Dana Kreissl

Hin und wieder zurück

Hin und wieder zurück 
 

Eines schönen Tages ist es soweit. Bei den einen früher, bei den
anderen später. Aber irgendwann, können sie es nicht mehr ignorieren.
Es läuft so vieles falsch auf dieser Welt. Sie beginnen genauer
hinzusehen, sie beginnen Anzei chenzusammeln.Undsiewerdenfündig.br Und wie fündig sie werden. Und irgendwann müssen sie sich selber
eingestehen, dass sie die Apokalypse für ziemlich wahrscheinlich
halten. Es wird etwas geschehen, etwas so Gewaltiges, dass es das Ende
der Welt sein muss. Mindestens der Welt so wie wir sie kennen. Kein
Kabelfernsehen mehr, keine Klimaanlage, keine Geländewagen, keine
Foto-Handys mehr – und eigentlich finden sie das noch nicht mal so
schlecht. Eh alles nur nutzloser Tand. Man benutzt ihn, man will ihn,
aber selbstverständlich kann man auch ohne.



Diese Gesellschaft ödet sie schon seit langem an, der Zynismus der
Großkonzerne, die Verachtung der Leute für ihre Umwelt, für ihre
Mitmenschen, für das Leben, die Ignoranz der Menschen die das Unheil
einfach nicht sehen wollen oder können. Sie schwanken zwischen dem
Hochgefühl der Überlegenheit und der depressiven Verstimmung der
Einsamkeit. Angewidert gehen sie durch die Strassen und angesichts des
auf Äußerlichkeiten getrimmten Lebens der großen Masse, könnten sie
würgen. Das Schlimmste ist allerdings die Hilflosigkeit. Die
Hilflosigkeit nichts verändern, nichts bewegen zu können, denn sie sind
allein.



Irgendwann fällt ihnen ein Buch in die Hände. Nein, sie sind nicht
allein, auch andere haben es erkannt, schon viel viel früher sogar. Es
gibt Prophezeiungen, Vorhersagen und sie sehen ihre schlimmsten
Befürchtungen bestätigt. Mehr noch, es kommt noch viel schlimmer, die
Szenarien sind wahrlich apokalyptisch. Es folgen mehr Bücher, mehr
Prophezeiungen, das wohlige Grauen das sie beim lesen jeweils
überfällt, wirkt schon fast wie eine Droge. Jede Nachricht, jede
Tagesschau vervollständigt das Bild. Und dieses Bild ist
selbstverständlich grauenvoll. Es gibt keinen Zweifel mehr, das Ende
ist nahe. Und wenn nicht nahe, dann doch auf dem Weg...mit
Riesenschritten auf dem Weg.




Angesichts der Fülle von Prophezeiungen können sie sich lange nicht
entscheiden, welches der Szenarien ihnen denn nun das liebste ist. Das
hängt natürlich auch von ihrer Disposition ab. Der grösstmögliche GAU
kann in der Errichtung einer Weltreligion liegen, im prophezeiten
Einmarsch der Russen, in der Klimaerwärmung, in der
Dimensionsverschiebung, in einer Hungerkatastrophe, einem
Meteoriteneinschlag, der Rückkehr des Messias der falschen Seite, einem
Bürgerkrieg, einer neuen Partei... der Möglichkeiten sind gar so viele.
Es ist zum Verzweifeln.




Und doch. Das Leben muss irgendwie weitergehen. Die Katastrophen lassen
noch ein wenig auf sich warten, die Arbeit muss getan, Frau und Kinder
irgendwie auch noch beachtet werden...




Ohne Begeisterung machen sie also weiter, denn eigentlich ist eh alles
umsonst. Einige verfallen in den totalen Fatalismus – nach mir die
Sintflut. Wieder andere raffen sich auf, versuchen sich so gut es geht
vorzubereiten, mit noch mehr Prophezeiungen, mit Bibelstudium, mit
Survival-Kursen, mit Notvorräten, mit Auswanderungsplänen (immerhin,
irgendeine Insel auf den Aleuten wird nirgends erwähnt, da kann man
vielleicht überleben). Und als sie da so vor sich hin leben, da stoßen
sie dann in irgendeinem Prophezeiungsbuch auf die nächste Stufe. Es ist
ja alles noch viel Schimmer.




Nicht nur ist die Menschheit komplett bescheuert, nein sie werden
gelenkt! Sie werden dazu gemacht, da sind finstere Mächte am Werk, die
sich das ganz genauso ausgedacht haben. Und mit Schaudern sind unsere
Apokalyptiker bei den Verschwörungstheorien angekommen. Es ist ja so
furchtbar, aber das es so schlimm ist hätten sie in ihren schlimmsten
Träumen nicht gedacht. Illuminaten, Freimaurer, Opus Dei, Reptiloiden,
Satanisten – die Menscheit ist gefangen. Ein Alptraum. Und je mehr er
liest –und er liest mal wieder viel-, desto grausamer wird es. Freier
Wille? Ein Witz? Lächerliche kleine Figürchen in einem bösen Spiel
unglaublich mächtiger Kräfte. Wozu noch Vorbereitungen? Wozu noch
auswandern? Welch Hohn, egal wohin sie flüchten, „die“ sind immer schon
da, sehen alles, kontrollieren alles und lachen sich kaputt. Der vom
Apokalyptiker zum Verschwörungstheoretiker gewordene Mensch fühlt sich
wieder ganz furchtbar allein, er hat Angst, er ist wütend, er wünscht
sich er hätte nie hinter die Kulissen geblickt.




Manche werden ein wenig paranoid, andere verzweifeln ob all der
Hoffnungslosigkeit, Verbitterung macht sich breit, Zynismus verschafft
ein wenig Erleichterung. Einige wollen und können das so nicht stehen
lassen. Sie denken nach. Lange. Sie wägen ab. Noch länger. Irgendwann
kommt ihnen ein faszinierender Gedanke. Was wäre, wenn man das alles
mal von einem ganz anderen Standpunkt anzusehen hätte? Ein Funken
blitzt auf. Ganz kurz nur. Doch ihr apokalyptisches Fundament erhält
Risse. Sie blättern zurück. Irgendwo stand doch mal was von der anderen
Welt, der anderen Seite, von anderen Gesetzen. Sie hatten es glatt
übersehen. Neue Bücher. Die Rettung. Es geht weiter. Ein neues
Universum tut sich auf. Eine fremde Welt breitet sich aus. Es gibt
tatsächlich einen Plan, eine Gesetzmässigkeit, aber ganz anders als sie
dachten. Da sind andere Ebenen, andere Wesenheiten, da schimmert Licht
und so ein sonderbares Empfinden durch.




Also sind sie doch nicht alleine. Nein, sie sind nicht getrennt, aber
sie wissen so wenig. Verwirrung hält erst Einzug, Unglauben, dann
Begeisterung. Es ist ja alles ganz anders. So wunderbar. Man braucht
keine Angst zu haben, es ist für alles gesorgt. Erleichtert fallen sie
in sich selbst zurück. Zufriedenheit macht sich breit. Endlich. Ein
wenig meditieren, ein bisschen affirmieren, sich mit diesen angenehmen
Energien verbinden – es ist ja alles so herrlich. Endlich von der
Verantwortung befreit, alles ist in Ordnung und geht seinen gerechten
Gang. Wie unangenehm nur, dass deswegen die Anforderungen des Alltags
nicht wirklich leichter werden, der Nachbar immer noch nervt und auch
die blühenden Landschaften auf sich warten lassen. Das ist
frustrierend. Irgendetwas läuft falsch.




Und dann ist da mit einem Male dieser Moment. Nichts funktioniert mehr.
Weder das eine noch das andere. Da steht Mensch nun - und es ward
finster.
Eine Ahnung keimt auf. Sie gefällt nicht. Wird verworfen,
zurückgestellt, verleugnet. Man hat doch soviel gelernt, man weiß doch
soviel, das muss doch zu irgendetwas gut sein. Man versucht es noch
mal. Man hat es doch im Griff, man weiß doch wie es geht. Aber
irgendwie funktioniert das alles nicht. Scheitern wohin man blickt. Man
erinnert sich an diesen unscheinbaren, unspektakulären Keim. Was war
das noch mal? Und wo war es? Das Ent-decken bereitet kein wirkliches
Hochgefühl, eher nachhaltige Ernüchterung. Selbstverantwortung – nein,
bitte nicht!




Da ist man nun und sinnt lange, lange nach über die
Selbstverantwortung. Man will sie nicht, man liebt sie nicht, aber sie
ergibt so verdammt viel Sinn.




Verstehen hält Einzug. Und wenn Seher und Propheten einfach nur
Möglichkeiten gesehen hätten? Wenn diese vorhergesagten Schlachtfelder
unsere eigene Psyche wären? Wenn sie das alles gesehen hätten, nur
damit sich die Menschheit und jeder Einzelne anders entscheiden kann?
Kaum zu glauben, aber man lebt nicht einfach in einem gegebenen Rahmen,
man erschafft sich diesen auch noch selber. Es braucht keine
Verschwörung dazu, Leid und Unheil anzurichten. Kein Repto mit
Strahlenkanone zwang Serben und Bosnier dazu, sich gegenseitig
abzuschlachten. Kein Illuminat sorgt dafür, dass Menschen verhungern.
Es sind keine Freimaurer die Schlachthäuser betreiben und die Meere
leer fischen. Es braucht keinen Satanisten dazu sich in
Hightech-Laboren besonders effiziente Massenvernichtungswaffen
auszudenken. Nein, dass schaffen wir Menschen alles von ganz alleine –
und sogar ziemlich locker.




Der Kreis hat sich geschlossen. Die Menschheit ist einfach nur
bescheuert selbstzerstörerisch und so unglaublich selbstgefällig, dass
die Tatsache allein, dass sie immer noch existiert schon dafür spricht,
dass es einen Gott, eine intelligentere Organisation geben muss.

Und doch, man ist nicht getrennt von ihr. Man ist Teil dieser
Menschheit, so ungern man es auch zugeben muss. Also hat man immerhin
doch eine Möglichkeit das Ganze zu beeinflussen, denn wenn man nicht
getrennt ist dann kann man auch das Kollektiv beeinflussen. Und so
ergibt ein alter Spruch, entkleidet jeglichen fundamentalreligiösen
Tands, auch wieder Sinn: Liebe Gott den Herrn und deinen Nächsten wie
dich selbst. Eigentlich wäre es ja ganz einfach.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 25.04.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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