Irmgard Schöndorf Welch

Geschichten aus der Nacht 05 .... Margitta A.

                                                                         *










           Margitta A. 

Als ich zufällig durch die Eifel komme, besuche ich meine Tante Luise und meinen Onkel Richard. Ich muss doch hin und wieder sehen, wie es den guten, alten Leutchen so geht.

Die gnädige Frau sei nicht da ... sie nehme gerade einen unaufschiebbaren Arzttermin wahr, sagt das Hausmädchen, ein junges französisches Aupair.

Na gut, ich warte. Wo ich nun schon einmal hier bin.
Ich sitze also im Wohnzimmer. Die Kleine bringt mir eine Tasse duftenden Kaffee.

"Wo ist mein Onkel Richard?"
"Da unten wohnt er jetzt", sagt sie und deutet mit dem Daumen in Richtung Fußboden.
Was soll das heißen: ’da unten‘? ... Soviel ich mich erinnere, ist doch dort nur der Keller. Das Mädchen sieht die Frage in meinen Augen und zuckt die Schultern.
"Möchten Sie zum Kaffee ein paar Kekse aben?", fragt es.

Makabre Situation.
Zwar höre ich Onkel Richard im Keller ab und zu laut stöhnen, mische mich aber nicht ein, sondern verzehre mit ziemlichem Genuss die vorzüglichen Biscuits, während ich auf meine Tante Luise warte.

Und immer wieder dieses Seufzen und Gejammer! Richard scheint wehleidig geworden zu sein auf seine alten Tage. Dabei will ihm doch bestimmt niemand etwas Böses!
"Margitta ist bei ihm", sagt das Mädchen.
Margitta A. arbeitet also noch immer für die Familie! Ich habe sie bei meinem letzten Besuch kennen gelernt und weiß, sie ist gelernte Krankenschwester. Man hat sie vor zirka einem Jahr als permanente Pflegerin meines Onkels eingestellt.
Der alte Herr bekomme gerade da unten die ärztlich verordnete physikalische Therapie verpasst, macht mir die kleine Französin mit ihrem niedlichen Accent klar und diesmal klopft sie ein bisschen mit ihrer Schuhspitze ans Parkett.

Aber ... hatte das Mädchen nicht eben gesagt, dass Richard jetzt dauerhaft im Keller ...? Nun fällt es mir wie Schuppen von den Augen ... Auch bei meinem letzten Besuch vor einigen Monaten hatte ich hier oben in der sonnigen Wohnung vergeblich nach ihm Ausschau gehalten, hörte ihn auch damals unten im Gewölbe jammern. Und dazwischen tönte ab und zu die barsche Stimme von Margitta A. Später an jenem Nachmittag war die Pflegerin dann herauf gekommen:
Gelacht hatte sie: "Er ist ein Hypochonder wie er im Buch steht. Nie will er seine orthopädischen Übungen machen."

Margitta, das muss ich zugeben, ist eine schöne Frau. Unschuldig hatte sie dagestanden an jenem Nachmittag in ihren weißen Gesundheitssandalen und dem Schwesternkittel. Nur ihre rabendunkle, wilde, bis zum Rücken reichende Mähne wollte nicht recht zu dem züchtigen Bild passen.
Ach, sie hatte etwas mitreißend Fröhliches! Damals nahm ich ihr Onkel Richards Mimosenhaftigkeit, von der sie mir berichtete, nur allzu leicht ab. Es muss ja auch schmerzen, wenn einer mit seinen alten Knochen noch turnerische Leistungen vollführen soll, dachte ich mir.

"Er schreit so oft da unten, der arme Monsieur", sagt jetzt die Französin und reicht mir noch einmal den Teller mit den Biscuits.

Endlich kommt Tante Luise aus der Stadt zurück ... mit frisch getöntem, frisch geföntem Haar.

"Dein Onkel ist nun vollends zum Einsiedler geworden", sagt sie mit Tränen in den Augen, "er ist so exzentrisch, will niemanden mehr sehen, nicht einmal dich, seinen Lieblingsneffen, nicht einmal mich, die eigene Frau. Außer Margitta lässt er keinen Menschen an sich heran."

Rätselhafte Worte!

Dies aber ist ebenso seltsam: Bevor Margitta A. am späten Nachmittag das Haus verlässt, sehe ich durch die halb angelehnte Wohnzimmertür, wie Tante Luise aus einer Schatulle ... eine Perle nimmt! Sie legt die große, schimmernde Perle auf die einnehmend ausgestreckte Hand der jungen Frau.
"Ich besitze nicht mehr allzuviele davon", sagt die Tante und seufzt. Margitta A. lächelt ihr besonderes Lächeln. Aus dem Gespräch der beiden kann ich unschwer hören, dass sie für jeden Tag, an dem sie Onkel Richard pflegt, von meiner Tante zum Geldlohn anscheinend noch eine Perle als Zugabe verlangt. Tatsächlich trägt sie schon ein ansehnliches Collier um den schwanenschlanken Hals geschlungen.

Ich hatte mich vor kurzem bei Opas Beerdigung gewundert, denn es war gnadenlos zu erkennen gewesen: Tante Luises fünfreihige Erbkette, die sie seit den Tagen ihrer Frauenblüte wie einen Augapfel hütet und nur zu feierlichsten Begebenheiten anlegt, hatte im Lauf des letzten Jahres drastisch an Umfang und Wirkung eingebüßt, denn da waren statt der früheren fünf Perlenstränge nur noch zwei. Alle Verwandten hatten es bemerkt, nur Tante Luise, die Trägerin, schien der Sache gleichgültig gegenüber zu stehen.

Margitta A.s Halsschmuck aber kommt mir bei jedem meiner Besuche immer etwas kostbarer und üppiger vor.
Gut ... ich muss gestehen, ich empfinde fast so etwas wie Herzbeklemmen vor Margitta A.s Schönheit und ein tiefes Befremden darüber, dass sie so ... gierig ist. Auch ist mir das seltsame Verhalten meines Onkels da unten im Keller nicht geheuer.
Offensichtlich ist Margitta A. bequem und TUT nur so, als ob sie sich um ihren halb blinden und tauben Patienten kümmert und lässt ihn in Wahrheit verkommen? Vielleicht weint er vor Hunger?

Dennoch, ich sage zu Tante Luise kein Wort darüber. Ich will die alte Dame ja nicht unnötig belasten.

Später, auf der Heimfahrt im Auto fliegt mir auf einmal ein schrecklicher Gedanke durch den Kopf, urplötzlich: Vielleicht ist meine Tante doch nicht ganz unschuldig an Richards Situation? Vielleicht macht sie mit Margitta A. gemeinsame Sache. Nein, so etwas will ich nicht einmal denken ...
Ich beschließe, die Dinge auf sich beruhen zu lassen.
Man sollte sich aus den Angelegenheiten anderer Leute gefälligst heraus halten. Es nützt ja nichts, schlafende Hunde zu wecken! Aber die kleine Französin ... die ist wirklich aller Aufmerksamkeit wert!

Bald werde ich wieder in Dahn vorbeischauen.




 
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Copyright Irmgard Schöndorf Welch, 2003
überarbeitet am 12.05.2005



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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 26.04.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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