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Steffen Herrmann (22.04.2017):
Lieber Miko,
Du bringst hier einen interessanten Einwand, weshalb ich etwas
ausführlicher antworten möchte.
Du führst zwei Argumente an. Das erste ist, grob gesagt, die
Genie/Wahnsinn-These, die nahelegt, dass oft ein eklatantes
Defizit in gewöhnlichen Lebensbereichen oder ein tiefes Unglück
im Leben das Genie erzeugt.
Das zweite Argument, mit dem ich - weil es grundsätzlicher und
wichtiger ist - beginnen werde, zieht die Bedeutung der Gene für
die Entwicklung der intellektuellen Fähigkeiten in Zweifel.
Ich weiß nicht, was die Fachärzte genau gesagt haben, aber
wenn sie gemeint haben sollten, dass die Fähigkeit, im
Erwachsenenalter bestimmte intellektuelle Leistungen zu
erbringen, zu (nur) 3% genetisch determiniert sein soll, so halte
sich diese Aussage eher für pädagogisch motiviert: Es ist immer
motivierender, dasjenige höher zu bewerten, was man
beeinflussen kann.
Ich meine jetzt einmal ganz intuitiv: Wenn man erlebt, wie
unterschiedlich schon kleine Kinder in ihrer Auffassungsgabe
sind, wie verschieden leicht sie etwas lernen (etwa Schach
spielen), dann wird man den erheblichen Einfluss der Gene
wahrscheinlich anerkennen. Etwas pointiert formuliert:
Eltern glauben bei ihrem ersten Kind an die Erziehung, beim
zweiten dann an die Gene.
Was die Erziehung aber nicht entwertet: Diese hat einen starken
Einfluss auf den späteren Charakter, darauf ob das Kind seinen
Platz im Leben findet, ob es glücklich wird.
Aber eben nicht so sehr darauf, ob es ein Mathematikprofessor
wird. Ich glaube, dass man auch bei optimaler Erziehung nur
einen sehr geringen Anteil der Kinder dazu machen könnte. Ich
würde (obwohl mathematisch begabt) nicht einmal dieses
Studium durchstehen, geschweige denn eine Dissertation – und
das hat nichts mit meiner Erziehung zu tun.
Wenn ich eine prozentuelle Wertung abgeben müsste, würde ich
auf 50/50 statt 97/3 tippen, wobei eine solche Quantifizierung
nicht viel bringt und auch nicht beweisbar ist.
Es kommt auch gar nicht so sehr darauf an. Versuch mal, etwas
vom Menschen abzusehen und die Gene als Replikatoren zu
betrachten, als ein Konstruktionsprinzip, das eine bestimmte Art
von Systemen ermöglicht und dabei ein Möglichkeitsfeld definiert
(Der zugrunde liegende Code ist schnell beschrieben und
innerhalb dieses Systems universal: 4 Basen für 20
Aminosäuren). Alle Menschen sind genetisch zu 99.9%
identisch, all die erheblichen Unterschiede zwischen uns beruhen
auf gerade einem zehntel Prozent Differenz. Insgesamt hat das
genetische System Strukturen von sehr verschiedener Intelligenz
realisiert (Man vergleiche zum Beispiel Bakterien und
Schimpansen) und es spricht nichts dafür, dass diese
Möglichkeiten mit uns ausgereizt sind. Genetische Optimierung
ist immer Optimierung in gegebenen Hinsichten. Meine These ist
dabei, dass auf lange Sicht vorrangig in die Richtung abstrakten
Denkens optimiert wird. Und die innere Logik dieses
Konstruktivismus läuft darauf hinaus, dass die willkürliche
(menschliche) Artgrenze dabei transzendiert wird. Irgendwann
werden aus Menschen so andere Arten hervorgehen, die
zunächst (aber nur zunächst) der menschlichen noch sehr
ähnlich sein werden.
Leider kann ich auf das andere (auch sehr interessante)
Argument nun kaum noch eingehen. Ich denke, dass diese ehere
psychologische These zumindest historisch sehr überzeugt. Sie
fokussiert auf den Genie-Begriff, der allerdings immer weiter an
Bedeutung verliert. Ich vermute, dass in der Zukunft, die ich
beschreibe, Genies weder nötig noch möglich sind: dazu sind die
künstlerischen und wissenschaftlichen Systeme zu weit
ausdifferenziert.
Viele Grüße
Steffen
Steffen Herrmann (04.11.2014):
Liebe Christiana,
über Deine Nachricht habe ich mich sehr gefreut. Es kommt ja nicht sehr häufig vor, dass ich eine Bestätigung erhalte.
Es geht mir tatsächlich darum, die Unvermeidbarkeit bestimmter Entwicklungen zu dokumentieren.
Hinsichtlich der Genetik betrifft es das instrumentelle Verhältnis des Menschen zu sich selbst, das sich hier mit den Konsequenzen seiner eigenen Logik konfrontiert. Tatsächlich geht es in dem ganzen Komplex der Erziehung, der "Arbeit an sich selbst" oft darum, "besser" zu werden, Probleme und Situationen souveräner zu meistern. Innerhalb der Gesellschaft werden Positionen verteilt und je weiter sich dieses System ausdifferenziert, desto effektiver werden die Menschen dazu verführt, sich selbst als Instrumente zu begreifen, die sich zur Erfüllung von Aufgaben eignen.
Ich erwähne das, um deutlicher zu machen, in welchem Kontext sich die genetische Auto-Evolution vollzieht:
Die Menschen werden aus immer mehr Arbeitsfeldern verdrängt; wer weiter mitmischen will, muss ein gut gelungenes Expemplar der Gattung Mensch sein.
Du erwähnst die ethische Dimension. Ich hatte erst vorgehabt, darauf einzugehen, es dann aber fallengelassen.
Es ist schon wahr, dass man sich seine ethischen Qualitäten im Leben gewissermassen erarbeitet, zum Beispiel durch Leiden. Aber es gibt auch hier eine genetische Komponente. Das ethische Vermögen beruht in wesentlicher Hinsicht auf Mitfühlen, und diese Fähigkeit zur Empathie auf Gehirnaktivitäten, die lokalisierbar sind und deren Entwicklung eine genetische Disposition haben. Es ist auch bekannt,
dass bei Psychoathen diese Empathiefähigkeit gestört ist. Auch Spitzenpolitiker, insbesondere Diktatoren und Massenmörder, Topmanager und Genies fehlt es überdurchschnittlich oft an diesem Vermögen (oder der Verurteilung) zum Mitgefühl.
Die Frage ist nun, was das für die Genommanipulationen bedeutet. Die meisten Eltern wollen mitfühlende Kinder, schon weil es dann auch dankbare Kinder werden und nur so die Familie ein heimeliger Ort wird.
Aber was, wenn das zu den anderen Zielvorstellungen in einen Konflikt tritt? Wenn der ganze Gefühlskrimskrams die Fokussierung auf die Aufgabenlösungsmechanismen stört und damit den langfristigen Erfolg im Leben zu torpedieren droht?
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