Dennis Kesy

"Das Schiff"

Die Geschichte ist schon etwas älter und war ursprünglich als Vorepisode zu einem Roman gedacht, den ich jedoch nie fertig geschrieben habe. 
 
Intro
Ich und Jason waren aus der Schule ausgetreten und brauchten eine Wohnung. Früher waren wir befreundet, doch schon damals konnte ich nicht mehr sagen, warum ich seinem Angebot zustimmte. Er hatte den Vorschlag unterbreitet mit mir eine WG zu gründen.
Jason war der Leadsänger einer Band, deren Lieder ich schrieb. Nur dadurch waren sie zu dem Ruf gekommen, den sie genossen. Jason hatte nie Talent gehabt Lieder zu schreiben, er konnte gerade mal überdurchschnittlich gut singen. Doch er war der schmalztriefende glatthaarige Schönling den man in einer typischen Boygroup nicht missen konnte, und von den Texten die ich schrieb verstand er meist nicht einen Satz.
Wir fanden sogar eine Bleibe, welche unseren Geldbeutel schonte, jedoch mussten wir einen im Mietvertrag verzeichneten dritten Mieter heranschaffen. Wir gaben also eine Annonce auf.
Die denkbare Attraktivität unserer Anzeige lockte immerhin einen an. Der Typ hieß Sid. Und so sah er auch aus. Er war der bösartige Ableger Godzillas, nur hässlicher. Doch wir zogen zusammen.
Zwei Wochen lief es ganz gut. Wir kümmerten uns alle drei um den Haushalt und ich machte Fortschritte mit meiner Konzentrationsschwäche.
 
Geistige Missbildung
Fünf Wochen, drei Stunden, zweiundzwanzig Minuten, drei Tuben Kleber und sehr viel Geduld hatte es mich gekostet, ehe ich dieses blöde Holzschiff fertig gebaut hatte. Ich sollte meine Konzentration damit schulen, es war ein Therapieauftrag meines Arztes. Ich hatte die Schwäche mich nicht lange an einer Sache fixieren zu können und war deswegen schon drei Wochen in Behandlung gewesen. Ich denke der Auslöser dafür war der Selbstmord meiner Schwester. Ein Jahr dauerte es, bevor ich beschloss einen Seelenheiler aufzusuchen. Und dann saß ich da und baute Modellschiffe.
Jason kam rein und sah mich an. Wir hatten nur vier Zimmer, wovon zwei Bad und Küche waren. Also hatten ich und Jason ein Zimmer zusammen, Sid hatte sein eigenes. Jason war relativ kräftig, kräftiger als ich, und Sid war ein Monster von Mann. Seine Armmuskeln waren dicker als meine Schenkel und seine Nase öfter gebrochen als man an der bloßen Hand abzählen konnte. Er machte jeden Tag hundert Liegestütze, morgens und abends, und freitags ging er immer ins Sportstudio.
Jason nickte mir nur kurz zu und nahm seine Jacke aus dem Wandschrank, um dann wie jeden Samstag zum Proben zu gehen. Jason war fünfundzwanzig und hatte mittellange, schwarze Haare und ein makellos reines Gesicht, für das er immer eine halbe Stunde im Bad aufwendete. Seine Augen strahlten vor Ausdruckskraft und er hatte jede zweite Woche ein neues Mädchen.
Ich besah mir mein Holzschiffchen noch einmal von allen Seiten und überprüfte es auf eventuelle Makel, doch es war durch und durch perfekt. Seufz... Das größte, was ich je geschaffen habe. Ich nahm die Holzplatte auf der es stand mit beiden Händen hoch und stand auf, um es in den freien Platz im Bücherregal zu stellen, wo es meine ihm gebührenden Blicke des Stolzes auf sich ziehen konnte. Nächste Woche würde ich es meinem Seelenverpfuscher zeigen, und er würde sagen dass ich doch geraume Fortschritte gemacht hätte, und das in der kurzen Zeit und dass er schon die nächste Aufgabe für mich hätte.
Ich stellte es also in das Regal, pustete danach noch einmal all den Staub hinunter, welcher sich in den fünf Wochen darauf abgelegt hatte und besah mir zufrieden dieses altertümlich langweilige Bild der Nutzlosigkeit. Dann kam Sid rein.
„Hey, wie geht’s Ed?“, fragte er. „Du kannst mir doch sicher ein wenig Geld leihen, oder?“ In der Bitte lag der Unterton von Zwang. Außerdem nannte er mich Ed, was ich nicht wollte. Das wusste er. Sonst würde er es nicht machen. „Mann, tut mir leid, aber ich hab letztens alles für meine neuen Schuhe ausgegeben, und die waren wirklich nötig...“ Seine zuerst freundlich tuende Miene verdunkelte sich merklich und er begann ungeduldig mit den Füßen zu wippen. „Du hast also wirklich kein Geld für mich, nein?“ Meiner Stimme legte sich ein Hauch Nervosität bei, trotzdem wagte ich mir zu antworten: „Nein, tut mir echt leid, wirklich nicht.“ Sid kam mir mit bedrohlichem Gang näher und sah mir mitten in die Augen. „Na wenn das so ist...“, sagte er. „... dann will ich dir mal glauben.“ Er drehte sich zum Gehen um. Doch schon mitten im Glücksseufzer über die Tatsache, dass er mich nicht zu Brei schlug, wendete er sich noch einmal zu meinem Bücherregal und zertrümmerte mit einem einzigen Schlag fünf Wochen harte Konzentration. Das Schiff lag dort in Einzelteilen, und unter dem wieder entstandenen Bausatz ragten grüne Dollarscheine hervor.
„Ach, Ed, was haben wir denn da?“ Er suchte alle zusammen und warf dabei die kleinen Masten durchs Zimmer. „Wolltest die wohl vor mir verstecken oder was?“ Meine Hände begannen zu zittern und ich begann wie ein angeschlitztes Huhn auf ihn einzugackern: „Hey, Sid, hör mal... Das ist mein Ersparnis für mein Motorrad, du weißt dass ich ein neues brauche, sonst komm ich nicht zu meiner neuen Arbeit! Sid! Bitte gib das her! Sid!“ Ich langte nach den Scheinen in seiner Hand und er hielt sie vor mir hoch als wäre ich ein unterzuckertes Kleinkind das seinen asozialen Vater um den Lolli anfleht, den dieser gerade genüsslich vor sich hinschleckt. Ich wollte meinen Vater töten.
Sid versetzte mir einen Schlag mit der Linken und ich flog rückwärts an die Kante meines Bettes. Dann wurde ich bewusstlos.
 
In den nächsten Wochen wurde ich immer wieder Sids spontane Geldquelle und außerdem sein Prügelknabe. Ich setzte Jason unter Druck, dass ich ausziehen und er seine Texte alleine schreiben müsste, würden wir das mit Sid nicht regeln. Für mich hätte das die Rückkehr zur verhassten Schule bedeutet, wo ich mir das ewige Mobbing hätte gefallen lassen müssen. Sid sagte Jason er solle mich wieder beruhigen, oder er würde uns beiden die Beine brechen.
 
„Ist die Zeitkoordinate nur lang genug sinkt die Überlebenschance für jeden auf null.“ – Jack
 
                                               Ende
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 14.05.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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