Benjamin Bieber

Harwa und Iowe

Dreamland

Harwa und Iowe

Der allmorgendliche Dunst lag über der toten Ebene, die wie ein kleiner Wüstenstreifen zwischen dem Gargoulschloss und dem Hügelwald lag. „Lass uns umkehren, du wirst es nicht schaffen.“ Ein Elf lief vorsichtig und langsam über den steinigen Boden. Hinter ihm schleppte sich eine breitschultrige Gestalt vorwärts. „Wir müssen den Wald erreichen, sonst werden sie uns entdecken wenn es hell wird.“ Sagte die Gestallt. Der Elf drehte sich um, seine blauen, strahlenden Augen blickten traurig. „Ich verwandle mich ja nicht in Stein wenn es hell wird, das war ja schon immer die Schwäche der Gargouls. Komm einfach nach, Harwa, dich suchen sie nicht, komm einfach nächste Nacht nach.“ Sie lächelte schief. „Bist du von Sinnen Iowe? Ich lass dich keinen Tag alleine durch die Hügelwälder gehen, böse Geister hausen dort. Was meine Schwäche angeht: meine Eltern lassen mich wenigstens tun was ich will und muss nicht vor ihnen fliehen.
Geh weiter Iowe!“ Harwa hustete und fiel auf die Knie. Der Elf sprang zu ihr hin und stützte sie. „Ich lasse dich nicht zurück, lieber sterbe ich.“ – „Du wirst ausser Hausarrest nichts bekommen wenn sie dich finden, du bist der Enkel der Elfenkönigin. Nun flieg schon zum Wald ich folge dir sofort.“
Als Iowe den Wald erreichte und zwischen dessen grünen Blätterdach zu Boden schwebte hielt er stets Ausschau nach Harwa. Unzählige, Unheilvolle Gedanken rasten durch seinen Kopf, was mit ihr geschehen sein könnte. Er hätte es sich nie verziehen, stösse ihr nur das geringste zu. Niemand wusste das Harwa seine grosse Liebe war, ausser vielleicht sie selbst, tief in ihrem dunklen Gargloulherz. Iowe wusste aber um ihren weichen Kern. Oft, wenn Harwa ihr nächtliches Training (ein harter Drill, den alle jungen Gargouls durchlaufen) zu ende war und sie grosse schrammen nach hause trug, pflegte Iowe diese Wunden. In seiner Gegenwart konnte sie ihre schmerzen nie vertuschen.
Über ihm knackten die Zweige der alten Bäume und Harwa stürzte unkontrolliert in die Tiefe. Nach einer harten Landung, half ihr Iowe wieder hoch. Ihr blicke trafen sich und wie immer schlugen beinahe funken, denn sie waren sich so unterschiedlich. Strahlendes blau und tiefes schwarz. „Danke Iowe.“ Harwas Haut wurde heller und jede Spur von Leben wich aus ihrem Gesicht. „Harwa?“ fragte der Elf leise, bekam aber keine Antwort. Harwa hatte sich in grauen Granit verwandelt, denn die Sonne schien nun durch das grün des Waldes und das Volk der Gargouls hüllte sich jeden Morgen in Stein. Iowes zarte, weiss schimmernden Finger glitten vorsichtig über ihr versteinertes Gesicht, als ob er Angst hätte, es könnte zerbrechen. Sein Vater sagte einst, es währe eines Heldenliedes würdig, dass sein Sohn mit einer Gargoul Freundschaft geschlossen hatte, obwohl der Frieden noch nicht lange währte.
Alles hatte am Rande des untersten Plateaus des Silberwaldes begonnen, damals vor zwanzig Jahren, wo er mit seinen Freunden die Lieder der fernen Welt spielten. Es war der Tag der Frieden und Krieggleiche, der noch heute gefeiert wird. Denn mit dem Frieden der Gargouls kam der grosse Krieg gegen Thor, doch davon berichtet eine andere Geschichte. Weder als Orak der Wanderer auf dem Drachen Akroz über ihre Köpfe hinweg fegten, noch als Orak ihn fragte warum sein Lied so traurig sei, Iowe hörte nicht auf zu spielen. Erst als die Gesandten der Gargouls in der folgenden Nacht, zusammen mit Screed dem Wolf in den Silberwald kamen, verstummte Iowes Spiel abrupt. Da sah er, voller Erhabenheit über ihn hinweg fliegend, die Königstochter der Gargouls. Doch sie sah ihn nicht. Schnell flog Iowe hinterher in die höchsten Wipfel des alten Baumes, dem Hauptsitz des Elfenrates.
Von oben schaute er, wie viele anderen den Verhandlungen zu, ihn interessierte aber nicht die Politik, sondern nur diese eine junge Gargoulfrau. Nach einer scheinbaren Ewigkeit schaute sie kurz zu ihm hoch und ihre schwarzen Augen in denen sich das Mondlicht spiegelte, liessen Iowe nicht wieder los. Der Gargoulkönig indessen bestand darauf, das während den gemeinsamen Kämpfen, seine Tochter Harwa als Pfand für die Freundschaft bei den Elfen bleiben sollte. Selbst der Trotz Harwas und den Protest der Elfen konnten den grossen König nicht umstimmen. Es wurde aber verordnet das Harwa sich nicht ohne Begleitung im Silberwald bewegen durfte. Anfangs als die grosse Schlacht begonnen hatte, war es Apheria, die Begleiterin Oraks, die auf die Gargoulfrau acht gab. Doch nach kurzer Zeit war sie mit voller Bewaffnung und in der Begleitung der zurückgeblieben Ratswache ins Tal geflogen um die eigenen Truppen zu unterstützen. Die Aufgabe erteilte sie direkt an Iowe, der ebenso erstaunt als auch erfreut war darüber.
So kam es, das während die Gargouls und Elfen unter der Leitung von Orak, Screed und Akroz dem Drachen gegen Thors Schattenarmee in die Schlacht zogen, Iowe alleine mit Harwa im Silberwald zurückblieb. Die Elfen machten stets einen grossen Bogen um die Königstochter, sie sass auf einem weissen Stein und das Mondlicht schien auf sie herab. Da ging Iowe zu ihr und setzte sich ebenfalls auf den Stein und flüsterte ihr seine Gefühle ins Ohr. So kam es, dass zur selben Zeit, als Akroz seinen Todesschrei ausstiess, unweit davon entfernt eine grosse Freundschaft und Liebe entstand.
Als Harwa am nächsten Abend ihre steinerne Hülle sprengte und erwachte, fand sie Iowe schlafend auf dem Laub liegen. Lautlos kniete sie neben ihm nieder. „Welch unberührte Reinheit ihr Elfen habt. Nie sollst du leiden, wenn ich bei dir bin.“ Flüsterte sie. Vorsichtig Pflückte sie das Laub aus seinen schneeweissen Haaren und wischte den Staub aus seinem leuchtenden Gesicht.
Oft haben sie zusammen am Rand des Elfenplateaus gesessen und sie hatte Iowes Musik gelauscht. Seine Finger beobachtet, wie sie die Saiten der Gitarre zupften. Oft haben sie auf den Zinnen des Gargoulschlosses gestanden und schauten in die Nacht, bis der Sonnenaufgang sie trennte. Immer dann hatte Harwa das Verlangen Iowes Hand zu ergreifen, ihn an sich zu ziehen und zu küssen. Doch tief waren noch immer die Wunden des langen Krieges zwischen ihren Völkern und man hätte eine solche Beziehung niemals gebilligt. Iowa kam immer weniger mit der Einschränkung seines Lebens zurecht. Selbst seine Sehnsuchtsvollen Lieder halfen nicht mehr. Oft erzählte er von seinem Wunsch fortzugehen, ins Tal der Wölfe und alles was dahinter lag. Manchmal weinte er neben ihr auf den Zinnen und viele junge Gargouls waren überrascht, denn solch traurige Laute hatten sie noch nie vernommen. Harwa hätte ihn gerne in die Arme geschlossen und zu trösten aber sie hatte Angst vor einer solchen Geste.
Ihr streng Militantes Volk hätte es nicht verstanden.
Vor drei Tagen, als sie vom Verschwinden Iowes hörte, flog sie los und fand ihn einsam über die tote Ebene gehen. Denn ebenso wie Iowe nicht mehr in seinem Silbernen Käfig leben konnte, konnte sie es nicht mehr ohne ihn.
Harwa legte sich neben Iowe ins Laub. Als sie ihn so schutzlos und friedlich schlafend sah, konnte sie sich nicht mehr an die Vorschriften der Gesellschaft halten. Hier im Tal der Wölfe, mitten in den Hügelwäldern waren sie frei von diesen Fesseln. Sie rückte dichter an Iowe heran, legte einen Flügel schützend über Iowes leuchtenden Körper. Küsste ihn zärtlich auf die Lippen und schloss Glücklich die Augen.
Iowe fühlte sich sehr wohl als ihn die Mittagssonne weckte. Trotzdem war es auch ein verwirrendes und schmerzhaftes erwachen. Zum einen stiess er den Kopf an Harwas steinernen Flügel an und zum anderen schienen sie nicht mehr am gleichen Ort zu sein wie zu beginn ihres Schlafes. Vorsichtig kroch er unter dem Flügel hervor und ging zu einer nahen Quelle um sich zu waschen. Lange betrachtete er sein Spiegelbild im Wasser an. Plötzlich fasste ihn eine Hand an der Schulter. Erschrocken fuhr er herum. „Ich wollte dich nicht erschrecken, Iowe.“ Sagte Harwa sanft. „Aber es ist doch Tag, du müsstest schlafen.“ – „Ich kann es mir nicht erklären.“ Ein knurrende Stimme antwortete hinter ihnen. „Es ist die Kraft eines Wanderers, sie vermag Lebewesen bis zu einen gewissen Grad verändern.“ Ein alter Wolf trat auf die Lichtung. Harwa schloss ihre Flügel schützend um Iowe. „Du sprichst?“ fragte Iowe erstaunt.
Während er unter dem Flügelmantel nach Harwas Hand griff. „Was? Du etwa auch Elf?“ erwiderte der Wolf gereizt, „Ihr Elfen und Gargouls seid fast so schlimm wie die Menschen wenn ihnen etwas unbekanntes gegenübertritt.“ – „Wie heisst du?“ fragte Harwa ebenfalls nicht sehr freundlich. „Ich bin Screed. Ich bin der Wanderer, der die Welten der Gargouls und Elfen zusammen genäht hat, um gegen Thor eine wirksame Allianz zu bilden. Meine Aufgabe ist beendet und ich will meinem Freund Orak folgen. Doch ich bin müde und alleine will ich diese grosse Reise nicht begehen. Kommt mit mir. Ihr werdet nicht nur diese Welt sehen, sonder sehr viele mehr. Und anderorts ist die Liebe zwischen zwei Völkern gestattet. Bis eure eigenen Völker so weit sind, vergehen Jahrhunderte.“ Harwa und Iowe waren sprachlos, zumal sie schon viele Sagen über Screed den Wolf gehört hatten, aber ihn noch nie selbst zu Gesicht bekommen haben.
„Wieso willst du ausgerechnet zu Orak? Niemand weiss wo er hingegangen ist.“ – „Ich weiss wo ich ihn finden kann. Ausserdem habe ich ihm etwas zu überbringen. Akroz hatte ein Kind. In der Nacht in der Orak von Thor angegriffen und verletzt wurde, vertraute mir der Drache sein Junges an, auf dass ich es Orak bringen solle, sobald Thor besiegt sei.“ – „Gib uns einen Tag Zeit um zu Überlegen.“ Screed nickte und lief zurück in den Wald.
An diesem Abend sassen Harwa und Iowe, eng umschlungen am Rand des Hügelwaldes und schauten dem Sonnenuntergang zu. Dieses für Harwa neue Erlebnis weckte nun auch in der Gargoulfrau den Wunsch die Welten jenseits der grossen Grenzen zu sehen. Iowe schürte diese Sehnsucht mit einem Lied, das vor langer Zeit von einem Reisenden in den Silberwald gebracht wurde und von einer Stadt aus Eis erzählt. Harwa merkte in dieser Nacht, dass sie nur dann versteinerte wenn sie auch wirklich schlief, nicht wie zuvor wenn die Sonne aufging.
Als Screed am nächsten Mittag wieder auftauchte, waren beide schon bereit für die Reise. Harwa hatte kleine Tiere gejagt und Iowe hatte Kräuter gesammelt. Auf dem Weg zu den Grenzen der Welt, von denen sie nicht weit entfernt waren. Screed war nicht gerade Gesprächig auf dem Weg dorthin, einzig als er das Drachenjunges rief, sprach er etwas. Als sie aber die Grenzen erreichten, sagte er: „Seht Iowe und Harwa, ihr Ungleichen. Vor euch ist der Mantel des Schweigens, der alles umgibt und nur in Begleitung eines Drachen oder eines Orks durchschritten werden kann. In ihm beginnt alles Leben in ihm endet es wieder. Wer ihn durchdringt zählt auf ewig zu den Begleitern der Mächtigen, den Schatten und Wanderern.“ Das ungleiche Paar, wie Screed die beiden nannte und wie sie fortan bekannt sein würden, brachte kein Wort aus dem Mund. Vor ihnen erhob sich bis in den Himmel und weiter, eine Mauer aus farbigem, flüssigem Licht.
In welche Richtung man auch schaute, man konnte das Ende dieser Wand nicht sehen. „Kommt, wir wollen unsere Reise beginnen.“ Ohne zu zögern und ohne Angst, betraten Harwa und Iowe die Zwischenwelt, welche ebenfalls ein unendliches Meer aus flüssigem Licht und Farben war und niemals sind sie in ihre Heimat, das Tal der Wölfe zurückgekehrt.

Vork von Nebelfalk diktierte diesen Text wie viele andere den Schreibern von Amélina der Sternenstadt. Viele Details haben ihm seine Artgenossen und verwandten Vögel erzählt die damals in den Hügelwäldern gelebt haben.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 03.04.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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