Burkhard Lerley

Meine Haare

Seit kurzem stelle ich merkwürdige Veränderungen an mir fest. War ich doch seit jeher der wirklich jugendliche Typ, der sein wallendes blondes Haar kaum zu bändigen wusste, lässt sich mein Haar jetzt fast schon mühelos frisieren. Vorbei ist die Zeit, als ich noch mit der Bürste kaum meine Haarpracht dazu bewegen konnte, sich nach hinten hin zu orientieren.
Vielmehr konzentriere ich meine Energie seit kurzem darauf, die mir noch verbliebenen Haare dazu zu motivieren, von hinten nach vorn über die immer spärlicher werdende Frontpartie zu fallen.
Sind denn die Bürsten heutzutage so verändert worden, dass sie gar nicht mehr alle Haare erfassen ? Möglich wäre das, wo doch heute an allem gespart wird, warum also auch nicht an den Borsten einer Bürste ?
Zunächst hat mich das ja auch beruhigt, bis ich aber rein zufällig, es hat mich ja nicht wirklich interessiert, aber ich habe es eben doch eher wirklich rein zufällig bemerkt, dass also eine aktuelle Bürste verglichen mit einer Bürste von vor sieben Jahren (zufällig hatte ich noch eine) genau dieselbe Anzahl von Borsten hat. Ich war doch ziemlich überrascht – offensichtlich hatten es die Bürstenmacher verstanden, uns vorzugaukeln, dass gleiches mehr ist. Denn eins ist ja wohl klar: man kann in der heutigen Zeit nicht Produkte mit der gleichen Qualität wie vor sieben Jahren zum heutigen Preis verkaufen ! Also muss da ja offensichtlich Betrug im Spiel sein. Anders lässt sich auch nicht erklären, dass die heutigen Bürsten wesentlich weniger Haare bei mir erfassen als früher.
Aber ich habe aus der Not eine Tugend gemacht ! Heute kenne ich alle meine Haare persönlich. Ich habe ihnen Namen gegeben und so ein partnerschaftliches Verhältnis aufgebaut – ich kann sogar sagen, wir sind Freunde geworden, auch wenn ich immer wieder feststellen muss, dass mich meine Freunde verlassen…
Das Leben wird mittlerweile manchmal wirklich schwer – zuletzt habe ich Jakob und Ferdinand verloren, zwei meiner treuesten Gefährten – sie haben die Locke über meinem rechten Ohr gebildet. Sicher, sie waren schon langsam grau geworden, aber dennoch waren sie kräftig und gesund – sollte es Selbstmord gewesen sein…?
Schlimmer sind aber noch diese Anfeindungen und Diskriminierungen in der Gesellschaft. Neulich erst bin ich in eine Straßenbahn gestiegen und, obwohl ich Franz-Josef, Harald und Martin so über meinen Kopf gelegt hatte, dass wirklich gar nicht auffallen konnte, dass meine vordere Kopfpartie nicht mehr so stark behaart ist, wie noch vor 17 Jahren, musste ich mir doch von einer niveaulosen Gruppe Jugendlicher gefallen lassen, dass einer von ihnen zu einem anderen sagte: „Steh gefälligst auf und lass den alten Opa mit der Glatze sitzen!“ Leider hat es auch nichts genutzt, dass ich mich empört umdrehte und nach dem alten Opa mit der Glatze Ausschau hielt…
Mittlerweile bin ich zu ganz anderen Erkenntnissen gekommen:
Ist es eigentlich eine Schande, alt, oder zumindest mittelalt zu werden ???
Wohl kaum. Ich habe also beschlossen, die wirklich Betroffenen, von denen ich ja schließlich noch keinen kenne, kennenzulernen und ihnen beizustehen. Darin bin ich mir mit meinen beiden noch verbliebenen Freunden Karl-Heinz und Erwin absolut einig…
 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 17.06.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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