Horst Dreizler

Wolfszeit

In einer Zeit, als man in den Bächen der Gebirge noch Gold fand und die Frauen ihre Kinder bis zum dritten Lebensjahr stillten, gab es in einem Seitental der Maar am östlichen Gebirgsrand das Dorf Volp
Die Menschen des Dorfes fanden ihr Auskommen als Bergbauern, sie hielten Hornvieh und verkauften Milch, Butter und Käse in die Südprovinzen.
Es waren freundliche Leute, die hart arbeiteten , aber viel lachten, eine gute Dorfgemeinschaft pflegten und sich umeinander kümmerten. Keiner von ihnen war reich, es gab aber auch keine Armut.
Durchreisende Fremde wurden selbstlos verköstigt, es galt das Gesetz der Gastfreundschaft.
Über dem Marktplatzbrunnen stand, mit bunten Steinen eingelegt:
...........>>Eine Gemeinschaft ist so stark, wie ihr schwächstes Glied schwach ist<<.............
Das schwächste Glied in diesem Dorf war Franje.
Franje verdingte sich schon vor Jahren auf einem Hof als Knecht, er kam irgendwo aus dem Süden.
Die tägliche harte Arbeit war aber nicht sein Ding, schon bald gab er sich hemmungslos dem Branntwein hin und stieg allem nach, was Röcke anhatte.
Die Dörfler übten Nachsicht , er gelobte Besserung, aber schon bald lag er wieder morgens betrunken in seiner Kammer und schnarchte, als alle anderen ihr Tagwerk verrichteten.
Dies ging etliche Jahre so und die Menschen gewöhnten sich daran, Franje mitzuversorgen, ihnen ging es gut, Franje ging es gut, die Dorfgemeinschaft funktionierte.

Eines Tages brach in den Nachbartälern eine Tierseuche aus , das Dorf Volp wurde nur wenig davon betroffen, allerdings gingen die Einnahmen etwas zurück.
Als an diesem Morgen Franjes schnarchen aus dem offenen Kammerfenster drang, gab es die ersten bösen Stimmen.

"Warum müssen wir den mitschleppen"......und......"wenn er wegwäre, ginge es uns besser".

Andere widersprachen: "Denkt an unseren Wahlspruch, er ist unser schwächstes Glied, uns geht es
immer noch gut."
Doch wie das so ist, Neid ,Missgunst und Habgier , eine tödliche Mischung, überwogen und sie
weckten Franje und hiessen ihn, das Dorf zu verlassen.
Franje, ganz auf das gute Leben eingestellt, weigerte sich natürlich und so banden sie ihn auf einen Ochsenkarren und schafften ihn Richtung Grenze.
Dass der Ochsenkarren dann auf einem abschüssigen Bergpfad ins rutschen kam und in eine Schlucht stürzte, bedauerten alle. Die Kutscher konnte noch abspringen, für Franje, auf den Wagen gefesselt, gab es keine Rettung.
Das Leben im Dorf nahm seinen gewohnten Gang , anfangs vermisste man das morgendliche schnarchen aus dem offenen Kammerfenster, aber das gab sich bald.
Eines morgens war dann auch der Spruch über dem Marktplatzbrunnen verschwunden.
Diebe von ausserhalb, Durchreisende, sollen die bunte Steine nachts geraubt haben, manche sprachen
von Zigeunern, gesehen hatte niemand etwas.

Das Leben ging weiter, alles war so wie immer und trotzdem......der Wind vom Ostgebirge, so schien es,
pfiff kälter durch die Gassen.
Kurze Zeit später brach sich die Kuh einer Frau , die ihren Mann das Jahr zuvor in einer Lawine verloren hatte, das Bein und musste notgeschlachtet werden. Die finanzielle Lebensgrundlage war weg und die gemeinschaftliche Hilfe, die früher selbstverständlich war, wurde jetzt diskutiert.
Wieder setzten sich die Habgierigen durch, deren Zahl immer grösser wurde und die Frau und ihre fünf
Kinder mussten das Dorf verlassen, denn sie wollten ihr nicht helfen, aber verhungern sehen wollten sie die Familie auch nicht.. Es gab noch weitere solcher "Radikallösungen" in den folgenden Monaten und Jahren, Fremde waren nur noch mit viel Geld willkommen, jeder schaute nach sich selbst, die Gemeinschaft des Dorfes löste sich mehr und mehr auf, die Gemüter und Gesichter wurden härter, die Lippen schmaler und verkniffener und wenn die Menschen doch den Mund öffneten, um jemanden des Dorfes zu verweisen, so meinte man dolchartige, kräftige Eckzähne zu sehen und das sprechen klang wie ein knurren .

Die Dorfmenschen wurden durch ihren Sinneswandel nicht reicher, nicht glücklicher, nein, ..die Unzufriedenheit wuchs und die Angst des einzelnen, zu versagen, ausgestossen zu werden, unterzugehen.
Sie zogen sich zurück in ihre Häuser, jeder für sich und schlossen die Türen und Fenster, sie setzten
sich vor ihre lodernden Kamine mitten im Sommer , denn es war ihnen kalt.
Es wuchsen ihnen Haare am ganzen Körper und des nachts, wenn man durch die dunklen Gassen ging,
hörte man sie heulen.............Wolfszeit, sie hatte begonnen.......

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 25.06.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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