Alexander Liermann

Die Zigarette danach

Es war ein
herbstlicher Sonntagabend, als er seine Arbeit abschloß und seinen PC
ausmachte.
Seine
Arbeit, das war ein Manuskript, vielleicht 300 Seiten lang. Er hoffte, dass
sein Verlag die Story annahm. Das würde ihm die nächsten Mietzahlungen sichern
und seinen Kühlschrank füllen.
Er räkelte
sich in seinem Schreibtischsessel  und
schaute zufrieden auf das Word-Dokument, das ihm entgegenblinzelte.
Träge
wanderten seine Augen über den Schreibtisch mit dem Autogramm von Fred Astaire,
den leeren Bierflaschen und der Lampe, die sich wie üblich über seinen leeren
Zigarettenschachteln breit machte.
Er war
fertig. Für ihn hieß das, das Arbeitszimmer zu verlassen und ein paar Meter zu
gehen. Das tat er immer. Es gab ihm Abstand von der Story, die er gerade beendet
hatte.
Er stemmte
sich aus seinem Sessel und nahm noch einen großen Schluck aus der angefangenen
Flasche.  „Finn, Du bist großartig,“
sagte er zu sich selbst und wankte zu seiner Garderobe, an der seine
Lieblingsjacke auf ihn wartete.
Er zwängte
sich in das schwarze Leder, suchte kurz nach seinem Wohnungsschlüssel, fand ihn
am Schlüsselbrett und steckte ihn ein.
Vor der Tür
des Wohnblocks nahm ihn die abendliche Kälte gefangen. Er zog die Jacke eng um
sich und lief in Richtung der Hauptstraße, wo der Verkehr scheinbar nie
stillstand. Unter den großen, gebeugten Straßenlaternen ging er langsam auf die
hell erleuchtete Stadt zu, immer noch gefangen in den Bildern, die er für
seinen Roman geschaffen hatte.
Unwillkürlich
glitt seine Hand in seine Hosentasche, und er seufzte erleichtert auf. Dort
waren ein paar Scheine, sicher genug, um in seiner Lieblingskneipe den Abend
bei ein paar Gläsern Bier zu beenden.
Kurz
überlegte er, ob er den Bus nehmen sollte, doch die frische Luft des
Septemberabends überzeugte ihn vom Gegenteil. So schritt er kräftig aus und
hielt auch nicht ein, als im Licht der Straßenlaternen seine Lieblingsabkürzung
erschien.
Kurz
schaute er an dem schmiedeeisernen Gatter hinauf, das den Friedhof umzäunte. Er
lächelte, schob die Tür auf und ging zwischen den Gräbern entlang. Das Licht
der Straße verblasste und wurde ersetzt durch den Mond, der wie ein weißes
Gesicht über den Gräbern und den alten Mausoleen hing.
Wieder
einmal wurde er von diesem Gefühl befangen, das ihm sagte, er sei nicht allein.
Er warf Blicke auf die Gräber und stellte sich vor, dass auch er dereinst dort
liegen würde. Doch in erster Linie dachte er an seine Geschichte und was sie
ihm bringen würde.
Leise
lächelnd ging er über eine Wiese zwischen den Gräbern, gesäumt von hölzernen
Bänken. Er war so in sich versunken, dass er die Frau, die auf einer der Bänke
saß, kaum bemerkt hätte, hätte ihn nicht ein sonderbares Gefühl veranlasst, den
Kopf nach links zu wenden.
Dort saß
sie.
Irritiert
schaute er auf die Leuchtziffern seiner Timex und stellte fest, es war knapp 2
Uhr morgens.
Um diese
Uhrzeit saß sie auf der Bank ?
Seine
professionelle Neugier nahm überhand und er näherte sich ihr.
„Darf ich
mich zu Ihnen setzen ?“ fragte er.
„Bitte, ich
bin sehr allein,“ antwortete sie.
Er setzte
sich zu ihr und spürte die Kälte der Bank. Und obwohl sie sehr nah bei ihm saß,
spürte er auch von ihrer Seite nur Kälte. Es war ihm unbehaglich. Er versuchte,
ein Gespräch zu beginnen.
„Mein Name
ist Finn. Amon Finn,“ begann er.
Sie blickte
ihn an, und erst jetzt fiel ihm auf, dass sie schwarze Augen hatte.
Pechschwarz. Es war als ob man durch diese Augen die dunkelsten Abgründe des
Universums sehen könnte.
„Ich bin
Annika“, sagte sie und hielt ihn mit ihren Augen gefangen.
„Was tun
Sie hier um diese Zeit und so ganz allein ?“
Ein
rätselhaftes Lächeln spielte um ihren Mund.
„Ich bin
nicht so allein wie Sie denken, aber ich bin sehr allein.“
Finn
zündete sich eine Zigarette an. „Sie auch ?“
Sie
lächelte. „Geben Sie sich dem nur hin, solange Sie noch können.“
„Ich bin
erst 36, ich kann noch lange,“ meinte er.
Sie wandte
sich ab und sagte: „Bleiben Sie bitte nicht hier. Es könnte Ihre letzte
Zigarette sein…“!
„Wie ?“
fragte er. „Hm, vielleicht möchten Sie auf einen Kaffee mit zu mir kommen ?“
Ein sehnsüchtiges
Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. „Das möchten Sie ?“
„Natürlich,
ist doch besser als auf dem Friedhof rumzuhängen, oder ?“
Zusammen
gingen sie zu seiner Wohnung, ohne ein Wort zu wechseln. Er hielt ihr die Tür
auf und sie ging hinein.
Nachdem er
die Wohnungstür geschlossen hatte, stand er ihr plötzlich gegenüber. Er spürte
ihre weichen Lippen auf den seinen, ließ sich vollkommen gehen ……..
Seine
Leiche wurde am nächsten Tag gefunden. Mit einer Zigarette zwischen den Lippen.
Er wurde auf dem alten Friedhof beerdigt, der so oft seine Abkürzung war. Und
er ist nicht mehr allein.
Nie mehr !!

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 24.06.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Weil ich das Verschwenderische des Lebens begriffen habe, die Extreme erkannte und über den Weg von einem zum anderen nachzudenken anfing, weil ich verstand wie elend es ist, wußte ich auch, wie schön es ist und weil ich erkannte, wie ernst es auch ist wußte ich auch wie fröhlich es ist.

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