Thomas Müller-Teufel

Das Ei des Professors

Die Erlegenheitsstrecke zieht sich hin in schwelender Öde. Ruhe ist zwischen den Beinen und es liegt da ein kluger Kopf, aus dessen Augenhöhlen zwei Mittelfinger quellen. Das Licht wechselt. Die Finger krümmen sich zu Augäpfeln, die im Uhrzeigersinn in ihren Schalen kreisen. Dabei entrollt knirschendes Geräusch.

Keine Musik, doch tanzt ganz hinten auf der Bühne der Professor auf seinen abgelegten Lidsäcken. Schweres, mattes Dämmern. Ein aufgescheuchtes Huhn flattert gackernd im Gestühl vor der Bühne. Alles stinkt.

Es schlägt zur Stunde der brechenden Herzen. --- Kaum ist der letzte Herzschlag im Innern verhallt, halten die Schreibtische Einzug: getragen von Idioten. Behutsam werden die Schreibtische auf der Bühne placiert. Die gebeugten Idioten erkundigen sich bei den Tischen, ob sie für diese noch etwas tun dürften. Die Befragten schweigen. Lichtwechsel. Der tanzende Professor deklamiert: Hepp. Hierauf fassen sich die Idioten wechselweise an das Gemächt und die eigene Nase. Der außer Atem kommende Lidsackvirtuose schnappt nach Luft und japst: Hopp. Die Idioten falten das bißchen Stirn. Ein klein wenig Musik. Zwischen den zarten Mundwinkeln der Idioten, durchweg hübsche junge Männer, kräuselt sich eine lipprote Rosette zu einem entzückten Bitte-Bitte. Sie steigern sich zu ihrem schönsten und traurigsten Gesicht. Dem einen wie dem andern kullert die Träne über das Bäckchen und hinab ins feine Grübchen. Musikalische Peripetie. Die Bühne dampft, rhythmisch betrommeln die Idioten die Schreibtische. Bitte, bitte - bitte, bitte. Hepp, hopp - hepp, hopp. Der Professor beendet seinen Tanz mit einer Pirouette. Von den Lidsäcken ist kaum mehr etwas liegengeblieben. Er raunt: Fine, fine.

Die Idioten heben den verschwitzten und aufgebrühten Tänzer umsichtig auf einen der Schreibtische. Sie machen dabei gute Miene, gesichtslos im Stolz. Als der Professor einen festen Stand findet, dankt er den Idioten mit einem schnellen, freilich deutlichen Griff an Geschlecht und Nase.

Das Licht wird rot. Auftreten etwa 60 Hühner, Hennen und Hähne, die aber von den Anwesenden, obschon sie scharren und scheißen, nicht beachtet werden. Zornig pickt das Federvieh nach dem einen oder anderen Korn auf der Erlegenheitsstrecke. Der Professor schreitet über die Schreibtische. Berunzelt und gemessen. Seine Hose sitzt gut im Schritt, oft ist er mit den Idioten auf Ich und Du. Manche von ihnen sitzen auf den Tischplatten und lassen, mit gestrecktem Hals, die Beine baumeln. Kann eine Schimäre, die im Leeren schaukelt Hintergedanken fressen? Der Professor spricht nun zu leise, als daß er unten im Gestühl vernommen werden könnte.

Einer der eifrigsten Idioten fängt ein Huhn und trägt es ins Licht blinzelnd an den Hühnerfüßen hühnerkopfüber zum Professor. Diesem zu Füßen stehend streckt er ihm das Huhn hin. Es hält ganz still. Kaum sehen sich der Professor und der das Huhn haltende Idiot in die Augen, zaubert der überlegene Mann ein Ei aus der Seitentasche seiner Hose. Mit der einen Hand deutet er auf den Idioten mit Huhn, mit der anderen wirft er das Ei in die Luft. Hepp. Der Idiot läßt das Huhn flattern und versucht aufgeregt, das Ei des Professors aufzufangen. Und es fällt - wieder in die weiche warme Hand des Professors. Der Idiot wird ins Gestühl verwiesen. Die verbleibenden Idioten lachen ihr hübsches Idiotenlachen.

(c) Thomas Müller-Teufel

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