Katja Heinrich

Sodbrennen - 5. Besuch

 

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Besuch! In meiner Wohnung. Blankes Entsetzen macht sich breit.
 
Ich habe eine Bekannte – nennen wir sie mal Isolde. Wenn Isolde mich besucht, dann weiß ich von vorneherein, wie der Besuch wird.
Für sie ein Feiertag und für mich stillschweigendes Dulden.
Unmittelbar nach ihrer Ankunft, bei der sie erst einmal im Flur Jacke, Schuhe und Tasche einfach fallen lässt, sondiert Isolde die Ernährungslage. Sie inspiziert sowohl meinen  Kühlschrank als auch mein  Räumchen, in dem meine Getränke stehen (ich hasse kalte Getränke).
Sie wird immer fündig. Zunächst einmal deckt sie sich mit diversen meiner Flaschen ein, nachdem sie ihren Platz auf meinem Sofa abgesteckt hat. Danach wird mein Essen an diese Stelle geschafft – meine Brote werden geschmiert, meine Tomätchen geviertelt, meine Oliven bereitgestellt, einige meiner Cornichons dazu. Dann fällt ihr noch ein, dass es da mein Schränkchen mit meinem Knabberkram gibt, also räumt sie dort auch noch alles aus, was ihrem Geschmack entspricht und trägt es an ihren Platz auf meinem Sofa.
Wenn sie dann zufriedenstellend mit meinen Nahrungsmitteln ein Nest um ihren Platz auf dem Sofa gebaut hat, schnappt sie sich meine Fernbedienung und beginnt sich durch  meine – oh Entschuldigung – die Programme zu zappen, nur um kurz darauf festzustellen, dass nichts geboten wird, was sie interessiert.
Isolde registriert mich dann gnädig – und fragt  mich, ob ich nicht ein paar neue Filme habe.
Dann darf ich aufstehen und ihr sämtliche Titel vorlesen, aus denen sie einen erwählt, den ich dann in den DVD-Player legen darf.
Nun beginnt der eigentliche Urlaub von Isolde. Die Beine werden hochgelegt, so dass ich ca. ein Vierzehntel meines Sofas noch für mich habe. Genüsslich vertilgt sie mein Essen auf meinem Sofa und schaut meine Filme.
Zwischendrin werde ich von ihr mit netten Anekdoten aus ihrem spannenden (gähn) Leben unterhalten, wodurch ich natürlich immer wieder Szenen des Films verpasse – sie aber auch – daher spult sie dann zurück.
So dauert ein 90 Minuten Film meist über zwei Stunden.
Das allein macht mich schon rasend.
Aber Isolde isst ja auch – und dabei krümelt sie achtlos auf meinem Sofa und meinem Teppich herum – sie kann das übrigens wirklich hervorragend ignorieren!
Und da Isolde auch trinkt, muss sie immer wieder zwischendrin auf meine Toilette, wo sie sich dann die Hände wäscht (ja, Gott sei Dank) – und dabei meine säuberlich polierten Armaturen UND den Spiegel (wie kann man sowas schaffen? Das geht doch nur mutwillig!) vertröpfelt.
Natürlich ist der Film solange auf Pause gestellt und ich muss warten, bis Isolde zurückkommt. Meist fällt ihr aber auf der Toilette eine weitere (un)lustige Geschichte aus ihrem bewegten Leben ein, die sie mir dann umgehend zuteil werden lässt, so dass ich geistig fast den Anschluss an den Film verpasse. Weil es aber Isolde ähnlich geht, wird der Film einfach einige Minuten zurückgespult (ich reiße mir in unauffälligen Bewegungen die ersten Haare aus).
Nach dem Hochgenuss des ersten Films, wird dann von Isolde selbst (hört, hört) der Bestand meiner Filme geprüft, wobei sie natürlich sämtliche DVDs, die sie aussortiert, um sich herum auf meinem Boden verteilt. Nun legt sie persönlich den nächsten Film ein und macht es sich wieder auf ihrem Platz auf meinem Sofa gemütlich, nicht ohne dabei mit ihrem Hinterteil einige Krümel säuberlich in den Bezugstoff einzuarbeiten (ich beginne, leicht zu hyperventilieren).
Natürlich läuft beim zweiten Film das gleiche Schema ab.
Nach weiteren drei Stunden ist der Film fertig, (ich habe mittlerweile etwa eintausend Haare weniger auf dem Kopf und akute Atemnot) Isolde zieht Jacke und Schuhe an, schnappt sich ihre Tasche und verschwindet mit fröhlichem Winken aus meiner Wohnung.
 
Hinter der Tür sinke ich langsam zu Boden und versuche mich zu beruhigen.
 
Nach einer Ewigkeit beginne ich, Isoldes Reste und das Geschirr aus dem Wohnzimmer zu entfernen, räume Brot, Käse, Aufschnitt wieder zurück in den Kühlschrank, leere den Rest aus Isoldes Getränkeflaschen in den Abfluss (sie trinkt nie aus einem Glas), stecke die DVDs wieder in ihre Hüllen und lege sie ins Regal und versuche dann die Krümel aus Sofa und Teppich zu entfernen, sauge kurz und poliere meine Badezimmerarmaturen und den Spiegel neu.
 
Dann lasse ich mich in meiner sauberen, Isolde-freien Wohnung auf mein Sofa sinken und frage mich wohl zum zweitausendsten Mal, wieso ich das jedes Mal über mich ergehen lasse.
 
Und wissen Sie was?
 
Ich habe verdammt noch mal keine Ahnung!


(c) Katja Heinrich

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 20.04.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Do we know what home is, what does this term mean for modern nomads and cosmopolitans? Where and what exactly is home?
Haven't we all overlooked or misinterpreted signs before? Are we able to let ourselves go during hectic times, do we interpret faces correctly? Presumably, even today we still smile about certain encounters during our travels, somewhere in the world, or we are still dealing with them. Not only is travveling educating, but each travel also shapes our character, opens up our view for other people, cultures and their very unique challenges.
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