Hans-Peter Zürcher

Waldspaziergang mit Grossvater

14. Februar 2004

Es war an irgend einem Frühsommermorgen, da kam mich in aller Herrgottsfrühe mein Grossvater, der zusammen mit der Grossmutter und meiner Gotte zwei Etagen weiter unten wohnte, wecken. " Komm Hans-Peter, du musst heute nicht in den Kindergarten, wir gehen Rehe beobachten und da müssen wir halt so früh aufstehen. Auf das Morgenessen verzichten wir, werden aber dies dann später nachholen. Ich habe alles feine Sachen in den Rucksack eingepackt ". Ich glaube, dass es sicher nicht später als 04:00 Uhr war. Schlaftrunken wurde ich angekleidet und dann ging’s los !

Draussen war es noch recht dunkel und so unheimlich still, dass ich nach der Hand von Grossvater griff. Er passte sein Tempo meinen allzu kurzen Beinen an und wir spazierten die Burghalde hinauf Richtung Rosenburg. Diese liessen wir dann aber links liegen und liefen Richtung Rödel. Ab dem Verzweiger, von wo aus man zur Rosenburg gelangen konnte, betraten wir den Wald. Es war noch viel dunkler hier drinnen und unheimlich ruhig. Ich glaube, ich bekam richtiggehend Angst, versuchte mich mit meiner Hand noch fester an die des Grossvaters zu klammern und begann zu plappern. Er mahnte mich aber, dass wir ab jetzt sehr ruhig sein müssen, sonst verjagen wir die Rehe. Nun waren nur noch unser Atem und leise Tritte im mit Laub und Tannennadeln belegtem Weg zu hören. Ab und zu knackte irgendwo ein Ast oder sonst irgend etwas.

Grossvater führte mich an einen kleinen Bachlauf, der eher einem kleinen Tümpel glich und legte sich mit mir bäuchlings in einiger Entfernung zum Bächlein ins Unterholz, packte seinen Feldstecher aus, legte eine Decke über mich und mahnte mich zur absoluten Ruhe. Nun war ich wirklich hell wach und absolut gespannt auf das, das da kommen soll. Es war immer noch sehr still, nur ab und zu hörte man von einem weit entfernten Bauernhof so etwas ähnliches, wie ein krähender Hahn. Plötzlich zupft mich Grossvater am Ärmel, was war das ? etwas huscht nicht weit von uns durchs dürre Laub, und dann noch etwas und dann sahen wir, wie sich langsam eins, zwei, drei, nein es waren am Schluss etwa acht Rehe, die sich dem Bächlein näherten. Immer wieder standen sie still, spitzten die Ohren, schauten fast scheu um sich und begannen zu trinken. Eins oder zwei der Rehe hielten immer Ausschau, ob noch alles in Ordnung ist. Zwischenzeitlich wurde es auch immer heller und man hörte erst einzelne, dann immer mehr Vogelstimmen und plötzlich war ein fast ohrenbetäubendes Gezwitscher im Gange. So etwas war mir in dieser Art völlig fremd und neu. Ich glaube, ich habe alles um mich herum vergessen, so fasziniert war ich von diesem Schauspiel. Ebenso ruhig wie die Rehe gekommen waren, sind sie auch wieder verschwunden. „ So, nun müssen wir aber etwas essen, sonst verhungern wir am ende noch „ meinte Grossvater und holte mich aus meinem Staunen zurück in die Realität. Nun wurde mir auch bewusst, dass es eigentlich recht kalt war, trotzdem über mir eine dicke Decke ausgebreitet war, fröstelte es mich.

Nicht allzu weit von unserem Schauplatz entfernt führte mich Grossvater zu einer Waldlichtung, wo er für uns ein Lager herrichtete, die dicke Decke immer noch um mich herumgewickelt, setzten wir uns in die ersten Sonnenstrahlen, die von Osten her in die Lichtung fielen. Bevor Grossvater den Rucksack öffnete, machte er ein kleines Feuer, an dem wir uns wärmen konnten. Der Rucksack war dann eine einzige Wundertüte. Da kam einmal eine Flasche heisser Tee zum vorschein, natürlich mit zwei richtigen Tassen aus Porzellan, dann Brote mit dick aufgestrichener Butter, eine Servelat Wurst, die er mit seinem Sackmesser aufschnitt, da waren auch noch zwei grosse Äpfel und gedörrte Zwetschgen und als Zugabe noch eine ganze Tafel schwarzer Schokolade. Warum schwarze Schokolade immer auf Ausflügen mit dabei war, erklärte er mir einmal später so: Das ist - Feldschiesserschoggi - und soll Durchfall unterwegs verhindern. Also mir hat es jedenfalls geholfen, denn ich bekam nie Durchfall, wenn ich mit Grossvater unterwegs war.

Wir haben herzhaft gegessen und er hat mir währenddessen Geschichten über die Tiere im Wald, über die Bäume und Pflanzen erzählt. Die Sonne schien immer wärmer, ab und zu brummte eine Biene oder ein Käfer oder sonst etwas vorbei, es war einfach wunderschön, sicher viel schöner als im Kindergarten, und was ich denn da Morgen den anderen Kinder zu erzählen habe !

" Ich glaube, wir müssen nun langsam aufbrechen, aber keine Angst, wir gehen noch lange nicht nach Hause. Diesen schönen Tag müssen wir doch ausnutzen ". Er wickelte mich sanft aus der grossen Decke aus, küsste mich erst auf die Stirn, dann auf beide Wangen und am Schluss noch auf den Mund, nahm meine Hand und so zogen wir wieder in den Wald hinein. Ich glaube, ich fühlte mich sehr wohl und wir plauderten ständig im Frage - und Antwort Dialog. Unsere Wanderung ging nun um den Rödel herum zum Breitfeld. Das war zu der Zeit ein Kleinflugfeld und Pferdesportplatz bei Winkeln, zwischen St. Gallen und Herisau gelegen.

Am Rande des grossen Feldes, das sich eben Breitfeld nannte, haben wir nahe einer Baumgruppe erneut unser Lager aufgeschlagen und aus dem Rucksack wurden weitere Köstlichkeiten ausgepackt. Für den Grossvater eine Flasche Bier und für mich eine ebensolche, die aber mit Himbeersirup gefüllt war. Der Unterschied wurde dann  beim öffnen der Flaschen ersichtlich, denn die von Grossvater explodierte förmlich und der Schaum schoss aus der Flasche, so dass wir beide herzhaft lachen mussten. Dann wurde Holz eingesammelt und ein richtiges Lagerfeuer angezündet. Nun wurde mir auch klar, was es zum Essen geben wird. gebratene Servelat – Würste mit Brot und ich glaube, da war noch eine halbe Tafel schwarzer Schokolade von heute Morgen, die noch gegessen werden musste. Wie im Schlaraffenland kam ich mir vor und als dann Grossvater meinte, dass es nun für ein Mittagsschläfchen Zeit wäre, haben wir uns zusammengekuschelt und ich glaube, so haben wir sicher eine Stunde oder so selig geschlafen, Grossvater sicher wegen dem Bier und ich weil ich müde war.

Nun, es wurde dann doch einmal Zeit, den Rückweg anzutreten, "  Sonnst geben die zu Hause noch eine Vermisstenanzeige auf dem Polizeiposten auf, und das wollen wir doch nicht, oder ? "

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