Ines Puls

Ein kleiner Silberleuchtender Regen

Einst begegnete ich einem Wandersmann auf meinem Spaziergang.

Ich saß auf einer Bank und genoss die wärmende Sonne.

Der Wandersmann trat an mich heran und fragte höflich ,ob er sich neben mich setzen durfte.

Darauf hin bot ich ihm einen Platz neben mir an.

Er legte seinen Rucksack ab, der sehr voll und schwer aussah , ihn aber anscheinend  mit Leichtigkeit  trug.

Wir saßen einige Minuten schweigend nebeneinander ,genossen die Ruhe und Wärme des Tages.

„Fragen sie mich doch einfach, was ich in meinem Rucksack habe“ sagte er.

Ohne sich zu mir zuwenden.

„Wie bitte?“ und ich sah erstaunt an.

„So fragen sie mich doch einfach ,was ich in meinem Rucksack habe....“

„Woher wissen sie, das ich mich für den Inhalt ihres Rucksackes interessiere ?“

Er lächelte und fing an zu erzählen........

 

 

Ich  bin schon sehr lange unterwegs, habe unzählige Menschen kennen gelernt .

Manche fragten mich spontan ,was ich wohl in meinem so vollen Rucksack habe .

Andere fragten nur zögerlich .Und wiederum andere sind so wie sie...

Verschlossen ,in sich gekehrt und zurückhaltend.

Aber das schönste ist, wenn sich Kinder um diesen alten Sack reihen und mit erwartungsvollen ,glänzenden Augen  fragen, was ich da wohl alles drin habe.

„Und?“ fragte ich ihn, „Was sehen die Kinder dann?“

„Och“ sagte er ohne das er sein Gesicht aus der Sonne wendete,

„Verschiedenes“ sagte er. „  Ihre Träume, ihre Wünsche, Ängste  und Vorstellungen was sie haben.“

Ein so großer Sack gefüllt mit nichts? Dachte ich ......

„Nein ,es ist nicht Nichts“ sagte er.

Langsam wurde mir unbehaglich zumute.

„Es ist noch viel mehr darin. Liebe, Herzlichkeit, Lachen ,Trost ,Tränen, Trauer, Hass.....

Manchmal ist dieser  Rucksack so schwer ,das ich ihn zu tragen kaum vermag.

Dann gehe ich in den Wald , grabe ein tiefes Loch und schütte alles hinein ,was  den Rucksack so schwer macht...alles was mich belastet.“

„Spinner“ dachte ich ....

„Nein, ich habe auch für sie etwas in meinem alten Sack“.

 

 

Nun wurde mir der Wandergeselle doch langsam zu wunderlich. Aber , irgendwas hielt mich. War es meine Neugierde, die mich fesselte oder die Faszination ,die dieser Mensch ausstrahlte. Oder war ich in einem anderen Sinne auch so ein Kind, das mit großen glänzenden Augen vor dem Rucksack stand und drauf wartete ,das man mir zeigt ,was da wohl drin sein möge??.

 

 

„Was haben sie denn für mich in ihrem Sack“ fragte ich .

„Ich denke, da ist etwas drin, was sie gut gebrauchen können. Wenn ich es ihnen gebe , möchte ich eine Gegenleistung dafür haben.“

„Was für eine Gegenleistung“?

Nun bekam ich ein ungutes Gefühl....

„Als erstes möchte ich ,das sie mir vertrauen“.

Hm, dachte ich ,wie kann ich jemanden vertrauen ,der mir sagt ,er habe in einem alten Sack

etwas drin, was man nicht sehen kann...

Denn das waren alles Eigenschaften, die man nicht sehen kann.

„Was für eine Gegenleistung?“ fragte ich .

„Irgendetwas, wo ihr Herz daran hängt. Etwas ,was für sie wichtig ist und sie es unbedingt wieder haben möchten.

Etwas, womit sie mir zeigen, das sie mir vertrauen...“

Ich überlegte kurz und griff dann in meine rechte Jackentasche. In dieser Tasche verbarg ich einen Stein. Einen grünen, glattgeschliffenen Stein, der mich durch eine harte Zeit hindurch immer begleitete .Jenen überreichte ich ihm zögernd und stumm.

 

 

Er sah ihn sich an, und schloss ihn in seinen großen Händen ein. Dabei sah er mir in die Augen und erzählte mir mehr über diesen Stein und wie viel leid er schon von mir aufgenommen hätte.

Ich sah ihn erstaunt und fassungslos an.

Denn er konnte es nicht wissen...

 

 

Gut, sagte er ,und öffnete seinen Rucksack.

Er wühlte darin rum und ich hörte Geräusche, die nur normale Gegenstände wie Plastik, Glas und Blech machen konnten.

Dann zog er ein Glas heraus ,das mit Wasser befüllt war.

„Nein“ ,sagte er, „es ist kein normales Wasser. Es sind Tränen ,die ich im laufe der Zeit von Menschen bekommen habe.“

Die Flüssigkeit war klar und rein.

„Diese Tränen werde ich mit mir tragen und wenn ich an meinem Ziel angekommen bin, dann werde ich sie ins Meer schütten“.

Dann Zog er einen schwarzen Beutel hervor, der widerlich roch .

„Ja, auch so was gibt es in meinem alten Sack“. Ich sah ihn fragend an...

„ In diesem Beutel ist Hass, Neid und Missgunst. Er ist schon recht voll .Diesen werde ich am Ende meiner Reise in einen Vulkan werfen. Auf das alles verbrennen mag“.

Als nächstes zog er eine Art Leinentuch aus dem Rucksack. Es war schneeweiß und es bewegte sich. „In diesem Tuch sind Lachen , Fröhlichkeit, Herzlichkeit, Vertrauen und Liebe drin. Am Ende meines Weges wird dieses Leinentuch leer sein. Es ist nicht mehr viel von übrig“.

Er öffnete den Beutel und heraus flogen unzählige bunte Schmetterlinge, die in den Himmel flogen. Einige davon setzen sich bei mir überall nieder.

„Schließe Deine Augen und lass sie in dein Herz“.

Ich schloss meine Augen und ein kleiner Silberregen ergoss sich über mich. Ich lächelte und hatte ein wohliges kribbeln in mir. Es war ein Gefühl von schweben, von Leichtigkeit ,von abgeworfener Last. Und es rannen Tränen der Freude über meine Wangen.

 

 

Als ich die Augen öffnete und mich dafür bedanken wollte, war der Wanderer weg. In meiner Hand spürte ich etwas.

Als ich sie öffnete, lag mein Stein darin in einem leuchtend warmen grün.

Dieser Wanderer hatte meinen Stein gereinigt und alle meine Sorgen mit sich genommen.

Meine Tränen und die Trauer  im Glas , mein Hass, das Misstrauen, meinen Neid  steckten in dem Lederbeutel.

Und was  er da lies ,war ein Silberleuchtender Regen über und in mir.

 

 

 

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 20.05.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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