Silvia Pree

Alina

 
Kurt saß in seinem bequemen Stuhl.
Die Füße von sich gestreckt.
Neben sich eine Flasche Bier.
Er starrte auf den Boden.
Wortlos.
Sein Gesicht war grau.
Seine ganze Haltung drückte Schmerz aus.
Nicht körperlichen Schmerz.
Nach vorn gebeugt wirkte er fast wie ein alter Mann.
An der Tür läutete es.
Bewegung kam in den hageren Körper.
Kurt sah auf die Uhr.
Dann verlor sich sein Blick wieder im Nichts.
Stimmengemurmel hinter der Tür.
Jemand klopfte.
 
Kurt?
Kurt, bist du da?
Möchtest du uns nicht öffnen?
Dumpf tönte die Männerstimme hinter der Tür.
Kurt reagierte nicht.
Fünf Minuten später war es wieder ruhig.
Kurt nahm einen Schluck vom Bier.
Es schmeckte ihm nicht.
Aber er trank trotzdem.
Um einfach irgendwas zu tun.
Ein paar Tränen schossen ihm aus den Augen.
Plötzlich tauchte wieder Alinas Bild vor ihm auf.
Alina…
 
Spät in der Nach war er unterwegs gewesen.
Ein Freund hatte ihn einen Häuserblock entfernt von der Wohnung abgesetzt.
Er hatte einiges getrunken.
Und war ziemlich müde.
Aus dem Nichts war plötzlich dieses Mädchen aufgetaucht.
Langes dunkles Haar.
Intensiv grüne Augen.
Sie hatte ihm zugezwinkert.
Und ihm ans Hemd gefasst.
Eine eindeutige Situation.
Spontan hatte er sie mitgenommen.
In seine Wohnung.
Dort stellte er nicht nur fest, dass sie höchstens zwanzig war.
Es fehlten ihr auch drei Zähne im vorderen Gebiss.
Unfall mit Fahrrad.
Alina zuckte mit den Achseln.
Ihr Lächeln wirkte fast scheu.
Sie sprach nur gebrochen deutsch.
War sie nicht aus Polen?
 
Kein Geld.
Keine Arbeit.
Wer stellt jemanden mit so einer Zahnlücke ein?
Sie war erst zwei Jahre in Österreich…
Ganz allein.
Zuerst ließ er sie ein Bad nehmen.
Zuviel Schmutz!.
Kurts Augen leuchteten kurz in der Erinnerung.
Als er das Mädchen abtrocknete.
Bewunderte die makellose weiße Haut.
Schließlich schlief er mit ihr.
Ein seltsames Gefühl.
Eine so begehrenswerte junge Frau schlief mit ihm!
Dem langweiligen Kurt!
Lachte ihn an mit ihrer Zahnlücke.
Starrte auf das reichliche Frühstück.
Als wäre Weihnachten.
Er gab ihr kein Geld.
Er ließ sie lieber bei sich wohnen.
Und noch am selben Abend beschloss er ihr zu helfen.
 
Zuerst hatte sie ihn noch ungläubig angestarrt.
Neue  Zähne?
In Tschechei?
Ihr gebrochenes Deutsch war wirklich süß.
Ihre leuchtenden Augen ließen ihn sich größer fühlen.
Stärker.
Besser.
Bedeutender.
Edel.
Zwei Wochen später brachte er sie zum Bahnhof.
Mit mehr als zweitausend Euro.
Seinen Ersparnissen.
Einer Adresse und einer Telefonnummer von einer Zahnklinik in der Tschechei.
Ruf an, wenn du dort bist.
Kurt drückte Alina ein Handy in die Hand.
Alina strahlte ihn an.
Unschuldige Augen wie ein Kind unter dem Weihnachtsbaum!
Bei der Heimfahrt hatte er sich gut gefühlt.
Gut wie  schon eine ganze Zeit nicht.
Sein Leben hatte wieder Sinn.
Das erste Mal seit der Trennung von Monika.
Endlich ein Mädchen, das ihn anbetete.
Glücklich, dass jemand gut zu ihm war.
Unglaublich viel mitgemacht.
Und dankbar für jedes gute Wort.
Für seine Liebe…
 
Drei Wochen später kam sie zurück.
Ein neuer Mensch.
Mit neuen Zähnen.
Selbstbewusst.
Glücklich.
Und noch viel dankbarer, als er erwartet hatte.
Endlich ging er wieder unter Leute.
Denn er hatte etwas herzuzeigen.
Eine wunderschöne Freundin.
Hinter der sich die Leute umdrehten.
Plötzlich war er jemand…!
Nicht länger der unscheinbare Mann.
Nicht länger allein…
Über zwei Monate war er mit ihr beisammen.
Alles schien so perfekt.
Bis zu diesem Nachmittag als sie bummeln waren.
Spaßhalber in ein Reisebüro gingen.
Lanzarotte!
Kurt ließ sich ein Angebot machen.
Aber nur so.
Er hatte kein Geld.
Sein Konto war überzogen.
Es kostete Geld, Alina zu verwöhnen…
 
Alina hatte zuerst aufgestampft.
So kannte er sie gar nicht.
Nie zuvor hatte er ihr einen Wunsch abgeschlagen.
Und irgendwie war sie danach anders.
Im Bett merkte er es am deutlichsten.
Sie wirkte kalt…
Eine Woche  später kam er von der Arbeit heim.
Alina war weg.
Ihre Kleider.
Ihr Schmuck.
Ihr Handy.
Und auch seines.
Auf dem Tisch lag ein Zettel.
Du nix Geld…
Alina war doch nur ein Luder gewesen.
Er erinnerte sich an ihr erstes Zusammentreffen.
Sie hätte sich an ihn verkauft.
Wie an andere zuvor.
Und im Grunde war es ihr nur um sein Geld gegangen.
Ohne Geld war er ihr egal…
 
Kurt stand auf.
Er fror.
Trat zum Fenster.
Blickte in die Nacht hinaus.
Dann ließ er das Rollo hinunter.
Nein.
So konnte er sich nicht mehr vor seinen Freunden blicken lassen.
Nie mehr.
Diese Blamage!
Er spürte die Häme förmlich.
Und das Gelächter.
Er konnte diese Schadenfreude nicht ertragen…
Kurt presste die Lippen aufeinander.
Niemals.
Er ließ sich nicht auslachen!
Alina war weg.
Und er war wieder der Durchschnittsmann.
Den keiner ernst nahm…!
 
 
Vivienne

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Silvia Pree).
Der Beitrag wurde von Silvia Pree auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 26.06.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Die Autorin:

  Silvia Pree als Lieblingsautorin markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Philosophisch gedacht - Philosophisches Gedicht: Eine poetisch philosophische Gedankenreise von Maik Schülken



Der Gedichtband Philosophisch Gedacht - Philosophisches Gedicht von Maik Schülken entführt Sie auf eine poetisch philosophische Gedankenreise.

Poesie trifft Philosophie, Psychologie und Idiotie ;-)

32 Lieblingsgedichte aus unterschiedlichen kreativen Schaffensphasen.
Ein ideales Geschenk für Menschen, die sich mit dem menschlichen Miteinander und der menschlichen Selbstreflektion beschäftigen. Ebenso ein tolles Präsent für Sinn- und Glückssucher.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (4)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Einfach so zum Lesen und Nachdenken" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Silvia Pree

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Zu Liebe nicht fähig von Silvia Pree (Wahre Geschichten)
Alle deine Freunde... von Carrie Winter (Einfach so zum Lesen und Nachdenken)
Nacht am Meer von Rainer Tiemann (Leidenschaft)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen