Pierre-André Hentzien

Belohnung für treue Dienste

Werner Krüger war einer jener Menschen die nie
auffielen. Weder im Beruf, noch sonst irgendwo.
So war es immer gewesen und so würde es wohl auch bleiben.
Werner fragte sich oft, weshalb er bei jeder Beförderung leer ausging, denn schließlich tat er seine Arbeit wie alle anderen auch und oftmals leistete er sogar mehr.
Irgendwie schien ihm das gewisse "Etwas" zu fehlen, jenes "Etwas", das anderen Menschen das Leben erleichterte und sie erfolgreich scheinen ließ.
Werner selber wäre nie auf den Gedanken gekommen, daß er etwas für seine langjährigen treuen Dienste erwarten konnte, nur daß er so total und unwiderruflich übersehen wurde beunruhigte ihn ein wenig.
Seine Frau hingegen bedrängte ihn immerzu und erinnerte ihn jeden Tag auf grausamste Weise daran, was er für sie war - nichts weiter als ein kleiner, mickriger Angestellter, der es nie zu etwas bringen würde.
Werner war körperlich nicht in der Lage sich gegen sie durchzusetzen, denn sie war eine wahre Rubensfrau, die bereit war alles niederzuwalzen wenn man sie reizte.
An jedem Gehaltstag konnte sich Werner nie lange über seinen Lohn freuen, den an jedem Gehaltstag holte ihn seine Frau von der Arbeit ab - daß heißt, eigentlich holte sie das Geld ab.
So verstrichen die Jahre, und Werner schluckte alles was ihm seine Frau antat.
Sie schlug ihn, sperrte ihn im Besenschrank ein, ließ sich von hinten bis vorne bedienen und brachte ihm nichts als Verachtung entgegen.
Er war einfach machtlos gegen sie, aber er überlegt schon eine ganze Weile, wie er sich ihrer wohl am besten entledigen konnte.
Nachts, wenn sie laut schnarchend schlief, schmiedete er Rachepläne, die kühner und kühner wurden.
Aber wahrscheinlich wären seine Rachepläne reine Träumerei geblieben, wäre ihm nicht eines Sonntag Morgens die Vorsehung zu Hilfe gekommen.

Jeden Sonntagmorgen schleifte ihn seine Frau in die nahe Friedhofskapelle um, wie sie sagte, für ihn zu beten und um Gott zu fragen, was sie nur verbrochen haben mochte, daß er ihr einen solchen Nichtsnutz zum Mann gegeben hatte.
Sie schwelgte in ihrer Gläubigkeit und glaubte, jeder müsse so gottesfürchtig wie sie selbst sein.
Die Bibel kannte sie auswendig, aber auch nur, weil Werner ihr jeden Abend daraus vorlesen mußte.
Tag für Tag; jahrelang.
An besagtem Sonntag, im Dezember, fand auf dem Friedhof eine Beerdigung statt.
Als Werners Frau die Zeremonie sah zischte sie ihn voller Zynismus an: "Könnte ruhig deine Beerdigung sein! Du bist doch ohnehin zu nichts zu gebrauchen! Ich bezweifle aber, daß so viele Mensch zu deiner Beerdigung kommen würden. Selbst als Leiche würdest du nichts taugen, denn welche Made würde sich schon an einem Versager, wie dir, vergreifen?"
Werner schwieg, denn er wußte daß, wenn er etwas erwidert hätte, ihm unweigerlich ihr schwerer Regenschirm auf dem Kopf zerschlagen worden wäre.

Sie betraten die Kapelle und es folgte die sonntäglich wiederkehrende Prozedur.
Es war kein Wunder, daß Werners Frau diese Kapelle für ihre Scheinheiligkeit gewählt hatte, denn da es keinen öffentlichen Gottesdienst gab mußte sie auch nicht befürchten etwas für die Kollekte opfern zu müssen.
Aber sie hätte ohnehin nichts gespendet, denn sie dachte grundsätzlich nicht an das Wohl anderer, sondern nur an ihr eigenes.
Als sie die Kapelle nach einer halben Stunde wieder verließen herrschte ihn seine Frau an: "Warte hier! Und rühr' dich ja nicht vom Fleck!"
Werner steckte seine Hände tief in die Taschen seines alten, abgewetzten Mantels.
Es war schneiden kalt und er wollte so schnell wie möglich nach Hause.
Der Wind trieb den Schnee über den Friedhof, aber seine Frau kümmerte das nicht, sie war schon auf dem Weg zu einem Grab, welches in einiger Entfernung zu sehen war.


Irgend etwas schien sie zu irritieren, denn sie ging im dichter auf den Rand des Grabes zu.
"Merkwürdig", sagte sie zu sich selbst, "man sieht ja gar keinen Grund!"
Dann trat sie noch ein Schritt dichter heran.
"Jetzt würde ich sie gerne hinunter stoßen und das Grab ganz schnell wieder zuschaufeln", dachte Werner bei sich.
Irgendeine höhere Macht mußte ihn gehört haben, denn plötzlich hörte er einen markerschütternden Schrei, dann war es totenstill.
Die Totengräber, die den Sturz der Frau beobachtet hatten, liefen zum Rand des Grabes und starrten in die Tiefe.
Unten, auf dem Sargdeckel, lag der nur schemenhaft zu erkennende, leblose Körper von Frau Krüger.
Der Friedhofsdirektor sprach Werner sein Beileid aus und sagte, daß es ein tragischer Unglücksfall war, daß seine Frau ausgerechnet in diese Ruhestätte gestürzt war.
Denn diese, so erklärte der Friedhofsdirektor, war auf Wunsch der Witwe doppelt so tief wie gewöhnlich ausgehoben worden.
"Bei einem Grab mit normaler Tiefe wäre ihre Frau sicher nicht zu Tode gekommen!" beendete er seine Erklärung.
"Können sie mir sagen, wer der Mann war, der so tief beerdigt werden sollte?" fragte Werner.
"Lassen sie mich mal sehen...“, der Friedhofsdirektor blätterte nervös in seiner Kartei, “ah, hier haben wir es ja. Der Herr hieß Klaus Schreider. Übrigens eine ganz prachtvolle Bestattung, so wie es einem Vizepräsidenten, einer so angesehenen Firma wie der Datacom, auch zusteht."
Und nach einer Weile fügte er hinzu: "Ich hörte, der Mann sei ganz unerwartet verschieden. Ein wirklich großer Verlust für alle die ihn kannten!"
"Haben sie vielen Dank für die Auskunft!", sagte Werner in einem Ton tiefster Verzweiflung, "bitte kümmern sie sich gut um meine Frau!"
"Seien sie unbesorgt! Sie ist bei uns in den besten Händen!", erwiderte der Direktor mit einem traurigen Lächeln um die Mundwinkel.

Keine außer Werner Krüger wußte, daß Klaus Schreider seit mehr als zwanzig Jahren sein Chef bei der Datacom gewesen war, und daß dieser ihn endlich für seine langjährigen, treuen Dienste belohnt hatte...

©Copyright 11.11.1989 Pierre-André Hentzien.
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PAHPub© 01782322718 „Belohnung für treue Dienste“

Es sind nicht immer geldwerte Belohnungen, die uns am Meisten zeigen können, wie sehr uns Menschen zu schätzen wissen.

Man verschone mich bitte mit Benotungen, ohne eine entsprechende Kritik abzugeben (egal ob positiv oder negativ!).
Ich finde es feige eine 6 zu vergeben, nur weil man einer persönlichen Abneigung zuspricht, aber nicht den "Arsch in der Hose hat", derlei auch kurz zu begründen!
Und für all jene, die dies' dennoch so handhaben: Arm, wer ein Gesicht hat, das der Courage nicht erlaubt sich zu zeigen!
Pierre-André Hentzien, Anmerkung zur Geschichte

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