noch dann, denn Zuwendung braucht so ein Mann.

Die meine Krankheit tut sehr plagen, den armen Ingo, muß man sagen.
Es tut mir ja so schrecklich leid, mein Liebling der ist chronisch breit.

Der arme Mann hat viel zu leiden, denn latscht er nicht nur über Weiden,
muß viele, viele Pferde reiten und zum Turnier sie auch begleiten.

Zuhause heißt es Rasen mähen (dort, wo es alle Nachbarn sehen),
die Koppeln muß er umgestalten und mal die Füße höher halten.

Der arme lngo muß viel schuften (doch meist geht er zuvor verduften).
Die Nudeln bleiben draußen steh'n, ,,es wird mal ohne Kühlung geh'n ..."

Der Teller, der bleibt auf dem Tisch, ich seh’s, als ich dort überwisch'.
Die Wärmeplatte ist noch an - mit starkem Kaffee für den Mann ...

Die Socken find ich auf der Couch, tret' auf ,nen Nagel auch noch, autsch!
Der Rest ist auf dem Flur verteilt, man ist gleich schnell in's Bett geeilt.

Drum räum' ich auf noch schnell ein bissel, bevor ich selbst mich dann verpissel.
Mein Ingo, der schläft tief und fest, er schnorchelt wie ein Wespennest.

Beim Schnarchen sägt er einen Baum, ich selbst schlaf' daher meistens kaum.
Er ist so müd' und sehr geschafft, fühlt sich ganz down und abgeschlafft.

Urn ihn nicht allzu sehr zu stressen, ich koche ihm ein lecker Essen.
Ich nehm' ihm ab, was halt so geht, damit er alles übersteht.
Muss Küche, Bad und Hof noch fegen, das kommt dem lngo sehr gelegen.
Der Abwasch stapelt sich sehr hoch, ist vom Besuch, von damals noch.

Danach muß ich schnell zu den Hunden, die drehen draußen ein paar Runden.
Sie haben heut' sehr gut gefressen und auch schon ,,auf dem Pott" gesessen.

Bei dem Versorgen meiner Herde, liegt leider alles auf der Erde.
Das Säubern hat so seine Tücken, denn dabei muß ich mich meist bücken.

Die Tuppen sind schon wieder leer, da plätschert lange schon nichts mehr.
Bei Hitze mach' ich mich zum Deppen und muß das Wasser selber schleppen.

Nur altes Stroh muß bleiben liechen, kann nicht mehr in die Hütten kriechen.
Es ist vergilbt und schon ganz schmutzig, doch lngo macht das gar nicht stutzig.

Am Abend schleppe ich die Kohlen, muß sie noch aus dem Keller holen.
Der Staubsauger steht auch dort rum, schlepp' mir damit den Buckel krumm.

Ich sauge, putze, bügle, wische - die Bänke, Fenster oder Tische,
die Wäsche schleudert immer noch, die bringe ich dann später hoch.

Frau Seefeld, die bringt ein Paket, bei dem's nicht ohne Karre geht.
Im Garten muß ich Unkraut hacken, Geschirr in die Vitrine packen.

Die Freunde kriegen ein paar Karten, auf die sie schon sehr lange warten.
Den der Geburtstag ist vorüber, seitdem ist auch die Stimmung trüber.

Am Horizont es leicht gewittert, vor dem der Brösel schwer erzittert.
Ich hol' die Pferde in den Stall, geb' Nachbarskindern ihren Ball.

In meinem Zimmer liegt Papier. Ojeemine - was macht das hier?
Die Hälfte ist wohl locker über, mach' Augen zu und steige drüber ...

Möcht' heute gern noch Fotos kleben, doch das ist eher aufzuheben.
Denn dafür reicht die Zeit nicht mehr, ist traurig schon und kränkt mich sehr.

Die Treppe muß ich schließlich wischen und abends Eßbares auftischen.
Kartoffeln muß ich auch noch schälen und mich mit vielem and'ren quälen.

Die blaue Tonne muß noch raus, danach muß ich in's Krankenhaus.
Danach geh' ich zu Penny rein, muß irgendwas im Kühlschrank sein.

Getränke ha'm wir auch nicht mehr, das stresst den lngo viel zu sehr.
Drum kaufe ich nur ein paar Dosen, die passen in der Tasche Hosen.

Den Abend ich beim Fernsehn' steh', denn da tut mir das Kreuz dann weh.
Kann nicht mehr auf dem Rücken liegen oder mich anderswie verbiegen.
Mein armer Mann ist schwer geplagt, was er fast täglich jedem klagt.
Er kann erst dann mal wieder lachen, wenn ich darf wieder alles machen.
So pflegt mich lngo jeden Tag, die ,,Schonung" ich fast kaum vertrag.
Doch mit Geduld und etwas Mut wird sicher bald schon alles gut.

Für heut' ist Schluß, ich muß jetzt gehn'. Das werdet Ihr ja wohl verstehn?!
Die Pferde, Hunde und das Huhn - ich hab noch furchtbar viel zu tun.

Mit nicht ganz ernsten Grüßen
 
01.06.2003

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 06.07.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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