Rebekka Zirnabauer

Keine Kraft mehr aufzustehen

Wieder einmal liegt SIE da. SIE liegt dort auf dem harten Boden, mit angewinkelten Beinen und den Händen vor den Augen. Es sieht so auch, als wolle SIE nichts mehr sehen und genau das versucht SIE. SIE wollte weg von hier, den Rest der Welt einfach ausschließen, verdrängen und vergessen. SIE hat die Augen zu, will nichts mehr denken, an gar nichts. Doch auch wenn die Lider geschlossen sind, kann SIE keine Schwärze sehen, nicht einfach abschalten. SIE möchte doch einfach nur leer sein, doch SIE schafft es nicht. Immer wieder muss SIE an ihn denken. An seine Küsse. Und SIE sieht dieses Mädchen, die mit den dunkel-blonden Haaren und den blaugrauen Augen, die so voller Lebenslust stecken. Wenn man sie näher kennt, weiß man, dass dies Lebenslust durch ihn kommt. Ja, er hatte sie wieder zum Leben gebracht. Zum Lachen. Zum Lieben. Ja, sie war verliebt, sie lieb ihr Leben und ist vernarrt in ihn. SIE sieht dieses Mädchen, das endlich dieses Gefühl hat begehrt zu werden und sich deshalb fallen lässt. Sie lässt sich gerne bei hm fallen und gibt ihm alles, was sie je jemandem von sich gegeben hat. Sie vertraut ihm alles an. Sie fühlt sich  gebraucht, merkt dass es jemanden gibt, dem sie abgehen würde, wenn sie nicht wäre. Fühlt sich nicht mehr um sonst auf dieser Welt. SIE sieht zu, wie sich das Mädchen immer mehr fallen lässt, wie sie fällt und fällt. Sie merkt nicht wie tief sie fällt. Und so fällt sie in ein tiefes schwarzes Loch. Es ist hart. Sie schreit beim Aufprall vor Schmerz, weint. Doch niemand ist da. Doch! Es sind viele da. Sie stehen um sie rum, sehen auf sie herunter. Sie wollen ihr helfen, sie hochziehen. Doch sie können sie nicht halten. Uns sie fällt wieder zurück. Zurück auf den kalten harten Boden. Dort bleibt sie liegen. Sie lässt sich nicht mehr helfen, probiert es nicht mehr sich hochziehen zu lassen, denn so kann sie auch nicht wieder fallen gelassen werden. Sie liegt nur da und starrt hoch in den Himmel. Dieses endlose blau, das nur manchmal von ein paar samtig weißen Wölkchen unterbrochen wird. Eine Wolke – dort! – sie lächelt ihr zu. Er! Es ist er! Sie spürt einen tiefen Stich in ihrem Inneren. Sie starrt diese Wolke an. Starrt ihn an. Kann nicht wegsehen. Er lächelt sie immer noch an --- nein! Er lächelt nicht! Er lacht sie aus! Findet es lustig, wie sie dort so liegt. Ihr tut alles weh. Sie kann das alles noch nicht fassen.
SIE sieht die dunkel-blonden Haare des Mädchens, schaut in den Spiegel. Dort sieht SIE in blau-graue Augen. Doch diese hier sehen ins Nichts, sind leer. Haben keinen Ausdruck. Die Augen sind feucht, möchten weinen, doch SIE hat keine Tränen mehr. SIE fährt sich durch die dunkel-blonden Haare, die jetzt ab der Hälfte schwarz, dunkel gefärbt sind. SIE starrt in den Spiegel und sieht dort das Mädchen, das in diesem Loch liegt. Aber jetzt versucht sie herauszuklettern. Jetzt möchte sie wieder an die Oberfläche. SIE sieht, wie es das Mädchen immer wieder probiert. Immer wieder und wieder. Manchmal hat sie es fast geschafft, da fällt sie wieder zurück. Zurück in das tiefe, schwarze Loch. Sie schafft es nicht, oben zu bleiben. SIE sieht dem Mädchen zu, wie es vergeblich versucht wieder an die Oberfläche zu kommen und immer, immer wieder abrutscht. Sie hat keine Kraft mehr.
Und da liegt SIE auf dem harten Boden und starrt an die Decke. An die Holzdecke mit seinen dicken tragenden Masten. Da sieht SIE ihn. Ihn, wie er SIE auslacht und bei jedem Lachen spürt sie einen tiefen Stich! Und sich möchte weinen –
          Doch sie kann nicht...
                   Sie hat keine Tränen mehr!!!
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 19.05.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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