Angela Heise
über allem steht die Liebe
Das Wetter war herrlich und ich beschliesss in dem kleinen Park
ein wenig Sonne zu tanken. Mit einem Buch bewaffnet gehe ich los und
suche mir eine freie Bank. Oh, tut das gut! Die Wärme auf der Haut ist
angenehm. Ich schlage mein Buch auf, aber so recht kann ich mich nicht
konzentrieren. Neugierig schaue ich umher. Viele Leute haben den
gleichen Wunsch nach Wärme und Sonne wie ich und somit ist reger
Betrieb im Park.
Ein paar Jugendliche habe eine Decke ausgebreitet und liegen auf der
großen Wiese. Leise spielt ihr Radio. Leise? Nanu, sagt man nicht immer
die jungen Leute seien so laut? Die hier nicht. Ein bisschen entfernt
spielen ein paar Kinder fröhlich mit einem Ball. Am Sandkasten streiten
sich zwei kleine Mädchen um die Förmchen. Die junge Mutter schaut zu,
passt auf, mischt sich aber nicht ein. Eine andere Mutter hat eine
Handarbeit bei, aber so recht kommt sie nicht zum Stricken. Ständig
muss sie ihren Sohn rufen. Dabei ist der Kleine ganz brav. Die Mutter
ist irgendwie überfordert.
Während ich so umher schaue fällt mein Blick auf ein älteres Paar. Die
sind sicher schon an die 80 Jahre. Hand in Hand kommen sie über den
Weg. An einer Bank bleiben sie stehen. Er zieht ein blütenweisses
Taschentuch heraus und breitet es aus. Sie lächelt ihn an und lässt
sich darauf nieder.Jetzt holt er eine Zeitung hervor, sie packt eine
Handarbeit aus. Still ist jeder für sich beschäftigt. Von Zeit zu Zeit
greift er gedankenverloren nach ihrer Hand und streichelt sie. Mit der
gleichen Selbstverständlichkeit streicht sie gelegentlich über seine
Wange.
Das Bild ist so voller Liebe und Harmonie, so voll mit stillem
Einverständnis, dass ich ganz neidisch werde. Am liebsten würde ich
aufstehen und zu den Beiden gehen. Dann würde ich sie fragen können,
wieso sie in diesem Alter immer noch so voller Liebe miteinander
umgehen können. Ich überlege nur kurz und stehe auf. Als ich an der
Bank gegenüber ankomme schauen die Beiden mich freundlich an. Ich
frage, ob ich mich dazu setzen darf. Sie nickt eifrig. Dabei geraten
ihre Löckchen heftig in Bewegung. "Ich habe Sie beobachtet", beginne
ich behutsam das Gespräch. Der Herr lässt die Zeitung sinken und schaut
mich fragend an. "Sie sind doch sicher schon lange beisammen und
zwischen Ihnen ist eine Liebe, die spürbar, sichtbar ist. Wie geht so
etwas?" will ich neugierig wissen. Sie lächelt ihn kurz an. "Ach, mein
Kind, so harmonisch wie heute war es bei uns auch nicht immer. Als wir
noch jünger waren überwogen die Alltagssorgen oft. Die Kinder, die
krank waren, Ärger machten, die Sorge ums Geld, das nie recht reichen
wollte. Wenn dann unerwartete Rechnungen ins Haus flatterten, so kurz
bevor die nächste Lohntüte kam ging es bei uns auch mal laut und heftig
zu.Jetzt sind die Kinder groß, längst verheiratet. Wir haben schon 8
Enkelkinder, müssen Sie wissen. Unsere beiden Söhne haben studiert und
verdienen gutes Geld. Unsere Tochter ist Dolmetscherin geworden. Sie
reist in dem Beruf viel und wir sehen sie selten. Jetzt haben wir Zeit
und Ruhe und unternehmen immer ein wenig gemeinsam. Liebe? Ja,
natürlich lieben wir uns, aber da ist noch etwas, was wichtig ist:
Respekt vor einander! Den haben wir immer gehabt. Und jeder von uns hat
ein kleines bisschen Egoismus. Die richtige Mischung ist wichtig." Ich
schaue sie erwartungsvoll an, aber sie schweigt, scheint über etwas
nachzudenken. Gerade will ich nachfragen, wie sie das meint, da holt er
plötzlich tief Luft. "Wissen Sie, meine Frau und ich sind jetzt fast 50
Jahre verheiratet. Da ist schnell die Gefahr, dass der Alltag überwiegt
und die Gefühle zurück stehen. Die Gewohnheit, wenn Sie verstehen, was
ich meine. Wir versuchen zu mischen. Alltag, wie Frühstück,
Mittagessen, Abendbrot, Tagesschau und Freitagabend-Krimi, und ein
Spaziergang im Park, ein Besuch im Konzert oder ähnlich, was nicht
alltäglich ist.Meine Frau hat immer akzeptiert, wenn ich mich zurück
zog, so wie ich es hinnehme, dass sie einmal in der Woche zu einer
Freundin geht und dann den Nachmittag über dort bleibt. Jedesmal, wenn
sie heimkommt ist es für mich ein kleines Fest. Dann ist wieder Sonne
und Wärme in der Wohnung, so wie jetzt hier im Park." "Kann man so
etwas lernen?"will ich wissen. Die Beiden schauen sich lächelnd an.
"Lernen?" sagt sie ganz langsam, "nein, lernen kann man das wohl nicht.
Wenn die Liebe wirklich da ist, und man sich immer Freiheit gibt,
Sicherheit nicht im Partner, sondern in sich selbst hat dann kommt das
alles von alleine. Und eine Regel hatten wir immer: wir gehen nie im
Streit auseinander, und nie im Streit zu Bett."
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 22.04.2005.
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