Cora Corell

Sehnsucht nach der verlorenen Welt

Gerade sagte ich zu Dir: “Das darfst Du nicht!“

Gerade sagte ich zu Dir: „Dort darfst Du nicht spielen!“

Gerade sagte ich zu Dir: „Dort darfst Du nicht hingehen!“

Gerade sagte ich zu Dir: „Du musst leise sein!“

 

Und nun sehe ich in Dein trauriges Gesichtchen

Und verstehe, warum Du nun überhaupt keine Lust

Mehr hast, irgendetwas zu unternehmen.

 

Und es bricht mir schier das Herz

Dich so bedrückt, still und von Verboten und Regeln

Umgeben, ja, eingekreist zu sehen

Und überall und ständig alles bedenken

und einhalten zu müssen

 

Und ich weiß, es müsste anders sein

Ich weiß, so wirst Du ein gehemmter und unfreier Mensch

Ich weiß, dass die Kindheit so keine Freude macht

Ich weiß, dass Du am Spielen nicht mehr viel lustig findest

Ich weiß. Dass Dich die Unfreiheit bedrückt

Und viel zu schnell erwachsen werden lässt

Dir die unbeschwerten Jahre eines Kindes raubt

 

Und ich denke voller Sehnsucht zurück an früher, als

 

Die Dörfer voller vertrauter Gesichter

Voller Bauernhöfe, Kinder und Tiere

Die Häuser und die Zäune aus Holzstaketen

noch heimelig und alt sein durften

Die Feierabendbänke vor den Anwesen

Die Alten im Dorf mit ihrem herrlichen Dialekt

Den unzähligen Runzeln und Falten des Alters und der Weisheit

Die zu Hause lebten und bis zuletzt dazu gehörten

Den Wäscheplatz, die Bleiche, den Dorfplatz

Das Backhaus mit dem herrlichen Duft von frischem Brot

Mit den herrlichen alten Linden und Eichen

Das alte Spritzenhaus und die kleine Kirche

Den Dorfarzt, der jeden von Geburt an behandelte

Den kleinen Dorfladen mit den vielen Süßigkeiten

Die etwas Besonderes und die Ausnahme waren

Die Wiesen und Felder noch saftig und grün

Voll mit herrlichem Unkraut wie Rittersporn, Klatschmohn

Die wir pflückten und stolz nach Hause schleppten

Und Gänseblümchen, aus denen wir Kränze wanden

Die Feldwege noch steinig

Und nach dem Regen schlammig waren

Die Gärten noch voll herrlichem Essbaren standen

mit Obststräuchern, Erdbeeren, Bohnen, Erbsen

als die Kartoffelkäfer noch gerne lebten

und gemeinsam die Äcker überfielen

das ganze Dorf ging Rüben verziehen

und Kartoffeln häufeln, auch die Kinder halfen mit

die stärkende Brotzeit mit dem Pferdewagen gebracht

mit dem hölzernen Handwagen zu den Pflanzplätzen gezogen

Johannisbeeren frisch von der Rispe am Strauch

Den Bauch vollgeschlagen mit Kirschen direkt vom Baum

Pflaumen, Äpfel, Zwetschgen, Birnen aus der Hand in den Mund

aus dem Dorfteich die Blutegel gefischt wurden

barfuss aus dem Bach die Molche und Kaulquappen

Geburtstage, Todesfall, Hochzeit und Firmung

Jeder nahm an allem ganz selbstverständlich teil

Auch die Hilfsbereitschaft war stets vorhanden

Die Menschen sich kannten, trafen,

sich erzählten und einander zuhörten

die Strassen noch ruhiger und

Von uralten Bäumen umsäumt

Die niemanden störten

Der Verkehr nicht so dicht

 

Das Frühjahr mit Krokussen, Maiglöckchen und Osterfeuer

Dem Vorbereiten und Pflanzen

Die heissen Sommer voller Planchen im Bach,

Baden im See und Radfahren, Rollschuhlaufen,

gegen den Durst den selbst gemachten Obstsaft

den Kinder-Hunger mit Stullen gestillt

Den Herbst mit Erntedank und Drachensteigen

Kartoffelfeuern und Rübenernte

mit Grünkohl Und Rhabarberkuchen

Die kalten Winter mit meterhohem Schnee

Schlittenfahrten, Schneemännern, Schneeballschlachten

und selbst gebauten Sprungschanzen und Iglus

 

Das Leben im Einklang mit der Natur

Und die Tradition der Generationen

Noch etwas selbstverständliches hatte

 

Jetzt habe ich sicher noch so vieles nicht erwähnt

Das meine Kindheit so schön und reich gemacht hat

In meinem herzen bewahre ich das alles auf

Als Erinnerungen fein säuberlich gehegt

 

Aber mein Herz blutet bei dem Wissen

Das Du, mein Kind, all dies niemals kennen lernen kannst

Denn dies alles gibt es längst nicht mehr

Nicht einmal im kleinsten Dorf blieb die Zeit stehen

 

Heute dürfen sich Kinder und Tiere nur noch

Nach höchstrichterlichen Zeitplänen

Natürlichem Lärm und Lauten hingeben

Heute ist jeder Baum zu viel, jedes Kind zu laut

Jedes Tier zu lästig und der Nachbar fremd

Jede Musik überlaut, jede Party ein Besäufnis

 

Zu viele Menschen gemein und brutal

Zu vieles verboten, zu wenig noch möglich

Zu viele Triebtäter in Freiheit

Zu viele Verbrechen und kleine Strafen

Zu viel Angst in den Menschen

Zu wenig Geld in den Strümpfen

Zu wenig Zeit und zu viel Hast

Zu wenig Geduld und zuviel Verlangen

Zu viel Ungerechtigkeit und zu wenig Verständnis

 

Direktive der Zeit:  Kinder nicht erwünscht

Nur im Interesse der Rentensicherung geduldet

 

Das bäuerliche Leben starb dahin –

Auch die Besinnlichkeit

Und der herrliche Zauber der Ebenmäßigkeit

Eines ganzen Zeitalters wurden damit ausgelöscht

 

Mein Kind, es tut mir so unglaublich leid,

das ich Dir diese kaputte Welt

am Rande der Katastrophe

als Platz für Kindheit und Leben zumute

aber eine andere kann ich Dir nur

in Bildern aus meinen Erinnerungen

zeigen und schenken.

 

Ich liebe Dich so sehr –

Doch ich weiß nicht, ob es richtig war

Dich zu empfangen ..

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 11.05.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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