Helga Moosmang-Felkel

Birkenbegegnung

Über Nacht waren die Birken ausgebrochen, knallgrün und leuchtend. Die Luft war mild und der Himmel azurblau mit ein paar weißen Wanderwolken. Es zog mich hinaus in den Park, den ich oft besuchte, wo in einem Birkenhain weiß lackierte Bänke standen.
Bei schönem Wetter war der Park sehr belebt, es gab große Kinderspielplätze mit Schaukeln und Ritterburgen, viele Leute führten ihre Hunde aus, Jogger drehten ihre Runden und ich hatte einen weiten Blick auf eine offene grüne Grasfläche, und einen kleinen See mit zwei weißen Schwänen in der Ferne.
Man war dort nie allein und das war sehr wichtig für mich, seit die Sache damals passiert war.
Die Sache war zwar schon eine Weile her, aber sie lagerte in mir wie eine verschlossene Kapsel des Grauens und der Gewalt.
Sie hatte mir sehr deutlich gezeigt, dass Hautgrenzen verletzbar sind und dass die Haut danach unsichtbare Löcher zurückbehält, die sich nie mehr  richtig schließen wollen.
Ich hatte innere Zäune errichtet in verschiedenen Farben, ein hoher roter Lattenzaun signalisierte weithin Gefahr, während ich andere Stellen nur mit einer niederen bröckelnden Mauer eingrenzte, wo ein schon verwittertes Tor fast hereinbat, wie zu einem verwunschenen Dornröschenschloss.
Meine Bank war nicht besetzt, die Birkenblätter raschelten leise und fächelten in ihrem feinen hellen Singsang, ich betrachtete die aschigweiße Rinde der biegsamen Stämme, in meinem kupferroten Haar verfing sich eine leuchtendgrüne kleine Raupe.
Da ich oft hier war, kannte ich viele der Besucher, die alte mürrische Frau in der roten Strickjacke mit ihren zwei Schosshündchen, die immer getragen werden wollten, oder den stämmigen türkischen Jungen mit dem schwarzen Bürstenhaarschnitt, der täglich Fußball spielte und laute Parolen über den Platz schrie.
Regelmäßig kam ein altes Ehepaar vorbei, der Mann hielt sich so straff, damit niemand sehen sollte, dass sein linker Arm stark zitterte und die Ehefrau lief langsam mit verbitterter Mine hinterher.
Ich beobachtete auf dem Kiesweg vor der Bank die langsame Wanderung einer Schnecke, die ihren häuslichen Schutzraum immer mit sich trug und ein kurz zurückliegender Traum fiel mir wieder ein, in dem ich ein perlmuttfarben schimmerndes Schneckenhaus besaß mit einer schön geschwungenen Kuppel, in das ich mich verkriechen konnte. Nur, wenn ich drin war, verrieten mich meine roten Haare, weil sie nach außen durchleuchteten.
Lange dachte ich darüber nach, dass man auch ein schützendes Haus schnell zerschmettern kann, man konnte es zertreten mit einem schweren Schuh oder mit einer spitzen Nadel hineinbohren, die Bedrohung war allgegenwärtig..
Gerade lief die Joggerin , die nie nach rechts oder links sah mit ihrer starren Robotermine vorbei, wie immer ganz in grau gekleidet.
Hinten am Schwanensee kuschelten junge Liebespaare, ein Nahbereich, den zu betreten ich mir seit Jahren strikt verbot, wegen der Sache eben.
Ein rotes Gefahrenschild mit Warnhinweis erstickte jeden Impuls in diese Richtung.
Da hinten kam er wieder, der große elegante Jogger mit den eisgrauen Haaren und dem noch jugendlichen braunen Gesicht.
Ein Blitz freudigen Erschreckens durchzuckte mich. Manchmal fantasierte ich mich in sein Leben, die Sehnsucht der Schnecke im Gehäuse.
Ungefähr zehn Meter vor meiner Bank brach er den Lauf ab, ich erschrak. Er hielt sich den Knöchel, ging dann langsam vorsichtig tastend weiter.
Die Birken begannen zu tuscheln, ich wollte nicht gesehen werden und saß bewegungslos, als würde ich dadurch unsichtbar.
Nur die Augen konnte ich nicht abwenden, sein Gesicht war freundlich und klug.
Er hob den Blick und traf genau in meinen, mit grauen Augen, in denen ein Schalk tanzte.
Entsetzen durchrieselte mich, er hatte mich ertappt bei meinen heimlichen Gespinsten, ich fühlte mich gläsern.
Er kam unaufhaltsam auf die Bank zu, obwohl der rote Zaun in mir frisch gestrichen war und aufgeregt blinkte.
Er lächelte und zu meinem eigenen Erstaunen trat auch in meine grünen Augen ein strahlendes Lächeln, als wollte etwas in mir mich verraten.
„Da muss ich mir was vertreten haben“, sagte er ganz heiter. „Laufen Sie auch?“
Ich schüttele den Kopf und starre auf meine mitgebrachte Arbeitslektüre.
Die geschwätzigen Birken zischen mir etwas zu, was ich nicht verstehen will. Ein schwarzer Krähenvogel landet krächzend in der Wiese, als wolle er die Birken bekräftigen.
Ich  bin in einem Zeitloch gestrandet, um mich herum bewegt sich das Leben weiter wie in einer Frühlingschoreografie, nur ich sitze in einem gläsernen Schneewittchensarg  mit pochendem  Herzen und leerem Gehirn.
Er plaudert, nicht aufdringlich, dezent mit leisen Untertönen.
Er gefällt mir, oh ja, sehr sogar. Aber alles in diesem Bereich gibt es in meinem Leben schon so lange nicht mehr, seit es damals geschah und meine Haut so löchrig wurde.
Beziehung sehe ich nur als dunkles Labyrinth und unwägbaren Gefahren und Komplikationen.
Die Krähe schimpft und scharrt immer lauter.
Ich zwinge mich, nicht nur auf seine Armbanduhr zu starren, hebe die Augen und sehe ihn selbst an, nein, er ist nicht Blaubart.
Die hinter den Zäunen wohnt und sich angstvoll duckt könnte ihm vielleicht ein Zeichen geben, oder wenn er eine Insel wäre könnte ich vielleicht vorsichtig mit einem kleinen Boot anlegen.
Eine tropische Insel mit üppiger Vegetation ist er nicht, auch keine touristisch erschlossene Hochglanzinsel, eher schon  ein kleiner bretonischer Fischerhafen mit malerischer Kulisse.
Die Birken drängeln immer heftiger, werfen Äste in den Wind.
„Sie lesen lieber?“ fragt er jetzt und sein Arm liegt auf der Bank ganz nah bei mir und macht mich atemlos. Also hat auch er mich schon öfter beobachtet.
Plötzlich steht er auf, ich erschrecke, weil ich denke, dass er jetzt gehen wird. Ich habe ihn gelangweilt, aber er pflückt ein Gänseblümchen und überreicht es mir mit diesem wissenden Lächeln.
Die Birken sind begeistert, sie werden grün bis in die Blattspitzen.
Die Krähe sucht das Weite.
„Trinken wir einen Kaffee zusammen, irgendwann?“ Mein Hals wird eng, ich sage gepresst: „Nein, das geht nicht“, dann nach ein paar Sekunden fragend an ihn gewandt, „Oder?“
Er zuckt leicht mit der Schulter und mit einer Augenbraue: „Es liegt bei Ihnen.“
Er bedrängt mich nicht. Dann fragt er : „Darf ich?“, nimmt meinen Kuli und schreibt eine Telefonnummer und einen Namen in einer schönen leichten Schrift auf meinen dottergelben Notizblock.
Er steht auf, geht ein paar Schritte, dreht sich noch mal um, winkt kurz und fällt langsam ins Laufen.
Ich sehe ihm nach, bis er hinter der Biegung des Weges verschwindet.
Die Birken singen laut, das Gänseblümchen in meiner Hand errötet vor Freude und nickt mir zu.
Ich tanze den Birkentanz, biegsam und leicht springe ich auf, und strecke die Fühler ganz weit aus dem Schneckenhaus.
Auch Schnecken lächeln, ich denke Hautvertrauen und sehe erstaunt, dass sich der rote Zaun in mir leicht geöffnet hat, nur einen Spalt zum Durchschlüpfen.

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Helga Moosmang-Felkel).
Der Beitrag wurde von Helga Moosmang-Felkel auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 28.04.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Die Autorin:

  Helga Moosmang-Felkel als Lieblingsautorin markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Crashland-Suzi Todeszone von Günther Glogowatz



Durch ein technisches Experiment fegte eine schreckliche Katastrophe über einen großen Teil Europas hinweg.
Ein neuer Landstrich mit teilweise eigenartigen Naturgesetzen und „Dimensionsrissen“, welche zu anderen Welten führten war entstanden. Da sogar Beobachtungssatelliten nur unbrauchbare Bilder von diesem Gebiet liefern konnten, wurde es von offiziellen Stellen als X-Territorium bezeichnet. Allgemein benannte man es jedoch als das Crashland.
Da die üblichen Waffensysteme dort größtenteils versagt hatten, war die X-Force gegründet worden. Eine spezielle Armee, deren Ausbildung und Ausrüstung an die merkwürdigen Umweltbedingungen dieses Landstriches angepasst worden waren.
Suzi war Mitglied der X-Force. Während eines Einsatzes gerät sie mit ihrer Truppe in einen Hinterhalt. Es ist der Auftakt im Kampf um die absolute Macht im Crashland.
Verleumdet und dadurch von den eigenen Kameraden gejagt, bleibt ihr nur noch die Flucht durch die Todeszone, um Platon zu erreichen. Denn nur er ist mächtig genug, ihre Unschuld beweisen zu können und den düsteren Machenschaften um die Vorherrschaft im Crashland entgegentreten zu können.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (1)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Romantisches" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Helga Moosmang-Felkel

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Die Regenkatze Kapitel 19 von Helga Moosmang-Felkel (Sonstige)
Ein bisschen Liebe von Klaus-D. Heid (Romantisches)
Der Türsteher von Goren Albahari (Krimi)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen