Ines Puls

Das Herz des Anderen

Ein schwer herzkranker Mann wartete seit Jahren auf ein Spenderorgan. Man konnte sehen, wie sein Zustand sich von Monat zu Monat zusehens verschlechterte. Im Krankenhaus traten Freunde und Familie an sein Bett um ihm Mut zu machen und ihm vielleicht in seinen letzten Stunden beizustehen.

 

So begann er sein Leben aufzuarbeiten, er redete, erzählte, weinte. Ich bin 40 Jahre alt und habe es in dieser Zeit nicht geschafft eine Familie zu gründen. Ich liebte die Feste und war dem Alkohol nicht abgeneigt. Ich liebte schnelle Autos, gutes Essen und nahm Drogen. Nun liege ich hier und es müsste ein Wunder geschehen um ein neues Herz zu bekommen und weiterleben zu dürfen.

 

Von Kultur und Natur wollte ich nichts wissen. Mir war egal, was andere von mir dachten, was sie von mir hielten. Mein Geld habe ich lieber in Alkohol und Glücksspiele umgesetzt als das ich es angelegt oder sinnvoll genutzt hätte.

 

Es wurde ruhig. In diesem Moment ging er still weinend durch die lebendige Hölle......

 

 

 

Zur gleichen Zeit kollidierte in der Stadt ein Autofahrer mit einem 35-jährigen Radfahrer.

 

Der Radfahrer prallte zuerst mit der Schulter auf den Wagen, wurde über das Fahrzeug geschleudert und schlug mit dem Kopf auf dem Asphalt auf. Der herbeigerufene Notarzt im Rettungswagen konnte nur noch den Tod des jungen Mannes feststellen. Er wurde in die nächste Unfallklinik eingeliefert.......

 

 

 

.... plötzlich wurde die Türe des Krankenzimmers aufgestoßen, eine Trage wurde hereingefahren, Pfleger und Schwester erklärtem ihm dass ein Spenderherz gefunden wurde und jetzt keine Zeit zu verlieren sei, er würde umgehend operiert werden.

 

Der Mann konnte sich nicht einmal mehr verabschieden. Er wusste nicht, ob er seine Familie und Freunde jemals wiedersehen würde.

 

 

 

Wer oder wie der Spender wohl gewesen sein mochte, dachte er. Auf dem Weg zum OP wurde er lediglich darüber informiert, dass ein 35 Jähriger einen schweren Verkehrsunfall hatte und seine Familie das Herz freigegeben habe.

 

Es würde das Herz eines jungen, sportlichen Mannes sein, ging es ihm durch den Kopf. Zum zweiten mal ging der Mann durch eine emotionale Hölle...

 

Wie hatte er wohl ausgesehen? Hatte er eine Frau, womöglich Kinder? War er ein guter Mensch? Ja, das musste er sein. Denn er gab sein Herz einem anderen, dachte er. Dann versanken seine Gedanken in der Narkose ....

 

 

 

Stunden des Bangens vergingen,  seine Familie und Freunde schwankten zwischen Hoffnung und Zweifeln. Sie gingen die Flure auf und ab, immer und immer wieder, in Gedanken bei ihm und dem Spender, dessen Unglück nun das Glück ihres Angehörigen sein konnte.

 

 

 

Als dann die erlösende Nachricht über die gelungene Transplantation bekannt wurde, war dies nur ein kurzer Moment der Freude. Man musste noch mindestens weitere 24 Stunden abwarten. Mehr war da nicht zu tun. Doch auch die verliefen ohne weitere Komplikationen.

 

Wochen vergingen in dem der Mann schwer in seinem Bett lag. Seine Nächte waren meist traumlos,  doch auch manches mal von schweren Alpträumen durchsetzt. Nach mehreren Monaten kam die Zeit der Rehabilitation und der Mann litt unter starken Schmerzen an der Schulter. Es halfen keine speziellen Übungen oder Medikamente, der Schmerz blieb.

 

Die Ärzte und Therapeuten versichertem ihm das dieser Schmerz sich mit der Zeit auflösen würde, da er doch sehr lange Bettlägerig war und eine schwere Operation hinter sich hätte. Er solle einfach Geduld haben.

 

 

 

Am Tag seiner Entlassung bat er den Arzt, ihm doch zu sagen, was für ein Unfall der Spender hatte, dem er sein Leben verdanke. Nach undenklichem hin und her  ließ sich der Arzt unter dem Mantel der Verschwiegenheit dazu bringen, die Akte einzusehen. Ohne den Namen zu nennen, vertraute er ihm lediglich an, um welche Art Unfall es sich gehandelt hatte. Der Mann dankte ihm und verabschiedete sich. Als er dann zuhause war, gaben ihm seine Familie einen Zeitungssauschnitt in die Hand  auf dem der Unfall mit dem Radfahrer beschrieben war.

 

Er verbrachte einige Zeit damit, in Erfahrung zu bringen wer der Mann war und wo er begraben war. Dann ging er jeden Tag auf den Friedhof in der Hoffnung dort irgendwann 

 

jemanden anzutreffen.

 

 

 

Stundenlang saß er auf einer Bank, trank aus einer Thermoskanne Tee, den er vorher nie gemocht hatte. Er erfreute sich an der Natur, lauschte dem Gesang der Vögel die er sonst nie wahrgenommen hatte. Bis dann eines Tages eine ältere Dame an das Grab herantrat und Blumen niederlegte. Er näherte sich vorsichtig und stellte sich vor.

 

Er erklärte ihr, dass er viele Fragen habe, aber bisher keine Antworten. Die alte Dame war glücklich den Mann kennenzulernen, in dem das Herz ihres Sohnes weiterschlug, und sie fing an zu weinen. Nach einiger Zeit tröstender Stille gingen sie Seite an Seite und die alte Dame erzählte über ihren Sohn und wie sich der Unfall zugetragen hatte. Sie erzählte ihm, dass ihr Sohn gerne Tee trank und die Natur schätze .

 

 

 

Nun wurde dem Mann so einiges klar. Der Schmerz in der Schulter wurde  von seinem Herzen aufgenommen und eingeschlossen. Ihm war nun auch klar , warum er plötzlich Tee mochte, die Natur liebte, warum er Gedichte las und ihn die Stücke von Mozart berührten.

 

Dies alles und noch viel mehr war in dem Herzen eingeschlossen und wurde mit der Herztransplantation auf ihn übertragen. Weitergegeben an ihn und alles lebte nun ihn ihm weiter. Ein Stück Seele war in diesem Herzen zurückgeblieben.

 

Er nahm sich vor, diese Gefühle zu ehren und von nun an mit seinem neuen Leben zu vereinen ...

 

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 19.05.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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