Es war einmal eine Kuh,
eine schöne, weiss-schwarz gefleckte Milchkuh. Aber eigentlich war sie gar
keine Milchkuh mehr , sondern inzwischen eine Schlachtkuh, und Elsa hiess sie
auch nicht, sie hatte gar keinen Namen, sie war schliesslich zum Sterben
gemacht. Ich will ihr aber einen Namen geben, weil sie die Heldin meiner
Geschichte ist. Ein Heldin sollte einen Namen haben, und ihrer ist, weil der
Titel sich so, so schön liest, Elsa.
Es war der 28 Juni. Die
Sonne schien wie ein Sieger über den wolkenfreien Himmel. Die Kirchuhr zeigte
etwa gegen halb 6 an, als der Laster knirschend auf den Schotterweg einbog. Ein
Schild, als Pfeil geformt - Schlachthof -
wies auf ein paar Gebäude, die schon, klein auf einem Hügel, am Ende des
Weges warteten.
Der Junge Mann
umklammerte mit beiden Händen das grosse Lenkrad und bemühte sich, den Wagen so
ruhig wie möglich über den unsteten Weg zu steuern. Schweissperlen standen ihm
unter der Schirmmütze, als er den Wagen staubend, vor dem grossen Tor zum
stehen brachte.
Der Hof bestand aus
mehreren Gebäuden. Grosse, aneinandergepresste Betonklötze. Die Wände waren
wohl gerade erst neu angestrichen, denn
ihr Weiss strahlte in der Nachmittagsonne, wie der Flügel eines Engel.
Lange, schmale , nach oben gezogene Fenster säumten die Seite des Gebäudes,
welches gerade und eine Art Innenhof formend, am Hauptgebäude vorbei, auf das
Gut brach. Das Hauptgebäude sah aus wie eine riesige, alte Lagerhalle, mit
abgerundetem Dach. Es war ein, aus einer Mischung aus Beton, schweren Steinen
und Holz konstruiertes Gebilde. Daneben grenzte ein modernes, kleineres
Häuslein mit viel Glas, in dem die Büros, Anmeldung, der ganze organisatorische
Teil, der zum Töten notwendig ist, eingezogen war.
Schirmmütze hupte
dreimal, öffnete die Tür und sprang aus dem Laster. Kurze Zeit später kam ein
anderer junger Mann mit Anzug, aber ohne Krawatte, aus dem organisatorischem
Teil und ging, mit einem Papierblock bewaffnet, zum Fahrer.
„Ah, da sind sie ja
endlich. Wir hatten sie schon vor 2 Stunden erwartet“.
„ Ich bin in einen Stau
gekommen. Die Kuh ist schon ganz unruhig geworden, zwischendurch“
Der Anzug blickte kurz
zum Kastenaufbau „Naja, wir werden es bis zum Morgen unterbringen und es dann
fertig machen. Wir melden uns dann. Sie können die Ware dann abholen.
Unterschreiben sie noch hier – “ er streckte ihm den Block und einen
Kugelschreiber, auf dem in weisser Schrift – Schlachthof Emmer / Immer frisches
Fleisch– gedruckt stand, entgegen „- und fahren sie dann in die Halle, ich
lasse das Tor öffnen“.
Er winkte zu einem, mit
weissem Kittel bekleidetem Mann, der einen Schalter betätigte, worauf sich das
Tor sanft nach innen öffnete.
Schirmmütze stieg ein und
fuhr den Lkw langsam durch das Tor. Der Eingang war so gross, dass locker noch
ein halber Laster oben drauf gepasst hätte. Drinnen wartete Kittel schon
und winkte ihn zu einer Art Gatter. Die
dicken Eisenstäbe bildeten einen Gang, der durch eine Öffnung in einen
weiteren, nicht einsehbaren Teil der Halle führte. Kittel kam an die
Fahrerseite „ Sie hätten eigentlich rückwärts reinfahren müssen. Zum Gattertor
hin, sie verstehen ?“ . Er kratzte seinen kurzgeschorenen Hinterkopf „ naja,
egal, wir treiben das Vieh einfach rein. Ist ja nur eine“.
Mütze schlug das Lenkrad
ein und wendete noch ein klein wenig, damit die Türen vom Aufbau, zumindest in
gutem Willen, in die Richtung des Gatters wiesen, hielt, drehte den Laster aus,
zog die Handbremse an, liess den Schlüssel stecken und kletterte aus dem
Fahrersitz.
Er ging nach hinten, wo
Kittel und Arbeitskollege von Kittel,
Schürze, schon auf ihn warteten.
„Dann wollen wir die Kuh
mal tanzen lassen“, lachte Schürze. Mütze hantierte an den Hebeln rum und
öffnete mit lautem Quitschen die beiden Türen.
Da stand sie, Elsa, die
Kuh, ganz am Ende im Anbau und starrte die drei Menschen aus ihren grossen,
schwarzen, unschuldigen Kuhaugen an. Sie
riefen sowas wie – was macht ihr denn mit mir, ich habe eine Heidenangst-
„ Gerd, geh rein und
treib das Vieh raus“, meinte Kittel, nachdem sie eine Laufbahre aus Holz an die
Anbautür angelegt hatten.“ Wir beide treiben sie dann rein“
„ Wieso muss ich immer
die Drecksarbeit machen“. Schürze fluchte und stampfte in den Anbau hinauf. Elsa
wich nervös einen Schritt zurück, beobachtete die weisse Gestalt, wie sie sich
ihr mit sinnlosen Worten „Ist ja O.K.“
und „ Ganz ruhig „, sowie „ Alles wird gut“ - typischer Schlachterhumor-,
näherte.
Und dann geschah es, aus
heiterem Himmel, aus einer inneren Eingebung heraus, rannte Elsa los. Sie
beschleunigte aus dem Stand, unter ihren Hufen polterte das Blech wütend und
der Laster wackelte zustimmend. Die weisse Gestalt, mit dem plötzlich weissem
Gesicht, sprang zur Seite und presste sich erschrocken an die Innenwand.
Elsa stürmte die
Holzplanken hinunter, direkt auf die ebenfalls überraschten und mit Schrecken
in den Augen wartenden, Mütze und
Kittel. Sie zögerten nur kurz und hechteten dann in ungeübtem Sprung zur Seite.
Durch ihre Mitte schnitt Elsa mit schweren, schallenden Hufen. Vom Schrecken
verfolgt und vorerst den Fängen der Arachne entkommen, galoppierte Elsa in
Kuhmanier zum offenen Tor, der hellen, grüssenden Abendsonne entgegen.
„Ach Du scheisse“, Kittel
stand mit offenem Mund neben Mütze, Schürze hatte sich auch schon wieder aus
dem Schrecken gefangen und stand oben im Aufbau. Alle drei starrten in Richtung
Tor, durch das vor wenigen Kuhmomenten Elsa geflüchtet war.
Mütze reagierte als
erster. „Hinterher“, schrie er und stürmte los. Noch mit dem
Schrecken in den Beinen, stürzten die beiden Schlachter aufgescheucht
hinter Mütze her. Sie liefen durch das Tor, Elsa galoppierte schon den
Schotterweg hinunter, und dem Unglück hinterher.
Elsa lief hastig , einer Kuh angemessen, aber sie war halt doch kein Pferd
und nicht wirklich schnell. Die drei machten sich sofort daran, ihr
hinterherzujagen.
Anzug war auch plötzlich
auf dem Platz „ Wieso ist die Kuh draussen ?“, schrie er er wichtig.
„Was weiss ich“, schallte
Kittel zurück, beschleunigte seinen Lauf und führte das Trio, Elsa folgend, an.
Die drei kamen schnell
näher. Elsa hatte ihren Lauf ein wenig verlangsamt, bis sie die drei Verfolger
bemerkte und ängstlich beflügelt wieder beschleunigte.
Inzwischen erreichte sie
das Ende des Schotters und bog links, auf die Asphaltstrasse, Richtung Stadt
ein.
Ein kleiner, roter VW kam
ihr entgegen. Der Fahrer hielt am Strassenrand und schaute erst verblüfft, dann
amüsiert, als er die drei Gestalten bemerkte, die hinter der Kuh hereilten.
Elsa rannte
sprichwörtlich um ihr Leben, und die drei rannten ebenfalls, um ihr, also um
Elsas Leben, hinterher, der Dorfstrasse folgend Richtung Bülow.
- Herzlich Willkommen in
Bülow- (ihr seltsamen Gestalten) wurden sie, schon kurze Zeit später vom blauen
Stadtschild begrüsst.
Nur noch etwa hundert
Meter trennten sie von den ersten Häusern. Autos hielten am Strassenrand, das
Schauspiel war schon von weitem zu bemerken. Menschen stiegen aus, lachten oder
grinsten schief. Manche hupten, was Elsas Absicht, die Stadt zu erreichen, nur
noch bestärkte.
Schürze war schon etwas
zurück gefallen, sein dicker Bauch wippte auf und ab. Sein rot angelaufenes
Gesicht glänzte verschwitzt. Er keuchte laut, konnte aber noch mithalten. Die
beiden anderen waren auch schon etwas ausser Atem, aber die Tatsache, dass sie Elsa langsam
näher kamen, liess sie sogar noch beschleunigen. Sie jagten an den ersten
Häusern vorbei, und schon waren sie im
Zentrum der kleinen Stadt angekommen. Mütze und Kittel hatten Elsa inzwischen
eingeholt, und liefen an ihren beiden Flanken neben ihr her. Aber Elsa wollte
einfach nicht anhalten, und festhalten konnte man sie auch nicht so einfach.
Ihr massiger Körper stampfte einfach immer weiter.
Menschen standen am
Strassenrand, Mütter mit ihren staunenden Kindern, krumme alte Frauen mit
Tüchern auf dem Kopf, Männer mit Hut, der Blonde im Blaumann, der sich gerade
Zigaretten aus dem Automaten zog, der Alte mit der Pfeife, alle Arten von
Leuten, beim Einkauf, spazierend, fahrradfahrend, sie alle hielten in ihrem
Alltag ein und vergnügten sich, jeder auf seine Weise, über dieses seltene
Schauspiel. Sie lachten und zeigten mit dem Finger auf Elsa und ihre Verfolger,
und einige, vor allem die Kinder, beteiligten sich schreiend an der wilden
Jagd, die inzwischen am Rathausplatz angekommen war und, ein wenig an die
Encierros, dem Stierlaufen in Pamplona erinnernt, nur dass hier keine
gefährlichen Ochsen, sondern die verschreckte Kuh Elsa durch die Stadt
getrieben wurde, von der Strasse auf den
kleinen Markt einbog, an den Rathaus und Kirche von Bülow grenzten.
Es war inzwischen 6
geworden und die Glocken läuteten zur Abendmesse, die mit weit geöffneten Toren
einlud. Das Cafe war voll besetzt, die Leute sassen draussen in der Sonne und
genossen Kaffee und Kuchen. Auch vor der kleinen Eisdiele waren die Tische voll
besetzt – Kleinstadtharmonie-.
Plötzlich sprangen die
Leute, die sich eben noch über ihre Alltagsinteressen ausgetauscht haben, auf,
denn Elsa und ihre Begleiter, und in einigem Abstand die lachende und schreiende
Meute im Anschluss, nur Schürze war schon seit längerem nicht mehr mit von der
Partie, stürmten auf den Platz. Mütze
und Kittel keuchten auch schon, lange würden sie es nicht mehr aushalten.
Elsa rannte an den Cafes
und Eisdielen, an den Tischen auf dem Kirschkuchen, Limonaden, Fruchteisbecher
und dazwischen die staunenden Bülower standen, vorbei, über den Platz, Mütze
und Kittel in greifbarer Entfernung dichtauf, durch ein dutzend ahnungsloser
Tauben, die erschreckt, und mit lautem Flügelschlag über den Dächern Schutz
suchten, direkt auf die Kirche, deren Glocken noch immer zum Gebet riefen, zu.
Die grossen dunklen Tore
des Gotteshauses, weit geöffnet, hatten schon etwas Ähnlichkeit mit dem
Stalleingang, durch den Elsa als Kalb oft hindurchgezogen war. Anders kann ich
mir nicht ihre Direktheit erklären, mit der sie, ohne an Geschwindigkeit zu
verlieren, direkt auf die Pforten zusteuerte und durch sie hindurch, hinein
galoppierte – mitten ins Ave Maria
Alles verstummte
augenblicklich. Offene Münder, aus denen eben noch preisender Lobgesang
erklang, in den Gesichtern der Gläubigen ungläubige Blicke, alle Augen waren
jetzt auf Elsa gerichtet, die nun ihren Lauf endlich verlangsamte, an den
halbgefüllten Bänken vorbei zum Altar trabte.
Ihre Hufe hallten laut
und unnatürlich in die heilige Stille hinein. Das murmeln begann erst, als Elsa
direkt vor den 3 Stufen, die zum massigen Steintisch führten, zum stehen kam.
Der Pfarrer war ebenso erstaunt und überrascht wie die übrige Menge, klammerte
sich mit beiden Händen an sein Mikrophon, als hätte der Leibhaftige Teufel
Einzug gefunden, in das Haus des Herrn.
Mütze und Kittel waren
Anfangs vor dem Gotteshaus stehen geblieben. Sie keuchten laut und sahen sich,
mit diesen – was jetzt?- Blicken, - Das wird ein Nachspiel haben – Gesichtern ,
an. Dann folgten sie langsam in die heiligen Hallen, dichtgefolgt von einer
Menschenmenge, die jetzt zusammengedrängt und leise, durch das Tor gezwängt,
hinterhertrippelte.
Elsa stand immer noch vor
dem Altar, rührte sich nicht, sah nur mit , schwarzen, unschuldigen, grossen, weiblichen
Augen, abwechselnd zu dem grossen Holzkreuz, an dem der nackte, blutende Leib
Jesus hing, und zum Pfarrer, der sich inzwischen wieder gefangen hatte, vor
allem auch, weil die Kuppel jetzt erfüllt war mit dem Echo von etlichen Schritten,
begeleitet vom Mumerln der Kirchgänger, und seine kirchliche Rolle, als Hirte
und Wegweiser Gottes, ihm die nötige Autorität und Würde zurückbrachte.
Kittel und Mütze kamen
langsam näher. Elsa zuckte kurz, als sie sie an ihren Flanken bemerkte, und
stand dann wieder still.
„ Was geht hier vor sich
?“, fragte die, in schwarz und weiss gehüllte Gestalt, mit ruhiger, aber
bestimmter Stimme. Alles verstummte, die Menschen drängten nicht mehr herein,
blieben gebannt stehen. Nur von aussen drückten noch einige Neugierige gegen
die Menschenmauer, weil sie auch einen Blick auf das Ereigniss des Jahres, die
Lokalzeitungen würden noch Wochen später über Elsa berichten, erhaschen
wollten.
Mütze und Kittel
räusperten sich gleichzeitig, doch bevor einer etwas sagen konnten, wies der
Hirte mit einer kleinen Weisung auf die Kopfbedeckung von Mütze, die er sich
dann nervös und hastig vom Kopf riss. Auch in der Ansammlung im Gang, verlegene
Bewegungen, um sich Hüte und Mützen vom Kopf zu nehmen.
„ Also, das ist – „,
wieder räuspern und schlucken, Kittel rang um jedes Wort „ eine Kuh“
„ Das sehe ich auch“.
Lachen und Kichern in der
Menge.
„Sie ist uns entwischt ,
aus der Schlachterei“, Kittel kratzte sich nervös am Hinterkopf, Mütze grinste
etwas blöd.
Der Pfarrer sah zu Elsa,
Elsa sah zum Pfarrer. Der Pfarrer sah zum Kreuz Jesu, verharrte einen
Augenblick, als würde er heimlichen Worten, die nur ihm zugeflüstert werden,
lauschen.
Auf seinen Lippen formten
sich lautlos die Worte – So sei es-
„ Dies ist das Haus des
Herrn“, begann er „ Hier herrscht das Wort Gottes. Dieser Platz bietet Trost
und Schutz für alle Menschen die Gottes Gnade und seine Liebe suchen. Und – „
er unterbrach seine Rede, Falten legten sich in seine Stirn „- für alle
Geschöpfe des Herrn, die um seinen Beistand bitten. Diese Kuh, dieses treue
Schäffchen des Herrn hat Zuflucht gesucht in dieser Kirche. Ich muss ihm diesen
gewähren, im Namen - „
„ Aber“, Mütze ging einen
Schritt auf den Pfarrer zu. Dieser winkte ihn, nur mit einer wehenden Bewegung
seines Armes, zum verstummen
„- des Herrn, unseres
Erlösers . Amen“
Nunja, jetzt bin ich
schon fast am Ende meiner Geschichte angekommen. Wie ging es weiter ? Das
möchte ich euch natürlich nicht vorenthalten. Also, Elsa wurde ein Eimer Wasser
hingestellt, den sie gierig leerte, blieb bis zum Ende der Messe, die aber
stark verkürzt abgehalten wurde. Das Wasser , das der Messdiener der Kuh
brachte, schöpfte er direkt aus dem geweihtem Taufbrunnen in der Kirche. Als
der Pfarrer das erfuhr, entschloss er sich, in der nächsten gehaltenen Messe,
zu Spenden aufzurufen, um dem Besitzer Elsa abzukaufen, damit sie einen ruhigen
Lebensabend auf einem Bauernhof in der Nähe der Kirche verbringen durfte. Der
Besitzer von Elsa, ein gläubiger Mensch, schenkte, nachdem er von der
Geschichte erfahren hatte, Elsa schliesslich der Kirche, die bereits
gesammelten Spenden wurden genutzt, einen Stall für sie zu bauen.
Elsa lebt heute immer
noch, gibt Milch, frisst Gras, und starrt gelegentlich still und sehr
geheimnsvoll in den Himmel hinauf. Das wurde vorher noch nie bei einer Kuh
beobachtet, und alle sind sich sicher, Elsa hatte genau gewusst was sie tat,
und vielleicht spricht sie jetzt mit dem lieben Gott über die Eigenarten der
Menschen.