Stephan Schneider

Wenn nichts mehr geht

Berlin 14.Mai 2007

„Herr Minister, es ist gleich soweit. Alles wartet schon!“ : sagt Frau Kohler, die Sekretärin des Finanzministers und blickt ihren Chef dabei vorwurfsvoll an. Friedrich Wirt, der Minister für Finanzen der Europäischen Union, stemmt sich unbeholfen aus seinem schweren Ledersessel und stöhnt dabei halblaut aus. Er hat die letzten Tage kaum noch geschlafen und seine Augenränder sind schon richtig unheimlich. Gesund ist diese Arbeit nun wirklich nicht. Aber das wusste Friedrich auch vorher schon. In diesem Metier ist er ein alter Fuchs mit viel Erfahrung. Er hat Jura studiert und sich nebenbei noch jede Menge BWL-Vorlesungen gegönnt. Das hat ihm der Bund finanziert. Wirt war aktiver Soldat und schied nach 12 Jahren aus der Armee aus. Sein Dienstgrad war zuletzt Hauptmann, mittlerweile ist er Oberstleutnant der Reserve, Dr. h.c. und seit 6 Wochen der neue Finanzminister von über 330 Millionen Europäer. Dieses Amt verdankt er seinem Ruf als krisenfester Retter von bankrotten Firmen. Er hatte es fertig gebracht nacheinander drei Firmen vor dem Konkurs bzw. der Schließung zu bewahren. Entsprechend populär war er in seinem Bundesland und eine Mitgliedschaft in einer großen Volksparteien bot sich da schon von selbst an. Innerhalb von 4 Jahren legte er einen kometenhaften Aufstieg hin. Seine Bilanz war auch hier makellos. War es ihm auch nicht gelungen alle Probleme zu beseitigen, so stabilisierte sich wenigstens das Dilemma und man gewann genug Zeit, um vom saisonbedingten Wirtschaftswachstum gerettet zu werden. Wirt hatte in seiner Funktion als deutscher Finanzminister einfach die Zahlungen nach Brüssel eingestellt und frech behauptet, dass die Reparationszahlungen für die letzten beiden Weltkriege nun beendet wären. Das machte ihn zum meistgehassten Mann außerhalb Deutschlands. Seine Popularität im eigenen Land wuchs dagegen unaufhaltsam und auf den Titeln vieler Zeitschriften wurde er als Volkheld, als neuer Robin Hood gefeiert. Die deutsche Finanzkrise war damit gemeistert und seine Wähler liebten ihn dafür.
Nachdem die Europäische Union scharf gegen dieses Vorgehen protestierte, wurden die Zahlungen wieder aufgenommen. Allerdings nur noch ein Drittel der bisherigen Summe. Das führte zum erneuten Eklat und zum Zusammenbruch des Europäischen Parlaments. Es gab Neuwahlen und Wirt wurde der oberste Finanzchef Europas. Jetzt stand er vor der größten Konkursmasse der Geschichte. In seiner neuen Behörde wucherte seit Jahrzehnten ein völlig unkontrolliertes Krebsgeschwür. Ganze Heerscharen von Beamten machten nichts anderes als Unmengen von Papier zu verschwenden, um das Geld, der wenigen Nettozahlern, in das eigene Heimatland, am besten noch in den eigenen Wahlbezirk zu leiten. Bei genauerem Hinsehen war hier seit Jahren ein offener Grabenkampf am laufen. Alles war scharf auf Devisen und entsprechend wurde dann gemauschelt.
Eine Krisensitzung jagte die nächste. Waren in den letzten Zehn Jahren immer wieder riesige Konzerne in die Pleite geschlittert, war diesmal das ganze Boot am Absaufen. Es gab hinten und vorne kein Geld mehr. Jedes Land innerhalb der EU war so hoch verschuldet, dass allein der Zinseszins 70% der Abgaben auffraß und es auch nichts mehr zu versilbern gab. Alles war veräußert worden. Immobilien, Staatsbetriebe, Goldreserven und Kulturgüter. Nichts war mehr geblieben.
Wirt sollte dieses Problem jetzt lösen und den Totalcrash in letzter Minute abwenden. Friedrich fühlte das es im diesmal wahrscheinlich nicht gelingen würde. So aussichtslos war seine Lage noch nie. Hatte er in Deutschland noch ein Loch stopfen können, so gab es hier kein Loch mehr, sondern vielmehr einen gähnenden Abgrund, der alles aufsog was man reinwarf.
Allerdings wäre Wirt nicht Wirt wenn es im nicht gelänge auch diesmal eine Lösung zu finden. Eine völlig verrückte zwar, aber immerhin noch eine Lösung. Schließlich war er ja deutscher Soldat und das verpflichtet halt.
Friedrich geht halb optimistisch, halb erschöpft in den abhörsichern Konferenzsaal, wo ihn etwa 340 Personen erwarten. Alles ist gespannt auf den Vortrag des Deutschen. Alles blickt auf ihn und allmählich wird das Gemurmel in vielen Sprachen immer leiser. Als der „Chef“ vorne am Pult angekommen ist, gelten seine ersten Worte ausschließlich der Geheimhaltung. Dann fährt er fort und zieht erst mal ein Fazit seiner Arbeit in den letzten Tagen und Wochen. Den chaotischen Zuständen in seiner Behörde, dem intriganten Vorgehen aller Beamten und dem unmöglichen Umstand das Deutsch nicht mal eine offizielle Amtssprache in der EU sei. Dies, so meint er, wäre ja wohl das mindeste, dass man jemanden in dessen Muttersprache anschnorre und nicht noch verlange, dass man diese Übervorteilung auch noch übersetzen muss.
Nachdem er sich darüber einige Minuten ausgelassen hat und sich ein paar unflätige Zwischenrufe anhören musste, kommt er endlich zum Kern seines Vortrags.
„Nachdem wir die Fronten nun geklärt haben und ich zum hundertsten Mal als „Nazischwein“ tituliert wurde, komme ich nun zu meinem Lösungsvorschlag, bzw. Vorschlägen. Es sind nämlich zwei völlig verschiedenen Ansätze, die man einzeln oder auch gemeinsam angehen könnte.
Der erste ist die offizielle Erklärung des Staatsbankrotts mit allen Konsequenzen. Neue Währung, Zwangsenteignung und Entschuldung. Das wäre eigentlich das beste. Danach kann man von vorne anfangen und niemand wäre wirklich zu Schaden gekommen. Außer den wirklich wohlhabenden Europäern, denen wir das ganze Geld schulden. Natürlich muss so eine Maßnahme sehr schnell und gründlich vorgenommen werden. Ansonsten geht uns zuviel Geld durch die Lappen“.

Wirt wartet einen Augenblick, um an den Gesichtern seiner Zuhörerschaft zu erkennen, wie sein Vorschlag ankommt. Eigentlich ist er nicht besonders neu oder originell. Entsprechend lang sind die Gesichter der Eurokraten. Dann folgt direkt der zweite Vorschlag: „ Wie ich sehe sind sie jetzt etwas enttäuscht über meinen ersten Vorschlag. Das kann ich nur zu gut verstehen. Wahrscheinlich hätten gerade sie einiges zu verlieren. Ich übrigens ebenfalls. Allerdings wäre es glatter Selbstmord uns aus diesem Verfahren auszuschließen. Man würde uns auf offener Straße lynchen oder sonst was machen“.
Ein Raunen und Buhen geht durch den Saal, als der Minister diesen Teil seines Vortrags beendet.
Das wollten die Abgeordneten nun wirklich nicht hören. Sie wollten einen eleganten Lösungsweg, einen neuen Speiseplan wenn man so will und keine Nulldiät. Mit diesem Vorschlag brauchte sie zu Hause nicht auftauchen. Man würde sie schon nach zwei Sätzen aufhängen oder steinigen. Zumindest in den südlichern Gefilden. Schimpfrufe wie „Totengräber“, „Nichtskönner“ und „Faschist“ gellten durch den Saal. Dann bimmelte der Ratspräsident mit deiner großen Glocke und die Versammlung beruhigte sich wieder. Zwei Abgeordnete aus Italien und Griechenland waren mittlerweile so erregt, dass sie den Vortragenden mit ihren Wassergläsern bewarfen. Der ging in Deckung und forderte dann seinerseits die beiden Schützen auf, nach vorne zu kommen und der Versammlung ihren Lösungsvorschlag zu präsentieren. Zwei Stinkfinger und dem üblichen
Vorwurf der deutschen Arroganz später, setzte Wirt einfach seine Rede fort.
„Also nachdem sich die beiden Herren ihrer Trinkgefäße entledigt haben, werde ich nun die zweite Lösung präsentieren.
Also, ich habe ein Land gefunden, dass hat noch jede Menge Devisen und sonstige Mittel, die wir verwenden können. Mit etwas Engagement und beherztem Zupacken können wir diese Mittel erschließen und uns für die nächste Zeit etwas Luft verschaffen. Allerdings ist der Plan sehr riskant und wird uns in der öffentlichen Meinung nicht unbedingt beliebter machen!“
. Er wartet auf die Übersetzung und beobachtet ein ungläubiges Kopfschütteln in der Runde vor ihm. Scheinbar kann sich niemand so recht vorstellen was dieser Minister da überhaupt meint. Welches Land meint er? Eigentlich sind doch alle pleite und niemand kann auch nur das schwarze unter den Nägeln hergeben.
„Sie rätseln jetzt bestimmt welches Land ich überhaupt meine. Nun überlegen sie doch mal etwas. Na ist der Groschen endlich gefallen?“ Er wartet und erfreut sich an den Gesichtern seiner Zuhörerschaft. Dann lüftet er sein Geheimnis und fährt mit seinen Erläuterungen fort.
„Das Land, dass ich meine ist die Schweiz. Dort lagern genug Devisen und andere wertvolle Dinge, die wir bestens gebrauchen können!“
Kurz darauf fangen alle an zu lachen und winken ab. Ein Franzose ergreift das Wort und meint: „ Die Bevölkerung der Schweiz hat bisher noch jedes Mal abgewunken und nie im Leben werden die sich uns anschließen. Die sind ja nicht verrückt und wissen genau wohin ihr ganzes Geld dann hinwandernd!“
„Wer redet von Anschluss oder Beitritt!“:
kontert Wirt.
Augenblicklich ist es still im Saal. Die Bombe ist geplatzt und alles schluckt. Nach ein paar Augenblicken melden sich einige Abgeordnete zu Wort und bitten um Wiederholung bzw. eine nähere Erläuterung. Niemand wagt diesen Vorschlag zuende zu denken, aber alle können sich denken was der Deutsche ihnen da gerade vorschlägt.
„Ich meine, dass wir die Schweiz mit einer Handstreichaktion erobern und alles rausholen was wir gebrauchen können. Es liegt doch auf der Hand. Wir haben jetzt noch genug Soldaten um das zu schaffen und dieses kleine Land bietet uns alles was wir brauchen. Ich weiß auch das es nicht ganz korrekt ist, aber überlegen sie nur wie viel Gold da lagert.
Wir stehen vor der elementarsten Frage überhaupt. Wir oder die!? Wir können unsere Leute enteignen oder die Schweizer. Dazwischen gibt es keine Lösung mehr“.

Kurz darauf kommt es zum handgreiflichen Tumultszenen. Am Ende verkesselt sich der ganze Saal und die Glocke des Ratsherrn liegt zerbeult auf dem Boden. Erst nach 20 Minuten schafft es eine Einheit des Internen Sicherheitsdienstes die Lage zu beruhigen. Etliche Personen sind verletzt und müssen ärztlich versorgt werden. Nur der Urheber ist glimpflich davongekommen. Er hat zwar ein blaues Auge, aber vor im liegen zwei andere und sind k.o.
Danach wird im kleinen Kreis weitergetagt. Wirt erklärt seine Strategie.
„Also, es ist eigentlich ganz einfach. Wir stopfen jede Menge Zivilflugzeuge voll mit Fallschirmjägern. Chartern dazu noch jede verfügbare Frachtmaschine und verlegen auf diese Weise genug Militär zu allen wichtigen Stellen in der Schweiz. Wenn alles klappt sind wir in weniger als einem Tag aus dem Schlamassel. Der einzige Haken dabei ist die Geheimhaltung. Es dürfte schwierig sein es lange genug zu verheimlichen. Wir müssen das Land ja intakt einnehmen. Wenn die mitkriegen was wir vorhaben kann das auch böse ins Auge gehen!“
Die Anwesenden sind teilweise fasziniert, teilweise auch angewidert vor soviel Kaltblütigkeit.
Die Entscheidung wird dann allerdings nicht mehr innerhalb dieses Gremiums gefällt. Mittlerweile hat die Presse von den ungeheuerlichen Vorwürfen erfahren und weltweit empört sich alles gegen diesen Plan.
Noch am selben Tag wird der unbeliebte Deutsche verhaftet und ein anderer Minister ernannt. Dieser beschließt eine Konferenz innerhalb der nächsten 3 Monate und verlangt von diversen Schweizer Banken umfangreiche Kredite, die man ihm auch zähneknirschend bewilligt. Der deutsche Beitrag für die EU wird auf das vorherige Niveau angehoben und damit endet die Karriere des Herrn Wirt.
Zumindest vorläufig!

Ende

Autor Stephan Schneider

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 05.04.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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