Angelika Sakowski

Nachbarschaftshilfe

Nachbarschaftshilfe war und ist für mich kein leeres Wort. Daher war es für mich auch selbstverständlich meiner Nachbarin, die eines Tages an meiner Tür klingelte, aus einer zwar nicht lebensbedrohenden, doch aber unangenehmen Notsituation zu helfen.

In nur wenigen Sätzen hatte sie mir ihr Problem geschildert, das darin bestand den geplanten Geburtstagskuchen ihres Sohnes, der am Nachmittag anläßlich seines Ehrentages einige seiner Schulkameraden zu einer Party eingeladen hatte, nicht backen zu können, da sie einem augenscheinlich, frühzeitigem Anfall von Demenz erlegen war und daher schlicht und einfach auf eine der Grundzutaten, in ihrem Fall Eier, vergessen hatte.

Dies wäre nicht weiter schlimm gewesen, denn einer jeden fähigen Hausfrau, und als solche betrachteten wir sie beide (allein die Kochschürze, die mit einem adretten Blümchenmuster versehen war sprach Bände) wären mehr als nur ein Alternativrezept für Kuchen eingefallen, in welchem man keine Eier verwenden mußte.  

Doch unglückseligerweise bestand ihr Sohn nun mal auf seiner obligatorischen Bisquittroulade, die er nun die letzten 12 Geburtstage hindurch verschlingen durfte und konnte bereits einen recht erwachsenen Dickkopf beweisen, sollte es nicht nach seinen Wünschen geschehen. 

Aus diesem Grund, erläuterte sie mir, sei sie nun gezwungen von Tür zu Tür, wie einst die Jungfrau Maria zu ziehen und auf das Wohlwollen, aber vor allem die Hilfsbereitschaft ihrer Nachbarn zu hoffen, und da ich direkt neben ihr wohnte, kam ich somit als erster zum Handkuß, wie sich ausdrückte. 

 

Nachdem ich erst am Morgen beim Einkaufen war und im Gegensatz zu meiner Nachbarin nicht auf die Eier vergessen hatte, obwohl ich keinerlei Ambitionen zum Kuchenbacken hegte, konnte ich sie zu mir in die Wohnung bitten, um ihren Herzenswunsch zu erfüllen. 

 

Vor meiner Kühlschranktür kamen wir auf die Menge der gewünschten Eier zu sprechen, die sie mit 3 Stk. bezifferte. Wie alles in meinem Haushalt, ist auch mein Kühlschrank straff organisiert und somit war es mir ein Leichtes, die Eier binnen Sekunden zu finden und sie an meine Nachbarin auszuhändigen. 

 

Ein Blick in ihr glückliches Gesicht, bestätigte mir wieder einmal meine Einstellung zum gegenseitigen Miteinander. Wie friedlich könnte es doch auf Gottes Erdboden sein. Nur ein wenig Verständnis, Anteilnahme an der Not anderer und natürlich Vertrauen. Dies sind die Säulen, nach denen ich mein Leben ausrichte. 

 

Meine Nachbarin hatte sich bereits wieder dem Wohnungsausgang zugewandt, nicht ohne mir ihren aufrichtigen Dank bis zu meinen Lebensende zu versichern. Kopfschüttelnd versuchte ich sie zu beschwichtigen und sagte ihr, daß dies doch eine Selbstverständlichkeit sei und ich auch jederzeit gerne wieder aushelfe.

 

Vor lauter Herzlichkeit überwältigt, wäre sie mir fast durch die Tür geschlüpft, doch konnte ich mich noch rechtzeitig sammeln. Ich führte sie zurück in meine Küche und bat sie mir die Eier nochmals auszuhändigen. Mit leicht verwirrtem Gesichtsausdruck gab sie sie mir wieder.  

 

Nachdem ich mir einen kleinen Küchenblock mitsamt dem an einer Kordel befestigten Kugel-

schreiber aus der oberen Schublade geholt hatte, in der ich übrigens nur solcherlei Dinge wie Schreibpapier, Kulli und Bleistifte aufbewahre, denn schließlich erleichtert eine gewisse Ordnungsliebe das tägliche Chaos ungemein, zog ich mit der noch freien Hand eine Küchenwaage zu mir heran. 

 

Nun begann ich jedes einzelne Ei abzuwiegen und notierte mir die jeweiligen Gewichte. Meine Nachbarin stand währenddessen neben mir und wirkte etwas verstört, oder vielleicht war sie auch bereits in Gedanken bei den Kuchenvorbereitungen. Ich riß die Seite mit den Gewichten vom Block, legte diesen wieder in die Schublade zurück und schob die Waage an ihren Platz. 

 

Feierlich überreichte ich daraufhin meiner Nachbarin erneut die Eier. Mit einem zaghaften Lächeln quittierte sie den Empfang und machte sich nun etwas gehetzt zur Wohnungstür. Verständlich natürlich, da die Zeit nun mal nicht stillsteht und sie sicher noch einiges zu erledigen hatte. 

 

Nichts desto trotz mußte ich sie aufs neue bitten zurück zu kommen. Nur widerwillig ließ sie den Türgriff los und drehte sich zu mir um. Mein Arm zeigte bereits Richtung Wohnzimmer, womit ich ihr signalisieren wollte, doch bitte einzutreten. Etwas schüchtern folgte sie mir und blieb im Türrahmen stehen. 

 

Ich hatte mich währenddessen an meinen Computertisch gesetzt und startete gerade meinen Rechner. Trotz meiner erneuten Einladung, wollte sich meine Nachbarin nicht auf die von mir angebotenen Sitzgelegenheit niederlassen, sagte mir sogar, daß sie leider nun aber wirklich keine Zeit mehr hätte, da ihr Sohn bereits in wenigen Stunden aus der Schule nach Hause kommen 

würde. 

 

Ich versicherte ihr, daß es sich nur noch um ein paar Augenblicke handeln konnteund hatte mich bereits mit meinem geheimen Kennwort angemeldet. Aus Sicherheitsgründen wechsle ich mein Einstiegskennwort jede Woche und notiere mir auch die jeweilig, letztgültigen Codenamen um nicht unabsichtlich einer Wiederholung zu unterliegen, man kann ja wirklich nicht vorsichtig genug sein. 

 

Bei den Passwörtern gebe ich mir wirklich immer sehr viel Mühe. Ich will auf keinen Fall einen Bezug zu meiner Person herstellen, darum vermeide ich Geburtsdaten, Vornamen meiner Verwandten oder mir selbst, aber auch Straßennamen in unmittelbaren Umgebung sind tabu. Stattdessen versuche ich an gar nichts zu denken und das erste Wort das mir dann, nachdem ich 

aufgehört habe an nichts zu denken, in den Sinn kommt wird mein neues Kennwort. Schlicht genial. 

 

Meine Nachbarin hatte sich nun zwischenzeitlich doch auf dem von mir angebotenen Sessel niedergelassen und blickte verträumt aus dem Fenster. Rasch war ich bei den gewünschten Dateien angelangt: Miet-Kauf- und Leihverträge. Wobei die Leihverträge wieder in verschiedene Sparten unterteilt waren, so fanden sich hier Verträge zwischen Verwandten, Bekannten und auch der von mir gesuchte Nachbarleihvertrag. 

 

Kurzzeitig blickte ich immer mal wieder auf meine Nachbarin, die trotz meiner Beteuerungen, es werde nicht mehr lange dauern, unruhig auf ihrem Stuhl hin und her wetzte. Wahrscheinlich hatte sie in dieser Nacht nicht gut geschlafen, denn als ich sie nach ihrem Vor- und Zunamen, Geburts-  

datum und Reisepaßnummer befragte, schaute sie mich nur verwirrt an, konnte mir meine Fragen aber nicht ausreichend beantworten, vor allem mit der Nummer ihres Ausweises hatte sie Schwierigkeiten. 

 

Ich versuchte sie zu beruhigen und log, daß das doch keine große Sache wäre, schließlich wußten leider immer noch nicht alle Menschen, wie wichtig das Auswendigwissen der persönlichen Reisedokumentnummer wäre. Ich nahm ihr die Eier aus der Hand und schob sie, denn nun hatte sie es anscheinend doch nicht mehr so eilig, zumindest saß sie wie angewurzelt auf meinem 

Stuhl fest, aus dem Zimmer und auf den Wohnungsausgang zu. 

 

Ich beauftrage sie ihren Reispaß zu holen und schloß die Tür hinter ihr zu. Einige Zeit verging, in der ich die mir bereits bekannten Daten, wie Vor- und Zuname, Adresse, Leihgut mit Gewicht und Stückangabe, Leihdauer etc. im Formular eintragen konnte und hielt immer mal wieder inne um auf die Türglocke zu lauschen. 

 

Meine Nachbarin mußte aufgehalten worden sein, denn 5 min vergingen, ohne daß sie zurückkam. Nun fehlte mir wirklich nur noch der Eintrag Ihrer Reisepaßnummer, aber sie kam nicht. Leicht verärgert, schließlich wollte sie etwas von mir und nicht umgekehrt, klingelte ich an ihrer Wohnungstür. 

 

Keine Reaktion. Still und von mir fast unbemerkt, wurde der Verschluß des Guckloches an der Tür zur Seite geschoben. Wäre es im Stiegenhaus nicht so leise gewesen, hätte ich es vielleicht gar nicht beachtet. Nun war mir aber klar, daß es sich hierbei nur um meine Nachbarin handelte, die und das war nur zu befürworten, der Sicherheit als oberstes Gebot Vorrang gab und ich zuerst vergewissern wollte, wer denn da vor der Tür stand. 

 

Mit lautem Rufen und wildem Gestikulieren, wollte ich ihr die langwierige Mühe des Erkennens ersparen. Ruckartig flog der Deckel des Sichtfensters wieder zu und ich vernahm ein undeutliches Murmeln und ein Geräusch wie das Aufstampfen eines Fußes hinter der Tür. Dann öffnete sie. 

 

Mit einem gewinnenden Lächeln fragte sie mich, was sie für mich tun könnte. Nun war ich aber etwas verwirrt. Ich rekapitulierte nochmals die vergangene halbe Stunde und erinnerte sie daran, daß sie doch bei mir Eier leihen wollte. Diese Frau war wirklich nicht mehr ganz auf der Höhe, daß sie die Eier beim Einkaufen vergessen konnte, war ja entschuldbar aber nun hatte sie bereits nach 5 min völlig vergessen, daß sie überhaupt bei mir war. Sehr bedenklich. 

 

Ach ja, ach ja, war alles was sie dazu sagen konnte. Ich erinnert sie daher nochmals an den eigentlichen Grund ihres Weggehens, nämlich um ihren Reisepaß zu holen und wartete - sicherheitshalber - vor ihrer Tür bis sie mit dem Dokument in der Hand wieder zurückkam. 

 

Völlig apathisch, so wirkte sie auf mich, vielleicht nahm sie ja irgendwelche schweren Tabletten, Antidepressiva oder so ein Zeug und war daher so geistesabwesend, folgte sie mir in meine Wohnung. Nun endlich konnte ich den noch fehlenden Eintrag tätigen, druckte das Blatt aus und legte es ihr zu Unterschrift vor. Nicht ohne sie vorher über das Kleingedruckte, wie etwa 

die Folgen bei Überschreitung der Leihgebür, Mahnkosten etc, aufzuklären.

 

Willenlos lies sich meine Nachbarin einen Stift in die Hand drücken und unterschrieb am vorgesehen Platz. Na also, das war geschafft. Ich öffnete ihre Hände, anscheinend war sie selbst nicht mehr dazu in der Lage, schlimm was Drogen aus einem Menschen machen und legte ihr die Eier hinein. 

 

Sie bedankte sich nochmals und verließ meine Wohnung. Bereits am nächsten Tage gab sie mir die 3 Eier wieder zurück, womit ich ihr den Leihvertrag aushändigen konnte. 

 

Gestern traf ich meine Nachbarin seit langer Zeit wieder einmal auf der Straße. Sie schien mich nicht mehr zu erkennen, denn sie wechselte die Straßenseite. Aber vielleicht lag es auch daran, daß sie sich schämte. Mein Gott so ein Unmensch war ich auch wieder nicht, ich hatte den Gewichtsunterschied der zurückgegeben Eier zu meinen Geborgten, von ca. 0,05 g, nicht mal zur Rede gebracht.

 

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