Leila Schneider
Alle Tassen im Schrank
Ich habe heut Geburtstag.
Mann! Wird das ein Fest.
Ich bin schon ganz gespannt darauf,
was sich mir schenken lässt.
Ein Pyjama von Mami,
so rosa, weich und schön.
Ne Pralineschachtel noch dazu,
ich lass es mir gut gehen.
Ein feuchter Händedruck von Päuli,
von Rolf nicht mal ein Gruss.
Von Dorli keine Karte,
ich ess mein Apfelmuss.
Und während ich es esse,
und vor mich hinstudier,
denke ich: "Oh Jesses!",
da ist wer an der Tür.
Ich renne schnell entgegen,
und schliesse auf, das Schloss.
Draussen steht die Schwester,
der Schwager und ihr Spross.
Die Schwester ruft laut "Huuuhuuu!",
der Schwager sagt: "Hallo."
Das Hündchen, es macht: "Wuwu!",
der Spross, der plärrt dazu.
Ich seh ne grosse Tasche,
"sind da Geschenke drin?"
frag ich, mit meiner Masche,
weil ich so freundlich bin.
"Kommt doch herein und setzt euch,
der Teppich ist noch frei.
Wollt ihr Kekse oder Kuchen?
Kaffee ist auch dabei."
Ich setz mich an den Tisch hin,
während ich auspack.
Ja, was ist denn da drin?
"Oh, ne Tasse, welch ein Glück!"
sag ich, und denk mit schlechter Miene,
die Achtundvierzigste ist das.
Ja, gibt es denn nichts anderes,
was ich mir schenken lass?
Ich stell sie auf den Tisch hin,
schneeweiss, wie sie ist.
Meine Schwester sagt mir hoch erfreut,
dass sie "Schwangefieder" heisst.
"Oooch, vielen Dank, ich freu mich so,
ein herrliches Geschenk!"
Mann! Welch eklige Heuchelei,
ich beim Auspacken denk.
Als zweites kommt zum Vorschein,
ne Schachtel aus Karton.
Und davon der Inhalt:
Hab ich den Verstand verlorn?
Drin steckt eine Tasse,
mit Schokolädchen drin.
Das ist doch voll krass, eh,
was kommt denn denen in den Sinn?
Glaub'n die, ich verdurste
Sonst, übers ganze Jahr?
Ich könnte sie verwursten!
Mensch! Das ist doch wahr.
"Ach Schwesterchen, ach Schwägerchen,
ihr seid so furchtbar nett.
Es ist doch immer wieder schön,
welch Mühe ihr euch gebt."
So wie ein schönes Sprichwort sagt,
sind aller guten Dinge drei.
Drum pack ich aus, das Dritte,
und mir wird schlecht dabei.
Denn was ich vorfinde,
hinterm Glitzerglanzpapier,
das geht, ich sag's gelinde,
in keine Kuhhaut mehr.
Eine blaue Tasse,
mit einem Sprüchlein drauf.
Ich kann es kaum noch fassen,
jetzt geb ich's wirklich auf.
Was soll ich mit drei Tassen,
wo ich jetzt fünfzig hab?
Von der Schwester und dem Schwager,
geschenkt an manchem Tag.
Zu Weihnacht und zu Ostern,
zum Klaus und im Advent.
Die sind das beste Beispiel,
wie man Geld verschwendet.
Zu allem Übel muss ich Lächeln,
krieg gleich nen Lippenkrampf.
Muss gute Miene machen,
das ist ein echter Kampf.
Und als die Gäst gegangen,
denk ich, ich wird glaub krank.
Ich zähle alle Tassen,
fünfzig sind im Schrank.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 18.02.2003.
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