Klaus Georg

Wie geht´s

 

 

 

Wie geht’s ?

 

Am liebsten gehe ich frühmorgens spazieren, wenn der Tau noch an den Grashalmen und Blättern klebt oder wenn noch Nebelschwaden wie Watte zwischen den Sträuchern liegen und verzweifelt versuchen, der aufgehenden Sonne zu trotzen.

Dann kommen mir, manchmal jedenfalls, die besten Ideen, oder ich kann mich darauf einlassen, mich mit ganz verrückten Dingen zu beschäftigen. Wie z.B. mit der Frage, ob man quer durch die Erde bis zur anderen Seite ein Loch graben könnte. Ob das einfach so ginge wenn es da innen drin nicht so heiß wäre, natürlich.

Oder was wäre, habe ich mich einmal gefragt, wenn Gott jetzt plötzlich vor dir stehen und dir erlauben würde, eine Frage zu stellen. Keinen Wunsch oder ähnliches, nein, nur eine einzige Frage.

Unwillkürlich bin ich stehen geblieben und habe angefangen zu überlegen.

Was könnte ich ihn denn alles fragen, hab ich mich selbst gefragt. Etwas wichtiges sollte es natürlich schon sein. Etwas sehr wichtiges.

Ich könnte ihn z.B. fragen warum er Kriege zulässt. Das ist sicher eine gute Frage, denke ich mir, eine hervorragende Frage sogar. Warum lässt du zu, dass Millionen sterben nur weil da oben zwei oder drei nicht vernünftig miteinander reden können. Oder wollen. Warum sperrst du die drei nicht in einen Raum ein und sagst : wenn ihr kämpfen wollt, bitte schön. Aber macht das unter euch aus, schlagt euch gegenseitig die Köpfe ein. Aber lasst die Anderen in Frieden.

Das wären doch wichtige Fragen, und die Antworten würden ganz sicher nicht nur mich interessieren.

Dummerweise sind das aber jetzt schon drei Fragen, und ich darf ja nur eine stellen.

Ich könnte ihn statt dessen fragen warum er Krankheiten zulässt, oder Erdbeben. Nun ja, bei den Krankheiten würde er vermutlich sagen : die macht ihr doch größtenteils selbst. Warum sollte ich etwas dagegen tun wenn ihr es selbst genau so gut könntet ?

Und bei den Erdbeben würde er vermutlich auch dankend ablehnen. Dafür bin ich nicht zuständig, würde er sagen. Seht lieber zu, dass ihr mit eurer Erde besser klar kommt statt ihr ständig Stück für Stück den Garaus zu machen. So hab ich das nämlich nicht gemeint mit dem ‚untertan machen’.

Aber was könnte ich ihn sonst noch fragen ? Mir fallen eine ganze Menge Fragen ein, auf die aber eigentlich keiner eine Antwort haben will. Viel zu oft werden solche Fragen gestellt, oftmals sogar schon unbewusst. Nur um etwas zu sagen. Wie ist das denn, wenn sich z.B. zwei Menschen treffen und der eine fragt : Na, wie geht’s ?


Will er das wirklich wissen weil es ihn interessiert, weil der andere ihn interessiert, oder ist er nicht in Gedanken schon wo ganz anders und will in Wirklichkeit gar keine Antwort haben ?

Will in Wirklichkeit gar nichts von den Problemen des Anderen hören, nichts davon wissen, geschweige denn sich damit beschäftigen.

Wir treffen täglich duzende von Menschen, Hunderte vielleicht. Manche kennen wir, viele nicht, manche mögen wir, aber die meisten sind uns egal. Wir wollen gar nicht wissen, wie es ihnen geht, jedenfalls nicht wirklich.

Wir beschäftigen uns nur noch mit uns selbst, unserer engsten Umgebung, unserer eigenen kleinen Gesellschaft. Und bilden uns allen Ernstes ein, die ganze Gesellschaft zu kennen.

 

Ich stelle fest dass mir langsam die Fragen ausgehen.

Ich könnte ihn fragen, warum er Menschen nicht hilft wenn sie krank oder verletzt sind. Oder warum wenige vieles haben dürfen und viele nichts. Aber auch hier kenne ich schon die Antwort lange bevor ich die Frage gestellt hätte. Die Suppe habt ihr euch selbst gekocht, würde er sagen, warum sollte ich sie für euch auslöffeln ? Das habe ich vor langer Zeit einmal gemacht, wenn ich mich recht erinnere. Noch mal das Gleiche ist nicht vorgesehen.

 

Jetzt hab ich’s, ich könnte ihn fragen was er von der Inquisition hält, die so viele Menschen Jahrhunderte in Angst und Schrecken versetzt hat. Oder was er über den Zölibat denkt oder überhaupt, ob das alles so in seinem Sinne ist was seine Nachfolger in seinem Namen heute so alles anstellen.

Aber ich erlasse ihm die Antwort und gebe sie mir selbst. Es gibt Dinge, die fragt man einfach nicht, hat mir ein Priester vor vielen Jahren einmal mit erhobenem Zeigefinger gesagt. Und viel zu lange hab ich mich daran gehalten.

Wie dem auch sei, ich glaube an den, den sie Jesus Christus nennen und an das, was er wollte. Da muss ich nicht alles glauben was so gesagt wird.

Vielleicht sollte ich ihn etwas über mich selbst fragen. Warum ich überhaupt auf dieser Welt bin, zum Beispiel. Oder so philosophische Fragen wie : warum bin ich wie ich bin, oder was ist der Sinn des Lebens ?

Vermutlich würde er einen Stein oder ein Stück Holz aufheben, mir zeigen und sagen : das ist der Sinn des Lebens. Und wenn ich ihn fragen würde was das denn sei, das er da in der Hand hält, würde er sagen : das, mein Freund, musst du schon selbst herausfinden.

Ich gebe auf, ich weiß einfach nicht, was ich ihn fragen sollte. Das eine ist zu einfach, das andere zu kompliziert und das dritte nicht wichtig genug.

 

Vor meinem geistigen Auge sehe ich ihn von einem Fuß auf den anderen treten als wolle er sagen : nun mach mal zu, ich hab noch eine Menge zu tun heute.

 

Neugierig schaue ich mir ihn etwas näher an, wie er in seinem langen, grauen Gewand so vor mir steht und mir zulächelt. Seine Figur kann ich nur erahnen, einen dicken Bauch wie unser Pfarrer hat er aber jedenfalls nicht. Dafür kann ich seine Hände sehen, sie sind schmal und die Adern auf den Handrücken treten deutlich hervor. Aber sie sind gepflegt und von den Wunden ist nichts zu sehen.

Sein Gesicht ist kantig und ein wenig blass. Ich muss ein Lachen unterdrücken, weil ich mich innerlich gefragt habe, ob er da oben wohl auch genug zu essen bekommt.

Wird er schon, denke ich.

Seine Augen interessieren mich besonders, eigentlich interessiert mich alles an ihm, aber die Augen strahlen eine seltsame Wärme aus, die mich einhüllt und mir gut tut.

Ich würde gerne noch so vieles über ihn wissen, wie er spricht, wie er fühlt und wie er denkt.

Und was er denkt, vielleicht auch von mir.

Und dann, ganz plötzlich, weiß ich was ich ihn fragen möchte.

 

‚Hallo’ würde ich fragen ‚wie geht’s ?’