Katja Heinrich

Sodbrennen - 15. Der Einkauf - 2. Versuch

 

Ich wache auf und habe Kopfschmerzen, dabei hab ich doch 11 Stunden geschlafen, nun, war wohl ein wenig zuviel. Super, so beginnt man doch gerne den Tag.
Versuche mir ein Frühstück zu machen – seit kurzem bin ich bemüht jeden Morgen mit Toast und Milch zu beginnen – anstatt mit Cola und Kippen.
Natürlich schwappt die Milch so blöde aus dem Tetrapack, dass die Hälfte neben dem Glas landet. Ich seh schon, das ist mein Tag heute. Außerdem habe ich den obligatorischen morgendlichen Hustanfall – mein Schädel hämmert ein wenig.
Anschließend mit Glas und Teller an den Rechner – schauen, was in meinem Forum los ist.
Argh, der Messenger schaltet sich automatisch ein und ich habe sogleich drei Chatfenster offen, in denen ich fröhlich begrüßt werde.
Krampfhaft versuche ich den Drahtseilakt zwischen den verschiedenen Chatpartnern und dem Durchlesen der neuen Beiträge im Forum. Mein Kopf wummert.
Nach kurzer Zeit verabschiede ich mich und bereite mich seelisch auf meine Aufgabe vor – mein Therapeut hat mir aufgetragen einzukaufen – und den Laden MIT meinen Einkäufen zu verlassen. Ich muss es schaffen. Ich nehme eine Valium und fühle mich gerüstet. Heute schaffe ich das. Mein Kopf pocht.
 
Ok, etwas problematisch ist der Herr mit Hut am Steuer des Benz vor mir – er fährt leider am Kreisel dieselbe Abfahrt, die ich auch nehme – und anschließend fährt er 30. Hier ist aber 50. Er hat kein fremdes Nummernschild. Er blinkt und ich freue mich. Aber er blinkt und biegt nicht ab – die erste Einfahrt….. ist nicht seine. Die zweite Einfahrt…… ist nicht seine. Die dritte Einfahrt….. ist nicht seine. Worauf wartet er? Das Aussterben der Menschheit, damit er abbiegen kann?
Ich hyperventiliere während ich böse Worte brülle und herumfuchtele.
Ah, die vierte Einfahrt ist seine – aber oh Schreck, in 200 m Entfernung kommt Gegenverkehr in Form eines LKW. Ich habe Verständnis, da muss man doch warten. Leise summe ich vor mich hin. Nach dem Laster kommen zwei Autos in großem Abstand – worauf wartet der Oppa mit Hut nun wieder? Auf seinen Tod? Kann ja nicht mehr lange dauern – denn ich habe Mordlust!
Nach ungefähr 10 Minuten schafft der Mann es endlich, sich von der Straße zu verpissen und ich hab freie Fahrt – fürchte, ich habe die beiden im Wagen hinter mir prächtig amüsiert mit meiner Pantomime. Egal, Wut muss raus.
 
In der Apotheke sind außer mir nur alte Menschen. Was ist passiert? Gibt’s keine jungen Leute mehr in unserem Ort? Sind wohl alle an den Folgen eines Infarktes verstorben, weil sie hinter Opa mit Hut herschleichen mussten? Wie auch immer, ich werde kompetent, freundlich und flott bedient – das erstaunt mich und macht mir Mut. Mit einem für mich unüblichen breiten Lächeln wünsche ich einen schönen Tag und verschwinde aus der Apotheke.
 
Nun fahre ich zu Minimal. Meine Hände krampfen sich leicht schweißig um das Lenkrad und ich muss an meinen letzten Ausflug dorthin denken. Ich atme langsam und gleichmäßig und konzentriere mich auf mein Mantra: Du schaffst das, du schaffst das,……
 
Und ob Sie es glauben oder nicht – ich schaffe es auch, es klappt alles wunderbar – bis zur Kasse. Es ist keine meiner beiden Kassiererinnen da. Ich muss mich ausruhen und setze mich auf eine der Getränkekisten in Kassennähe. Was nun? Ich warte ab und versuche meinen Schweißausbruch zu kontrollieren.
Mutig schiebe ich dann meinen Einkaufswagen zur Kasse. Vor mir eine Schlange aus Rentnern – auch hier kaum junge Menschen zu entdecken.
Die Dame vor mir legt in bedächtiger Langsamkeit ihre Waren auf das Band – mit einer Hand – und Pausen zwischendrin, denn sie muss sich mit der Kundin vor ihr unterhalten. Ich höre, dass sie vor vier Monaten sich die Hämorrhoiden hat entfernen lassen, eine Information, die ich unbedingt wissen muss. Ich verdrehe meine Augäpfel nach innen vor Begeisterung.
 
Nachdem endlich alle Waren auf dem Band aufgetürmt sind, darf auch ich anfangen meinen Wageninhalt darauf zu verteilen. Mit giftigem Blick schiebt die Dame vor mir eine Trennleiste zwischen ihre und meine Ware – ja Entschuldigung, ich kam leider nicht dran, werte Dame – murmle ich grimmig vor mich hin und packe weiter meinen Kram aufs Band.
Die Frau vor mir schwatzt ohne Unterlass – zudem hat sie eine ganz furchtbar schrille und laute Stimme. Mein Kopf platzt gleich.
Nun braucht die dröge Kassiererin auch noch eine neue Rolle Kleingeld – natürlich muss sie dazu die Kasse verlassen und im Irgendwo nach dieser Rolle suchen, es dauert. Ich sehe Sternchen, während die zwei Rentnerinnen vor mir gemütlich weiterschwatzen – unaufhörlich, wie eine Maschinengewehrsalve nach der anderen strömen Sätze aus ihnen heraus.
Nach unendlichen Minuten kommt die Kassiertrine zurück – im Schneckentempo, ist ja nicht anders zu erwarten.
Gemütlich füllt sie nun ihr Kleingeld auf, zieht weiter die Waren über den Scanner, hält ab und an inne, um mit der Kundin zu reden, die dann auch sehr gemütlich ihre Waren wieder in den Einkaufswagen legt.
Nun kann es nicht mehr lange dauern bis ich endlich an die Reihe komme, nur noch eine Kundin vor mir.
Aber nein, weit gefehlt. Denn die Kassiererin hat nun Pause und räumt den Platz.
Ich sehe Doppelbilder und mein Schädel droht nun wirklich zu platzen – aber da naht Hilfe – ich habe ein bisschen Glück heute, eine meiner Kassiererinnen eilt auf diese Kasse zu. Überglücklich lächle ich in mich hinein, nun kann nichts mehr schief gehen.
Denke ich.
Frau S. zieht in der ihr eigenen Schnelligkeit die Ware der Kundin vor mir über das Band und nennt den Endbetrag.
Umständlich zieht die Frau nun ihr Portemonaie aus der Tasche – ahnt ja keiner, dass man hier auch noch Geld braucht. Meine Augäpfel sind schon wieder auf dem Weg nach innen.
Zu allem Überfluss beschließt die nun auch noch, ihren Einkauf mit möglichst viel Kleingeld zu bezahlen. Scharf ziehe ich die Luft ein und erinnere mich an mein Mantra, das mir der Therapeut ans Herz gelegt hat. Das lenkt mich ein wenig davon ab, der Tussi vor mir beim Einpacken zu helfen (und das meine ich nicht freundlich!).
 
Mit einem strahlenden Lächeln werde ich dann von Frau S. begrüßt, die mich teilnahmsvoll nach dem Befinden fragt. Ich halte einen kurzen Schwatz mit ihr und lasse mich nicht von den wütenden Blicken genervter Kunden in der Schlange hinter mir irritieren.
 
Gut gelaunt verpacke ich meine Einkäufe in die mitgebrachten Tüten, zahle und schiebe mein Wägelchen zum Auto.
Das war nett, denke ich mir und fühle mich leicht und beschwingt als ich die erste Tüte aus dem Wagen hebe und mir einfach der Boden aus der Tüte reißt.
Ich habe Molkedrink gekauft, der soll gut sein – für die Hose auch?
Ich möchte Amok laufen, reiße mich zusammen und belade mit einem sehr sanften Lächeln im Gesicht weiter das Auto.
Wer mich kennt, weiß, dass ich gemeingefährlich bin, wenn ich so lächle.
Sehr vorsichtig und konzentriert atmend fahre ich anschließend heim.
 
Dort angekommen parke ich mein Auto auf dem Tiefgaragenplatz unseres Hochhauses und lade mich mit den Einkaufstüten voll. Bedächtig, weil auf 180, laufe ich zum Aufzug, vor dem ca. 8 Menschen stehen.
Das geht so nicht. Ich kann mit so vielen Menschen nicht Aufzug fahren. Das ist der SuperGAU für mich.
Schwitzend schleppe ich meine Tüten die 5 Stockwerke des Treppenhauses hoch, erreiche klatschnass meine Höhle, mein Zuhause, verstaue die Lebensmittel und sinke aufatmend vor meinem Rechner nieder.
 
Nun sitze ich hier, neben mir ein Glas Wasser, in dem sich fröhlich bitzelnd 2 Tabletten Aspirin auflösen, was immensen Lärm verursacht und meinem Kopf gar nicht gut tut.

Ich glaube, ich gehe noch mal ins Bett.



(c) Katja Heinrich

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 21.04.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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