Hungki Park

Ich wäre gerne bei dir geblieben

1. Gestern früh klingelte es. Was erfuhr ich? Du meine Güte!
Du seiest in der Nacht von Samstag auf Sonntag gestorben.
Mein Gott, das müsste ein einfallsreicher Aprilscherz sein.
Wer schenkte da so einem derben, schwarzen Humor Glauben?
Denn du brachtest noch vor gestern chinesische Delikatessen.
Und wir alle führten sie unter vielem Geplauder zu Gemüte.
Hast du uns jetzt tatsächlich ein für allemal verlassen?
Kannst du uns auf diese Weise einen Streich spielen? Nein!

2. An demselben Tag besuchte ich das Leichenhaus.
Dein schelmisches junges Porträit empfing mich.
Zögernd ließ ich zwei Räucherstäbchen brennen,
Deren weiße Rauchfahne stieg auf im Nu zu dir.
Danach setzte ich mich auf den kalten Teppich,
Nahm ohne Worte, Gefühl kargen Leichenschmaus,
Schlürfte fassungslos, voller Wehmut Dosenbier.
Könnte man doch mit Alkohol Trübsal verbrennen!

3. Die Trauergäste erinnerten mich doch an dein Ableben.
Immer mehr Menschen kamen, die ihrer Trauer aussprachen
Und nicht selten ganz ungehemmt in Tränen ausbrachen.
Ich hörte laute Klagen über dein allzu kurzes Leben.
Man sprach von deiner Nächstenliebe, Selbstlosigkeit,
Unvoreingenommenheit, Weltoffenheit, Schlagfertigkeit,
Deiner künstlerischen, poetischen, rednerischen Ader.
Du hinterlässt ohne Zweifel lauter Verehrer, Bewunderer.

4. Unter den Trauernden war einer aus auf eine Effekthascherei.
Der Junggeselle spielte beschwipst; überlaut, in Klamotten.
Stand dann und wann auf, torkelte direkt vor dein Lichtbild,
Tat seine großen Schmerzen kund, schrie unbeherrscht, wild:
Das Leben ist jetzt sinnlos. Man möge ihn gefälligst töten.
Ich machte große Augen, frage mich nach seinem Beweggrund.
Nach Gerücht wäret ihr Liebespaar in einer schwachen Stund`.
Sein Großauftritt endete aber mit einer blutigen Schlägerei.

5. Bei deinem jungen Alter warst du ganz sicher sehr einsam.
Deshalb kamen dir gelegen die zahlreichen Beschäftigungen.
In Zwang sehntest du dich nach Menschennähe, Ablenkungen,
Weil du auch mit Existenzbedürfnissen, Urtrieben lebtest.
Hoffentlich erlebtest du Freude, Glück mit ihm gemeinsam.
Oder nahmst du aufs Geratewohl irgendeinen Weiberhelden,
Der für dich dort war, wenn du dich zu Tode langweiltest?
Jedenfalls konnte ich den Landstreichertyp nicht leiden.

6. Erst nach zwölf Stunden konnte ich erfahren in groben Zügen,
Was zu jener Zeit auf dieser stockdunklen Landstraße geschah:
Du gingst ziemlich verspätet heim, keine Seele fern und nah.
Als ein greller Schein mit Motorgeräusch im Dunkeln erschien.
Wähntest du dich bestimmt, ein schweres Motorrad nähere sich,
Wolltest das Krad anhalten, mühsamen Nachtmarsch zu beenden.
Aber ein einziges Licht ließ nicht erkennen einen Kraftwagen.
Der Chauffeur lenkte ihn in rasendem Tempo und überfuhr dich.

7. Ich hoffe auf Innigste, dass du bei diesem Unfall an Ort und Stelle starbst
Und ja nicht einige Zeitlang in furchtbaren Schmerzen um Hilfe batest,
Zumal deine Verletzung schwer, jede Hilfe sowieso sinnlos wäre gewesen.
Wenn leider Gottes nicht, woran dachtest d in deiner schweren Stunde?
An deine betagten Eltern, Verwandten, engen Bekannten, Arbeitskollegen?
Welches war dein letztes Wort? Was wolltest du bei ihnen hinterlassen?
Wie hast du dich von ihnen verabschiedet? War`s Leben ein Fluch, Segen?
Hörte dir irgendeiner zu und beruhigte dich in der allerletzten Sekunde?

8. Sehr spät kehrte ich heim bezecht, mit einem schiefen Gesicht.
Mein Sternhagelzustand behagte allerdings meine Schöne nicht:
Sobald ich ins Haus eintrat, ging ich schnell in die Toilette,
Entleerte mich sogleich, erbrach mich mit Hilfe meier Lieben.
Sie kriegte Angst, stotterte, sonst eine Frau mit großen Gaben.
Für die letzte Nacht mit dir wäre ich sehr gerne da geblieben.
Dann müssten aber die Kollegen, mein Weib falsch gedeutet haben,
Weil ich gewiss unnötigerweise ein großes Aufsehen erregt hätte.

9. Punkt um halb sechs weckten mich meine zwei genaue Alarmuhren.
Geschwind sprang ich aus dem Klappbett, machte Toilette,
Band mir zum zweiten Mal um eine pechschwarze Krawatte,
Betrachtete mich im Spiegel, verließ danach die Wohnung,
Denn deine Totenmesse findet ja gegen halb sieben statt.
Draußen war es noch recht dunkel, nicht mehr so eiskalt.
Auf einmal spürte ich da intuitiv deine Nähe beim Gehen,
Als umgäbst du mich wie ein Schutzengel mit viel Achtung.

10. Um etwa sechs Uhr erreichte ich das riesige Krankenhaus,
Wo noch zwei Dutzende Trauernde die Totenwache hielten.
Ein paar junge Männer sahen übernächtigt, erschöpft aus,
Sprachen beinahe nichts, verschmähten Getränke und Brot.
Deine Eltern, zerquält, denn dein Tod brach ihre Herzen.
Tränenüberströmt wanden sie sich vor Abschiedsschmerzen,
Hockten stets vor dir, wenn sie von niemand aufgehalten,
Beteten mit gefalteten Händen für deine Seele zu Gott.

11. Du warst Kosmopolitin, verständnisvoll gegenüber allen Religionen,
Obschon du lange eher vom Buddhismus nachhaltig beeinflusst wurdest.
Da du dich in langwierigen Studienjahren bekanntest zum Christentum,
Wünschten sich deine frommen Blutsverwandten von Herzen ein Requiem.
Der Pfarrer wusste erst kurz vor der Predigt einiges über dein Leben.
So tat er bloß seine übliche Pflicht, beschränkte sich aufs Minimum.
Wozu nützen übrigens die eindrucksvolle Rhetorik, der Wortreichtum?
Hauptsache, dass du dein Leben lebtest, Menschen glücklich machtest.

12. Nach einem halbstündigen Requiem nach Schema F standen wir auf im Leide,
Verließen dann das Leichenahaus, gingen die Treppen hinauf, alle wortkarg.
Am Straßenrand stand bereits der Leichenwagen, ein komfortabler Autobus.
An der Heckscheibe las man deinen Mädchennamen, den Ort des Krematoriums.
Das leicht schluchzende Trauergefolge wartet schmerzerfüllt auf den Sarg.
Bald kamst du da im hölzernen Kasten mit einem roten Übertuch aus Seide.
Acht Junggesellen von deinem engsten Bekanntenkreis trugen dich vorwärts.
Wir machten dir leise, einer nach dem anderen, Platz seitlich, rückwärts.

13. Als gleichgültige Totengräber deine Lade seitlich in den Bus schoben,
Brachen die Leidtragenden aufs Neue in verzweifelte laute Klagen aus.
Insbesondere deine Mutter schien in endlosen Totenklagen zu ergehen.
Papa konnte sich auch nicht beherrschen, beklagte dein schweres Los.
Kaum war dein Schrein festgeschnallt, sprang deine Mutti in den Bus,
Denn sie wollte möglichst lange bei dir bleiben, nicht im Leitwagen.
Keine zehn Pferde konnten sie um eine Fingerbreite vom Fleck bringen.
Auch eine flehentliche Bitte deines ältesten Bruders blieb erfolglos.

14. Sobald die Hinterbliebenen einstiegen, setzte sich die Kolonne in Bewegung.
Die blitzblanken Wagen mit langen Trauerbänden, schneeweißen Chrysanthemen
Entfernten sich langsam vor mir, verschwanden in neblige südliche Richtung.
So tratst du ohne Abschied in Begleitung von Nächsten deine letze Reise an.
Leider Gottes musste ich halt zurückbleiben und in die Schule mit der U-Bahn,
Denn die Kursteilnehmer wussten ganz und gar nicht, was dir zugestossen ist.
In der Toilette wechselte ich die Krawatte, ging ich dann in den Unterricht,
Versuchte mich ganz normal, gelassen, gleichmütig, tatendurstig zu benehmen.

15. Ein loderndes Feuer erfasste dich allmählich von Scheitel bis zum Fuß.
Du bäumtest dich noch einmal auf, deine allerletzte Agonie auf Erden.
Nun dein entseelter, willenloser Körper konnte sich nicht behaupten.
Die prasselnde Feuerbrunst äscherte im Nu deine sterbliche Hülle ein.
So ist der Leib aufgelöst in Elemente, Grundbausteine des Universums.
Du bist jetzt ohne Dimensionen und über irdische Naturgesetze erhaben,
Vermagst dich ohne zeitliche Schranke nach Belieben überall aufhalten.
Dein formloser Geist könnte in mir, neben mir, um mich, über mir sein.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 07.07.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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