Hans-Peter Zürcher

Nebel

21.Januar 2005

Der Morgen  begann schon sehr düster, man hätte meinen können, dass der Tag keine Lust aufbringen möge, hell zu  werden. Dieser Tag  war ein Sonntag im Januar und wäre eigentlich Schulfrei, das heisst nicht ganz, wir hätten eigentlich Religionsunterricht gehabt, eben wir hätten, aber ich hatte keine Lust dazu. Also beschloss ich, anstatt den Weg ins Dorf zum Schulhaus einzuschlagen, diesen in Richtung Schochenberg zu wählen und dieser Entscheid war der Richtige und hatte sich auch gelohnt.

Es  war frostig kalt und dies zauberte über Nacht zusammen mit dem dichten Nebel eine sagenhafte Märchenlandschaft aus Wald und Flur, die seinesgleichen sucht. Zäune, Wiesen, Sträucher, Bäume, ja sogar die langen Steppengrashalme, die aus den Schneeresten ragten, waren mit einer dicken Schicht von Eiskristallen überzogen. Der Nebel war immer noch sehr dicht und dementsprechend hatte die Stimmung etwas mystisches, geheimnisvolles, an sich.

Ich war mit mir und der Natur alleine und das genoss ich in vollen Zügen, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. Einzig in den Wiesen sah man in dieser Raureifschicht, die wie Schnee aussah, sich nach alle Seiten sich kreuzende Spuren von Wild. Da und dort hörte man Krähen, die hoch oben vom kleinen Wäldchen zum Rosenbergwald oder umgekehrt wechselten. Sehen konnte man die Vögel nicht, denn die Nebelgrenze war zu hoch.

Nach dem Schochenberg bog ich nach Rechts in den steilen Weg, der zum Rosenbergwald führt. Das Wäldchen und der Schochenberg selbst lagen nun etwa sechzig Meter weiter unten, waren aber im Nebel nicht mehr sichtbar. Einzelne Schwaden von dieser feuchten Luft schwebten den Hang hinauf und streiften den Wiesenhang und lagerte zusammen mit der Kälte immer wieder neue Eiskristalle ab. Die dem Waldrand entlang laufende Hecke von Hagenbutten war besonderschön anzusehen, denn aus den mit Raureif überzogenen Ästen schauten da und dort noch einige hellrote Beeren, die auch leicht überzuckert waren. Kaum wechselte ich in den Wald hinein, änderte sich das Bild ein weiteres mal. Es war wirklich sehr ruhig, ja fast gespenstisch, nur ab und zu hörte man den Ruf eines  Eichelhähers. Nebelschwaden schwebten zwischen den Bäumen durch, einfach fantastisch diese Stimmung.

Der Weg zog wie eine schurgerade Schneise eine halbe Stunde durch den Wald steil nach oben, wo dann weitere hundert Meter höher der Weg sich verflacht und ich nach kurzer Zeit das andere Ende dieses Waldabschnittes erreichte. Bereits im letzten Teil des Anstiegs sah man, dass sich der Nebel lichtet und die Nebelgrenze sich senkt. Was sich mir nun aber beim Verlassen des Waldes zeigte, war atemberaubend ! oben reinster, stahlblauer Himmel, purer, blendender Sonnenschein, Raureif auf Zaun, Stauden und Bäumen, einfach Traumhaft schön !

Der Weg führt nun über eine schneebedeckte Wiese, über die Wachtenegg, einem gratähnlichen Bergrücken, hinüber zur Ruine der ehemaligen Rosenburg. Gegen Süden blickend, schaut man über ein riesiges Nebelmeer, unter dem nun Herisau verborgen vor sich hin döst . Nur all die Hügel, die rund um diesen momentan sicher trostlosesten Ort liegen, schauten aus dem wogenden Gebilde aus Nebel heraus, und je entfernter sie sind, desto mehr versanken sie in einem hauchdünnen Schleier aus Dunst. Und all diese Hügel werden vom tief verschneiten Säntis und der ganzen Alpsteinkette  überragt. Auf der Nordseite ragen lediglich die Spitzen der Tannen, die durch den Raureif wie frisch verschneit aussehen , aus dem wogenden Nebelmeer, unter dem Dörfer und Städte verborgen liegen. Nur das Schoss Oberberg ragt heraus, eben weil es, wie sicher die meisten anderen seiner Artgenossen auch, auf einer Anhöhe steht. Die ganze Szenerie war wirklich wie ein Traum, wunder, wunderschön ! mir kam es so vor, wie wenn das Nebelmeer atmen würde, es hob und senkte sich leicht in wellenförmigem Rhythmus.

Den Weg, den ich an diesem Sonntag gewählt hatte, wird heute als " Robert Walser - Weg " bezeichnet. Denn nicht unweit der Stelle, von der aus  ich  die vorerwähnten Eindrücke, mit der wirklich atemberaubenden Sicht auf die Alpsteinkette mit Säntis beschrieb, eben an dieser Stelle ist an einem solchen Wintertag Robert Walser auf einer Wanderung am Weihnachtstag 1956 verstorben.

Dieser Robert Walser war bereits in meiner Jugend einer von meinen Lieblingsschriftstellern, der mich vor allem mit seinen Romanen « der Gehülfe » oder « Geschwister Tanner »  schwer beeindruckt hatte. Und dieser unscheinbare, einfache Mann lebte von 1933 bis zu seinem Tode in der Heil - und Pflegeanstalt Herisau. Der damals überweisende Arzt Dr. Klaesi schrieb in seinem Überweisungsbericht : « Es handelt sich um einen durchaus ruhigen, umgänglichen Schizophrenen, der die Hälfte des Tages seinen Dichtertraum lebt.....». Von hier aus unternahm Robert Walser ständig und bei jedem Wetter tagelange Wanderungen durch sein Heimatland Appenzell. In seinem Roman " Geschwister Tanner " fand ich einen Satz, den ich nie vergessen werde « Ich bin klug genug, eines Tages hier im Lande mit Anstand zu sterben....»! und das durfte er dann auch an diesem wunderschönen Ort auf der Wachtenegg.

Mit diesen oder in ähnlichen Gedanken versunken, sass hier oben auf einem gefällten Baumstamm und schaute lange, vielleicht sehr lange in diese wunderbare Landschaft und genoss die wärmenden Sonnenstrahlen. Ich war der Überzeugung, dass mir dieser Spaziergang viel mehr brachte, als der Religionsunterricht in dieser trostlosen kalten Nebelkloake.

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