Mein Bruder: Ich nenne ihn auch oft Nourm, den Wurm. Ich muss euch sagen, dass mein Bruder Nourm, dazu neigt, sein Hirn zu verlieren. Außerdem schmeißt er es mit großer Vorliebe weg - am liebsten in einen Fluss. Damals habe ich ihm eine Hälfte meines Hirns verkauft, daraufhin gründete ich die nun erfolgreichste Computerhirn - Firma der Welt. Aber das ist ebenfalls wieder noch eine ganz andere Geschichte. Aber ich möchte hier von dem Weg, von Nourms Hirn, dass er in den Fluss geworfen hat, genauer erzählen. Ich nenne es,
The Fluss Hirn
Nourms Hirn dachte angestrengt nach - wenn es jetzt Nourms Körper dazu benutzte, sich selber in den Fluss zu werfen, dann war es großen Gefahren ausgesetzt. Zum Beispiel tollwütigen Zitteraalen oder bösartigen Zauberpiranhas (diese Kreaturen entsprangen natürlich nur der verwunderlichen Phantasie von Nourms Hirn), auch die mit Vorliebe Löwen fressenden, sich aber auch mit Blauwalen begnügenden Delphine stellten eine große Bedrohung dar. Nourms Hirn hatte auch schon von Kung-Fu Dodos gehört, die allerdings auch oft Melonen aßen und außerdem schon in der Eiszeit ausgestorben sind, weshalb sich Nourms Hirn zumindest vor den Kung-Fu Dodos nicht zu fürchten brauchte. Doch trotz alledem war es gerade zu lebensmüde, sich selber in den Fluss zu werfen. Aber dieses Verlangen, diese Sucht, sich diesem, für das Hirn sinnlosen, Körper zu entziehen. Es musste dagegen ankämpfen! Aber diese Sucht! Dieses Verlangen! Es befahl Nourms Körper, sich umzudrehen - aber der Befehl war nicht der Wille von Nourms Hirn. Es wollte in den Fluss - es musste!
NEIN!
Wenn es dem Körper befahl, sich umzudrehen, musste er sich umdrehen!
"Dreh dich um, du verdammtes, behebiges Stück Fleisch!", dachte das Hirn.
Langsam, langsam drehte sich Nourms Kopf. Es musste alle Kraft aufbringen, um den Kopf zu drehen. Dann bewegte es langsam die Beine. Nach Aufbringen aller Kraft, drehte es Nourms Körper um. Dann ruhte es sich etwas aus. Doch plötzlich wendete sich der Körper wieder dem Fluss zu. Nourms Hirn konnte nichts dagegen tun. Es war zu schwach. Viel zu schwach! Die Kraftaufwendung von eben war zu viel gewesen. Das Hirn musste es geschen lassen. Dann bewegten sich Nourms Arme langsam - aber fest entschlossen und zielsicher zum Kopf.
"NEIN, NEIN!", dachte es. "Doch, Doch!" Es ließ die Hände näherkommen, wehrte sich nicht dagegen. Im Grunde wollte das Hirn es doch. Was hatte es also? Das war doch die beste Gelegenheit, diesen (genau so, wie allen anderen physischen Hüllen auch) abstoßenden Körper zu verlassen. Sich ihm endlich zu entziehen! Die Hände pressten den Kopf zusammen. Sie übten einen unglaublichen Druck aus. Aber das Hirn spürte den Schmerz sowieso nicht. Der Körper selber musste damit klar kommen. Der Druck der Hände, der auf den Kopf übertragen wurde, wurde stärker und stärker. Langsam quoll es aus der Nase. Die Trommelfelder der Ohren wölbten sich durch den gewaltigen Druck. Die Augen wurden aus ihren Höhlen herausgepresst. Dann klatschte das Hirn mit einem ekelerregenden matschen auf den harten, kalten Beton der Brücke über dem Fluss. Nourms Hirn verlagerte sein Gewicht langsam nach oben und dann nach vorne, sodass es nach vorne Kippte. Nourms Körper gab unartikulierte Geräusche von sich. Er stolperte nach vorne und kippte gegen das Geländer der Brücke. Das Geländer war grün gestrichen. Es bestand immer abwechselnd aus einer dünen und einer dicken Stange. An manchen Stellen war die getrocknete Farbe, die den Wittereungsverältnissen ausgesetzt gewesen war, schon abgeblättert. Pubertäre, sexistische Sprüche von Jugendlichen waren auf das Geländer gemalt. Der Fuß von Nourm kam auf das Hirn zu. Er schlurfte über den Boden.
"Nein!", dachte das Hirn. "Nicht ins Wasser!"
Doch es war zu spät. Das Hirn musste zu viel kraft aufwenden, um überhaupt ein bisschen vorwärts zu kommen. Der Fuß kam näher und kickte die schleimige, grünliche, eckelerregende Maße von der Brücke ins Wasser. Dem Hirn ging nur durch das Hirn: Tollwütige Zitteraale, bösartige Zauberpiranhas, nackte Grizzly Bären und mit vorliebe Löwen fressende (aber sich auch mit Blauwalen begnügende) Delphine. Auch Kung-Fu Dodos, die allerdings nur Melonen aßen und daher keine Gefahr darstellten und außerdem schon ausgestorben waren. Das Hirn tauchte wegen der hohen Geschwindigkeit unter das Wasser.
"Luft!", dachte es. "Ich brauche Luft."
Da es zu leicht war, um unterzugehen, tauchte das Hirn wieder auf. Die Luft drang auf es ein und die Gedankenvorgänge normalisierten sich wieder. Die Strömung des Flusses trieb das Hirn voran. Es trieb dahin. Schaum kräuselte sich leicht auf den Spitzen der niedrigen Wellen. Das Hirn überholfte Treibholz oder auch dahin treibendes Laub und wurde von diesem selber überholt. Die Bäume am Ufer hatten rot-, geld- und braungefärbte Blätter. Es war Herbst. Oft wuchsen Die Bäume schräg über das Wasser und Äste hingen im Weg. Doch das Hirn wurde immer von der Strömung in kleinen Strudeln an den Hindernissen vorbeigetrieben.
"Ein Boot!", dachte das Hirn. "NEIN!"
Eine kleine Motorjacht, mit dem Namen `Die Schwalbe`, die schon einen leicht angerosteten Bug besaß, weshalb die Aufschrift `König des Wassers´ nicht ganz zu entziffern war und nur noch `Kö... des W...ss...r` zu erkennen war, kam auf das Hirn zu. Die Bugspitze zeigte genau auf das hilflos von dem Wasser getragenen Hirn. Es musste irgendwie versuchen, dem Boot auszuweichen. Doch wie? Das Hirn konnte sich zwar auf dem Land, auch dort nur quälend langsam, fortbewegen, aber nicht im Wasser mit eigener Kraft schwimmen. Jetzt wäre dieser Körper, dieser nutzlose Körper, ausnamsweise einmal wirklich nützlich. Doch jetzt darüber nachzudenken wäre wirklich nicht der richtige Zeitpunkt. Tatsache war: Der Körper konnte dem Hirn nicht helfen. - Es musste allein zurechtkommen. Diese Freiheit hatte nunmal seinen Preis. Das war von vornherein klar gewesen.
Georg v. Rechenberg
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 22.05.2005.
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