Kommentare unserer Leserinnen und Leser zur Kurzgeschichte
„Und doch nicht...“ von Marc Hecht


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sartre

29.04.2006
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Warum ist dies, wie ich sage, eine ausgezeichnete Geschichte? Schon die ersten Sätze zeigen, wen man vor sich hat. Oft braucht man gar nicht mehr weiter zu lesen, es wird sich nicht lohnen. Nicht etwa deshalb, weil es sich nicht um einen literarisch ambitionierten Text, so wie unserem Falle handelt, sondern weil der Schreiber gar nicht schreiben kann. Man erkennt es sogleich an der Hilflosigkeit, mit der er seine Sache beginnt; zumeist handelt es sich dabei um eine Kombination aus wirrer Gedankenfolge und inadäquater Formulierung.
Dieser Autor hingegen ist sich seiner Sache, das heißt seiner Sprache sehr sicher und hat, wie seine Geschichten bislang zeigen, seine Stärken vor allem im narrativen Element. (Wenn ich Sprache sage, dann meine ich nicht Grammatik, sondern das Handwerk des Schreibens schlecht hin) Wenn er etwa die Atmosphäre Afrikas schildert, oder wie im vorliegenden Fall mit wenigen, aber trefflichen Strichen die Situation über den Dächern dieser Stadt im Osten zeichnet, folgt man ihm gerne und mit Interesse. Mir scheint dabei wichtig zu sein, dass ein Gefühl von Authentizität vermittelt wird, das man hier auch hin und wieder bei einfachen Geschichten erlebt, die keinerlei literarische Ambitionen haben, dennoch aber Erzählungen betrifft, oft aus der eigenen Kindheit und Jugend, an denen man seine Freude hat.
Was will uns aber der Autor mit dieser Geschichte sagen, welche Erkenntnis vermittelt er uns? Denn, dass er das tut, steht für mich außer Frage.
Nun, ein Mann, schon länger arbeitslos wie so viele in dieser Zeit, hat endlich ein Angebot erhalten und lehnt es aus scheinbar nichtigen Gründen ab. Solche „Empfindlichkeiten“ kann man sich heute nicht leisten, wird gefordert. Nein, eigentlich nicht, wenn auch die hier geschilderte konkrete Situation nur symbolisch für so viele „Empfindlichkeiten“ steht, die man eben nicht zu haben hat – in der heutigen Zeit. Der Mann steht also vor der Frage, ob er in seiner neuen Arbeit unglücklich sein will – er wird sie hassen - oder ob er weiterhin in der Arbeitslosigkeit unglücklich sein will, die ihn demütigt und ihm den täglichen, stummen Vorwurf seiner Frau einträgt.
In meiner Kurzkritik habe ich das vorliegende Dilemma mit dem Satz Adornos „Es gibt kein richtiges Leben im Falschen“ zusammenzufassen versucht. Im Falschen lebt indes unser Protagonist in jedem Falle, denn sowohl in der Arbeit, als auch in der Arbeitslosigkeit ist ein richtiges Leben nicht möglich. Was soll er also tun?
Der Held der Geschichte lehnt die neue Arbeit ab. Schweren Herzens zwar – wie soll er es seiner Frau erklären – dennoch, wie ich meine, richtiger Weise. Das ist zwar nicht im Sinne des Arbeitsamtes oder der Gesellschaft, aber doch ganz in dem seinen. Diese Entscheidung belässt ihm nämlich weiter die Hoffnung auf ein richtiges Leben, während er es im anderen Falle endgültig zu Grabe hätte tragen müssen. Man hat nur das eine kostbare Leben und man sollte daher sehr, sehr sorgsam damit umgehen.

Ja, deshalb noch einmal prononcierter: eine wirklich gute Geschichte! Mit einer ausgezeichneten Sprache, einer logischen Handlung, einer eindeutigen Aussage und mit einer Erkenntniss, die sich einem allerdings erst erschließt – bei einer guten Geschichte wird sie einem nicht auf dem Tablett serviert – wenn man sich auf die sie einlässt.


Marc Hecht (01.05.2006):
Guten Abend, Sartre, vielen herzlichen Dank für die ausführliche Kritik, mit der Du meine kleine Geschichte bedacht hast. Nun kann ich mich als Autor zu einer so wohlwollenden und warmherzigen Kritik schlecht selbst äußern - nur möchte ich zum Anlass, zur Idee ein paar Worte sagen. Es ist die - von Dir ja auch so beschriebene - Symbolik: Wieviel Würde ist heute noch erlaubt? Die Frage der Würde, oder - um es eine Nummer kleiner zu machen, wenigstens die Frage der Zivilcourage. Zumindest in der Arbeitswelt gilt sie ja heute als ein übermäßig egozentrischer Luxus - obwohl wir doch zumindest die Würde des Menschen an sehr prominenter Stelle in unserer Verfassung festgeschrieben haben. Und was der Protagonist dort mit seinem neuen Chef erlebte, geht heute nicht einmal als "Petitesse" durch. Ein wenig provokativ, zugegeben, sollte die Geschichte also auch sein. Ich hatte gerade - nach vielen Jahren - noch einmal das wunderbare Buch "Pelle, der Eroberer" von Martin Andersen-Nexö gelesen - es dann aus der Hand gelegt - und mich entschlossen, diese Geschichte zu schreiben. Also - herzlichen Dank für Deine guten Worte und mit bestem Gruß Marc Hecht

gudrun

29.04.2006
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Naja, ich bin zwar immer wieder froh, dass die Landschafts- und Stadtbeschreibungen nicht zu lang geraten, ansonsten gefällt mir die Geschichte sehr gut. Den Protagonisten kann ich gut verstehen, besonders nach sartres Erläuterungen ;-)

Gerhard, wie immer, eine sehr gute Kritik :-) Solltest öfter machen. Vielleicht als eigene Glossen?

Gudrun

sartre

28.04.2006
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Wieder eine ganz ausgezeichnete Geschichte, wie ich finde. Das "Pass auf Meister" ist die Kröte, die es heutzutage zu schlucken gilt und die veränderten Verhältnisse kennzeichnet - aber: "es gibt kein richtiges Leben im Falschen".
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Dies ist die erste Geschichte von Dir, in der ich so etwas wie einen zusammenhängenden Gedankenstrang entdecken kann. Man kann sich sogar etwas in die Rolle des Protagonisten einfühlen.
Eine Handlung oder eine Aussage, bzw. Erkenntnis dagegen findet auch hier nicht statt.
Zudem ist der (neue) Arbeitsplatz ganz sicher nicht der geeignete Ort, um seine Empfindlichkeiten zu pflegen.
Die Grammatik ist - wie immer - einwandfrei und sogar überdurchschnittlich gut, da gibt es nichts zu meckern.

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