Irmgard Schöndorf Welch

Onkel Hans Müller oder Unordnung und frühes Leid .

 

*




Onkel Hans Müller

oder

Unordnung und frühes Leid 

( Zeit: um 1950, fünf Jahre nach dem II.Weltkrieg )


Hermine ist zehn Jahre alt und geht in die Sexta der Mittelschule. Jeden Morgen fährt sie die fünfunddreißig Kilometer mit dem Zug von Marienstock, wo sie wohnt, nach Brückenstadt. Und am frühen Nachmittag wieder zurück.
Christel Dornbüsch, Hermines Klassenkameradin, die neben ihr in der Bank sitzt, erzählt ihr, dass sie oft bis zum Abend bei den Müllers bleibt. Die Müllers wohnen nicht weit von der Schule entfernt. Einmal gelingt es der Freundin, Hermine dorthin mitzulotsen:
"Du wirst sehen, bei denen ist es schön!"
"Schön" ist gar kein Ausdruck. Sie haben eine herrliche Wohnung in einem Neubau. Vornehm. Hermine ist beeindruckt.

Die Müllers, das sind Hans Müller, den Christel ‘Onkel Hans’ nennt und seine Frau, die Waltraud.
Die Waltraud ist immer am Kochen, am Putzen. Wenn die Kinder da sind und alles in der Wohnung blinkt und strahlt, nimmt sie ihre Handarbeit vor. Dann strickt sie. Oder sie stickt. Aber sie hört auch gern Musik. Sieht hübsch aus. Redet wenig.

Onkel Hans ist laut. Kaum kommt er zur Tür herein, ist es, als ob die Wohnung plötzlich auf einen Schlag voller Menschen wäre, soviel Stimmung bringt er mit. Weil er auch immer lustig ist und seine Sprache verstellen kann, sich dann anhört wie der Heinz Erhard. Er ist groß, ein bisschen dick, blond, zirka vierzig Jahre alt. Und wenn er Witze erzählt, lachen die Kinder sich schief, ob sie wollen oder nicht ...

Onkel Hans hat es schon zu etwas gebracht. Das ist nur wenigen gelungen, so kurz nach dem Krieg. Er ist nämlich Handelsreisender. Vertreter für Radios, Musiktruhen, elektrische Haushaltsgeräte. Das ist eine gute Existenz, sagt Christel, hätte ihre Mutter gesagt. Weil, in Deutschland müssen die Leute sich nach dem Krieg ja alles frisch anschaffen.
Die Müllers haben bei ihrer Eigentumswohnung sogar eine große Sonnenterrasse nach Süden. Hans Müller ist stolz auf sich, auf die Wohnung und sein frisch gekauftes, vornehmes Auto, den silbernen Mercedes. Und auf die Waltraud.
"Sie ist Hausfrau mit Leib und Seele", sagt er, "so muss es sein in einer guten Ehe. Dass Mann und Weib an einem Strang ziehen."
Waltraud lädt häufig Leute in ihr schickes Heim ein. Sie mag auch Kinder gern, hat aber selbst keine. Deswegen ist sie ganz froh, meint sie, wenn Christel und Hermine sie möglichst oft besuchen.
"Ihr könnt jederzeit herkommen und bei uns eure Hausaufgaben machen. Hier habt ihr Platz und Ruhe."

Bei den Müllers in der Küche steht ein riesiger Kühlschrank. Der ist etwas Neues, nie Dagewesenes, denn er hat ein eingebautes Gefrierteil ... supermodern. Dass es EISFÄCHER gibt, wo Lebensmittel monatelang eingefroren bleiben, davon haben die meisten Leute noch nie gehört. Erst wenige besitzen einen simplen Kühlschrank. Bei Hermine daheim gibt es nicht einmal so einen.

Waltraud serviert den Kindern nachmittags Erdbeertorte mit Schlagsahne. Und später - o blaues Wunder - eine große Portion Eiscreme. Herrlich türmt sich das köstliche Kunstwerk in Riesenschalen vor den Mädchen auf. Eiscreme aus rot-grün-orange-rosa übereinandergelagerten Schichten. Eigenartig fruchtig. Hm ... das schmeckt! Banane, Pfirsich, Zitrone, Waldmeister ... Und dazu Vanille. Oben ist das Ganze noch mit Schokoladetrüffeln und Kirschen verziert.

"Was hab ich dir versprochen? Ist das nicht toll?" Christel grinst.
"Ja, der Wahnsinn!" Hermine kann es kaum fassen.

Eiscreme bekommt sie daheim nie, denn: "So große Sprünge können wir nicht machen", sagt Lisa, die Stiefmutter. "Ich muss jeden Pfennig dreimal umdrehen. Weil der Papa, seit er aus Gefangenschaft zurück ist, nur immer experimentiert und mit seinem blöden Bohnerwachs herumfuhrwerkt ... statt sich eine gute Lebensstellung beim Staat zu sichern, wo er doch Abitur hat und Offizier war und so viele Deutsche im Krieg gefallen sind und andere Nazis waren und deshalb nicht genommen werden dürfen. Man weiß, dass sie jetzt jeden übrig gebliebenen ANSTÄNDIGEN, intelligenten Mann im Land brauchen. Ja , sie haben ihm eine Beamtenlaufbahn auf dem Einwohnermeldeamt angeboten, aber dein Vater steht ja lieber in einem kalten Kellerloch und kocht Schuhwichse, das ist doch nicht mehr normal", jammert Lisa.

Da kommt Christel schon aus einer besser gestellten Familie. Ihr Vater ist nämlich Polizeioberwachtmeister.
Sie wohnt am Stadtrand. In einem großen Haus, das wie fast alle anderen in dem Viertel von Brandbomben zerstört war. "Wenigstens sind die Außenwände stehen geblieben", sagt sie. Noch immer wird gebaut und renoviert. Aber die Zimmer im Erdgeschoss haben ihre Eltern schon wieder schön hergerichtet.

Die Müllers jedoch scheinen REICH zu sein. Der Onkel Hans und die Waltraud haben immer schicke Kleider an und in der Küche die modernsten Geräte. Im Wohnzimmer steht eine nagelneue Musiktruhe aus warm-gelbem, poliertem Schleiflack mit aufklappbaren Türen. Mit Radio und Plattenspieler. Beinahe dreißig Schallplatten sind in einem Halter auf dem nierenförmigen Beistelltisch aufgereiht. Die beiden Schülerinnen dürfen da Musik hören, solang sie wollen.
"Heimweh nach dir, old Virginia" ,
"Wenn bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt",
"Heimat, deine Sterne" oder
Zarah Leander: "Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehn und dann werden tausend Märchen wahr..." so etwas eben ...

Wenn der Onkel da ist, singt er auch laut und tanzt ausgelassen mit den kleinen Mädchen im Zimmer herum. Dann ist richtig was los.
Eigentlich sind die Kinder mit den Müllers nicht verwandt. Aber Christel hat gesagt, ihre Eltern kennen die beiden schon seit Jahren.
Eines Tages gehen Christel und Hermine wieder einmal nach der Schule zur Waltraud. An dem Tag gibt es Sauerbraten mit Kartoffelklößen und Kopfsalat. Danach natürlich eine Riesenportion Eis. Anschließend machen die beiden Mädchen ihre Schulaufgaben auf der sonnigen Terrasse. Die Waltraud legt sich ein bisschen hin, weil sie heute abend mit einer Freundin ins Skala gehen will. In die Nachtvorstellung: einen Arzt-Liebesfilm mit Dieter Borsche und Maria Schell.

Hermine und Christel haben es sich richtig gemütlich gemacht. Holen sich Cola aus dem Kühlschrank. Waltraud hat ihnen auch erlaubt, Schallplatten zu hören, während sie Vokabeln pauken. Das ist normal, denn andere Schüler lassen neuerdings im Hintergrund beim Hausaufgabenmachen ständig das Radio dudeln.

"Das ist verruckt ... wie soll eine Mensch das im Gehirn aushalten?" hat Mademoiselle Beaulieu, die Französischlehrerin, warnend gerufen und sich an die schwarzumlockte Stirn getippt, als sie davon hörte. Diejenigen, die es anging, haben nur gegrinst.

Onkel Hans kommt früh von seiner Vertreter-Tour zurück. Weil Christel und Hermine mit den Hausaufgaben fertig sind, meint er, er könne sie doch beide heimfahren. Mit dem Wagen. Die Kinder finden das eine supergute Idee. Von Tante Waltraud verabschieden sie sich diesmal nicht. Die hält noch ihren Schönheitsschlaf.

Der Beifahrersitz des Mercedes ist so breit, dass beide Mädchen darauf passen.
Zuerst setzt Onkel Hans Christel vor ihrer Tür ab, denn sie wohnt ja nur ein paar Straßen weiter.
Danach geht es in Richtung Marienstock.

Was für eine herrliche Fahrt. Mine hat noch nie im Leben in einem so tollen Auto gesessen. Wie auf Wolken gleiten sie dahin, schnell und weich. Das neue Auto riecht innen ganz frisch nach Leder und sogar ein bisschen nach Parfüm und ist tausendmal bequemer als Papas alte Klapperkiste.
"Das gefällt dir, nicht wahr? Es gefällt dir immer bei uns, oder? "
"O ja."
"Weißt du, wir haben dich sehr gern. Besonders ich. Ich hab dich viel lieber als die Christel", fährt er fort und wird rot wie ein Krebs. "Für dich würd ich die Christel glatt stehen lassen!"
"Das ist unfair. Du kennst sie doch schon viel länger als mich", sagt Hermine verwirrt.
"Du bist aber ... netter."

Ein bisschen freut sich Hermine SCHON, dass er sie gern hat. Auch wenn sie ihn gar nicht so besonders mag. Er ist ziemlich dick und meistens zu laut. Nein, besonders gern hat sie ihn nicht ... sie kann ihn gut leiden, so wie sie viele Leute gut leiden kann. Oft bringt er sie ja auch zum Lachen ...

Auf einmal legt er seinen Arm um ihre Schulter.
Das gefällt ihr überhaupt nicht.
"Du hast so schöne Zöpfe, du bist ein so nettes Mädel", sagt er. "Ich hab dich lieb!"
Das ist Hermine furchtbar peinlich. Weil ihr das nie passiert ist, dass jemand so den Arm um sie gelegt hat. Und nie hat ihr jemand gesagt, dass er sie lieb hat. Der Papa nicht und die Lisa schon gar nicht. Auch die Zöpfe hat bis jetzt noch niemand gelobt ... sie waren einfach da. Basta. Rattenschwänze.

Kurz vor Marienstock hält der Onkel Hans am Ackerrand den Wagen an.
"Warum", fragt Hermine, was ist los?"
"Komm wir ruhen uns ein bisschen in dem schönen Auto aus. Wir haben es doch nicht eilig ... oder?"
"Nein ..."

Er sitzt so komisch da, ist rot im Gesicht und mit seiner Hand ist er dort unten an seinem Hosenlatz, wo jedes Kind weiß, dass es sich nicht gehört, wenn einer sich da anfasst und dran herumfummelt ...
Hermine passt das gar nicht. Es ist einfach eklig.

"Guck mal", sagt er, "was ich da Schönes habe!"
Das Schöne ist ein schlaffes Ding, das auf einmal klein vor seinem Bauch hängt wie eine rohe Bratwurst, nur mickriger. Eher wie eine fette, fahle Schnecke. Baumelt weiß zwischen Onkel Hans mächtigen Hosenschenkeln. Hermine hat keine Ahnung, was er da ... ach, sie kann gar nicht mehr hingucken, es ist ...

Ein rosa Hemd und einen vornehmen, taubenblauen Anzug hat der Onkel Hans an. Der bleiche, madige Fleischwurm, der da so komisch lungert, passt überhaupt nicht dazu. Würde nirgendwo hinpassen ... Etwas Abscheulicheres hat Hermine ja noch nie gesehen!
Es muss bestimmt der Blinddarm sein ... Appendix, Wurmfortsatz. Das haben sie doch neulich in Bio durchgenommen ... Genau der muss es sein: ein aus dem Bauch herausgequollener ‘Wurmfortsatz.’
Wirklich ... was so schwabbelweiß und krank aussieht, kann nur etwas total Unnormales ...

Der Onkel Hans macht an dem Ding herum.
"Schau mal, schau mal", flüstert er und rückt näher.
„Guck mal ... es wächst!“
Hermine bleibt vor Schreck der Mund offen stehen.
„Fass es doch mal an!“
„Nimm‘s weg!", schreit sie.
„Ach komm“, sagt er und versucht, ihre Hand zu greifen.
"Machs weg!" Hermines Stimme überschlägt sich. Der Mann sieht nicht, dass das Kind im Gesicht grün ist.
"Komm", sagt der Onkel Hans, "fass ihn an, meinen kleinen Freund. Er mag das. Fass ihn an! Probier das doch mal ... Schau, er ist schon viel größer geworden!"

Da wird ihr schlecht.

Onkel Hans packt Minchens Hand. Das Kind reißt sie ihm schnell fort. Es verhakt die Finger seiner Hände ineinander. Weiß treten die Knöchel hervor. Es verhakt beide Hände so fest, dass er sich keine davon greifen kann.
"Sei doch lieb ... Fass ihn an ..."
"Nein", schrillt Hermine.
Aber er fummelt weiter an dem Ding herum, dass der ganze Vordersitz wackelt. Da macht das bleiche, hässliche Objekt plötzlich ein paar komische Hopser und oben kommt etwas Weißes raus, wie dicke Milch, so sämig weiß.
Hermine muss gleich brechen.

Am Ende putzt der Onkel Hans das Ding mit dem weißen Taschentuch ab und stopft es zurück in die Hose. Wahrscheinlich auch, weil Hermine wie am Spieß schreit.
"Tu das weg“, hat sie schon die ganze Zeit gebrüllt, „tu das sofort weg!“

Schnell fährt der Mann sie nach Hause.
Als er das Auto anhält, zieht er sie plötzlich zu sich hin ... streichelt sie ... ihre Wange, ihr Haar:
„Gell, anfassen darf ich dich aber ... ich mag dich doch so gern!“
"Lass mich! Ich muss heim!"
"Du bist doch ein verständiges Mädel. Versprich mir, dass du es niemand erzählst, dass ich dich so lieb habe. Wir haben jetzt ein großes Geheimnis, oder?" Er lächelt komisch.
Dann lässt er sie aussteigen. Beim Wegfahren winkt er aus dem Fenster - ganz freundlich - und wirft ihr einen Kuss zu - Er hat nur jemand aus einem Film nachgemacht und das war richtig blöd und passt gar nicht zu ihm, denkt Hermine später im Bett.
Und dort denkt sie noch lang an alles und sie ist verwirrt und es war so hässlich und sie ist sehr traurig. Und nach Parfüm roch er auch. Wie sonderbar!

Zur Waltraud geht sie noch einmal. Zwei Wochen später. Weil Christel unbedingt hin will.
Natürlich erzählt Hermine der Freundin NICHTS von der Sache im Auto. Denn die würde vielleicht meinen, sie wär selber schuld.

Vielleicht ist es auch normal, DAS mit dem Onkel Hans, was weiß ich?, fährt es Hermine durch den Kopf. Womöglich machen alle erwachsenen Männer so etwas, wenn sie ein Mädchen lieb haben?? Warum sollte sie deswegen nicht mehr zur Waltraud gehen? Die kann ja nichts dafür.
Aber eigentlich ist es die Lust aufs Musikhören und auf Eiscreme, die Hermine wieder zu den Müllers treibt.

Eis essen sie an dem Tag eine ganze Menge und auch Schallplatten hören sie wie immer. "La mer, qu‘on voit danser le long des golfes clairs ..." singt Louis Trenet.
SCHÖN.

Da kommt der Onkel Hans ins Wohnzimmer. Er sieht Hermine, grinst, legt den Zeigefinger an seine Lippen, wie, um ihr oder sich den Mund zu verbieten, und das schaut dumm aus und so etwas macht ein richtiger Mann doch nicht, wenn er ein Mädchen lieb hat, muss Hermine denken. Er zwinkert ihr zu. Das mag sie schon gar nicht.
"Ich kann euch doch nachher heimfahren, euch zwei Hübsche?", fragt er. Christel nickt.
"Mich aber nicht", sagt Hermine.
„Warum nicht? Es ist doch schön in meinem Auto!“
„Ich will nicht“, sagt Hermine.
„Dann fahr‘ ich auch nicht mit“, murmelt Christel.
Der Onkel Hans legt eine neue Platte auf: ‚Über den Wellen.‘ Er weiß, dass den Mädchen die Melodie gefällt.
„Pass auf, ich zeig dir, wie man Walzer tanzt!“ Der Mann will Hermine am Arm vom Stuhl hochziehen.
„Nein!“, schreit sie.
In dem Moment kommt die Waltraud herein.

"Ach, da ist ja mein lieber Schatz", ruft der Onkel Hans, nimmt die Waltraud fest in die Arme, zerrt sie mit Tanzschritten durchs Zimmer. Und sie quiekt wie ein Schweinchen, weil er sie ganz wild drückt.
"Ich walze mit dir in den Himmel... ", schmettert Onkel Hans. Und schielt dabei am Kopf seiner Frau vorbei zu den beiden Kindern hin. Zwinkert ihnen abwechselnd zu.
Hermine wird übel. Jetzt muss sie brechen. Rennt aufs Klo. Warum hat sie auch so viel Eis gegessen?

*


"Ich komm noch ein Stück mit dir, Christel", murmelt sie, als die beiden Freundinnen später unten auf der Straße stehen.
"Weißt du ... der Onkel Hans ...", fängt Hermine auf dem Weg zaghaft an und stockt.
"Was ist mit ihm? Du kannst ihn nicht leiden, stimmts? Das hab ich schon lang gemerkt!"
"Aber ..."
"Was ist denn?"
"Ach ... nichts."

Dann marschiert Hermine zum Bahnhof und nimmt den Zug nach Marienstock.

Von da an hält sie sich vom Haus der Müllers fern. Sie will auch nicht mehr an das Ding erinnert werden, von dem sie schon eine Minute später gewusst hatte, dass es kein Blinddarm und kein ‘Wurmfortsatz’ war. Das hatte sie sich nur vorgemacht.

*

Ein halbes Jahr später denkt Hermine nicht mehr oft an die Sache.

Bis eines Morgens. Da kommt Christel aufgeregt in die Schule gerannt.
" Stell dir vor... sie haben den Onkel Hans verhaftet, UNSEREN On... wenn du wüsstest, was bei mir daheim los ist und wie mein Vater herumbrüllt. Er und seine Kollegen haben ihn gestern festnehmen müssen. Der Onkel Hans ist ein Sitt-lich-keits-ver-bre-cher", stammelt sie. "Und die Waltraud ist ein böses Luder, die hätte von seiner Ab-artigkeit gewusst", sagt mein Vater. Aber ich kann es nicht glauben."
Christel schluchzt gottserbärmlich.

Doch es ist wahr. Der Onkel ist ein SITTENSTROLCH. Es steht auch in der Zeitung, die Christel für Hermine zum Beweis mitgebracht hat:
Hans M. ein Wiederholungstäter. Besucher hatten ihn seit Tagen beobachtet, wie er im Freibad Kinder ansprach, ihnen am Kiosk Süßigkeiten kaufte, sie sogar anfasste. Er wurde in flagranti mit einer Neunjährigen ertappt. Hans M. soll sich noch über Grobheiten der Polizei beschwert haben, als die Obrigkeit ihn dingfest machte ...
"Es ist nämlich so gewesen, hat mein Vater gesagt", erzählt Christel, "der Bademeister hat ihm eine Falle gestellt. Ein schlaues, kleines Mädchen hat dabei geholfen und ist mit dem Onkel Hans in die Kabine gegangen. Dort hat man ihn dann gepackt, wie er mit herunter gezogener Hose ..."

Nach seiner Verhaftung wird es klar: Er hat zuvor schon einmal in einer anderen Stadt sein Unwesen getrieben. Da ist er noch davongekommen. Jetzt nicht mehr.

Christel lässt sich weinend in die Schulbank fallen.
"Meine Mutter schreit daheim herum wie eine Furie. Meine Mutter!! Gestern hat sie mich immer wieder gepackt und geschüttelt und wissen wollen, was der Onkel Hans mit mir gemacht hat und so ... Und mein Vater ist auf dem Revier total ausgeflippt. Mama sagt, er wäre gerade noch von seinen Polizistenkollegen zurückgerissen worden ... weil er dem Onkel Hans gleich an die Gurgel gesprungen ist. Meine Mutter sagt, das Gesetz sagt: "Niemand darf so einem Schweine-kerl ein Haar krümmen bis zur Gerichtsverhandlung, daran muss die Obrigkeit sich halten."
Die Freundin hört gar nicht mehr auf, zu schluchzen.

Hermine weiß aber: Christels Eltern hatten von den Besuchen ihrer Tochter bei den Müllers gewusst und nur Wunderbares über das Ehepaar gesagt.
Und nun lassen sie auch kein gutes Haar mehr an der armen Waltraud. Als ob sie ebenfalls eine Verbrecherin wäre.

Trotzdem ... Hermine wundert sich, warum Christel die Sache so furchtbar tragisch nimmt und WOCHENLANG in den Schulpausen immer wieder davon anfängt und sogar aus heiterem Himmel losheult. Es ist der Freundin ja nichts passiert - ihr selbst eigentlich auch nicht ... da braucht man doch kein SOLCHES Theater zu machen.

Über etwas ist Hermine aber besonders traurig: es wird ihr jetzt klar, dass der Onkel Hans sie belog und nicht einmal gern hatte. Er hat das, was er im Auto versuchte, mit anderen Mädchen genau so gemacht. Auch denen hat er bestimmt gesagt, er hätte sie lieb.

Ein paarmal ist sie nah daran, die ganze Sache Lisa, der Stiefmutter zu erzählen, aber dann lässt sie es doch lieber sein. 




 

*



 
Auszug aus meinem  Roman  MINOU  (auch hier auf e-Stories.de )


Copyright Irmgard Schöndorf Welch August 2002
überarbeitet am 01.06. 2005

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 01.06.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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