Manfred Bieschke-Behm

AUS MEINER BIOGRAFIE: Mozart und der Schlafanzugknopf

 

 

Anfang der 60-Jahre. In dieser Zeit sah die schwarz-weiße Fernsehwelt bei uns zu Hause anders aus, als unter der Woche. Waren die Eltern der Meinung, dass das Fernsehangebot – zur Erinnerung: Es gab nur zwei Programme: ARD und DDR -  also, waren die Eltern der Meinung, dass das Programm auch etwas für meine drei Jahre jüngere Schwester und mich sein könnte, saßen wir zu viert aufrecht in den Ehebetten und konsumierten das was der Fernseher hergab.
An jenem Samstagabend wurde Mozarts Oper „Die Zauberflöte“ gezeigt. Vom Inhalt her verstand zumindest ich nicht viel um nicht zu sagen gar nichts. Meiner Schwester ging es ähnlich. Sie zog es vor zu schlafen.
Ab und zu kam bei mir, trotzt schöner Musik und Gesang Langeweile auf. Um Ermüdungserscheinungen zu überbrücken beschäftigten sich meine Hände mit den Knöpfen an meiner Schlafanzugjacke.
 Ich drehte solang an dem von mir favorisierten Knopf, bis dieser schließlich abgedreht war und in meiner Hand lag.
"Wohin jetzt mit dem Knopf?", schoss es mir siedend heiß durch den Kopf. Den Knopf meiner Mutter zu geben, die mit zwei Kopfkissen im Rücken und Lockenwickler im Haar ausgestreckt neben mir lag und andächtig den Opernverlauf betrachtete, hielt ich für unklug. Es bestand die Möglichkeit, das sie mit mir schimpft und mich gegen meinen Willen in mein Bett geschickt hätte. Damit wäre mein Fernsehabend zu Ende gewesen bevor der letzte Vorhang gefallen wäre.
Mein Schlafanzug hatte keine Taschen. Die Möglichkeit, den Knopf dort hinein verschwinden zu lassen, ergab sich nicht. Also musste ich mir etwas anderes einfallen lassen.
In der Hand behalten konnte ich den Knopf auf keinen Fall. Irgendwann wäre das aufgefallen und hätte Konsequenzen. Das Risiko war mir zu groß.
 Um den Knopf unauffällig verschwinden zu lassen, schien mir als einzig sinnvoller Aufbewahrungsort meine Nase.
Gedacht getan!
 Und nun?
Der Knopf war versorgt, was mich innerlich beruhigte aber gleich danach in einen leichten Angstzustand versetzte. Ich musste die Erfahrung machen, dass der kleine Schlafanzugknopf immerhin so groß war, dass er mein linkes Nasenloch vollständig ausfüllte. Atmen durch ein knopfbestücktes Nasenloch erwies sich als schwierig. Mir wurde schnell klar, dass ein Knopf in einem Nasenloch nichts zu suchen hatte.
Alle mir einfallenden Möglichkeiten den Knopf zu entfernen scheiterten. Durch mein unprofessionelles Hantieren bewegte sich der Knopf nicht in die gewünschte Richtung. Ganz im Gegenteil!
Ich fing an zu schwitzen. Ich konnte dem Geschehen auf dem Bildschirm nicht mehr folgen. Mozarts Musik schaffte es nicht, mich zu besänftigen.
 
Ich überlegte krampfhaftwelche Möglichkeiten ich noch habe mich den Knopf los zu werden.
Ich überlegte mir Plan A.
Plan A sah vor, mich kräftig auszuschnauben. Spontanes ausschnauben war aber nicht möglich, denn ich hatte für den Kraftakt kein Taschentuch. Um ein Tuch zu bitten, hielt ich für zu riskant. Wieso sollte ich plötzlich ein Taschentuch benötigen? Der Inhalt der Oper schien mir nicht traurig genug, als das ich hätte heulen müssen und um eine plötzliche Erkältung vorzutäuschen, fehlte mir die Erfahrung.
Deshalb beschloss ich, Plan B anzuwenden.
Plan B sah vor, den Knopf einfach nach oben zu ziehen.
Ich wusste zwar nicht was mit mir und dem Knopf passieren würde, aber das war mir für den Moment egal. Ich verfolgte nur ein Ziel: Der Knopf darf nicht länger mein Leben bestimmen.
 
Gerade als Sarastro die Arie „In diesen heil´gen Hallen“ sang, geschah das große Wunder: Der Knopf war raus aus meinem Nasenloch und befand sich, wie von Zauberhand geleitet, in meinem Mund.
Sensationell!
Ich hatte meinen Knopf auf wundersame Weise zurück.
 
Aber nun stand ich erneut vor dem Problem: Wohin mit dem Knopf?
Nicht lange darüber nachdenkend schob ich ihn einfach in den Zwischenraum der zwei Matratzen. Ich bildete mir ein, dass er dort nicht so schnell entdeckt werden würde.
Sollte mich meine Mutter irgendwann auf den abgedrehten Schlafanzugknopf ansprechen, werde ich den Ahnungslosen markieren.
 
Zwei Dinge habe ich durch "Die Zauberflöte" gelernt:
Erstens: Die Nase ist kein optimaler Aufbewahrungsort für einen Knopf.
Zweitens: Es gibt eine für mich bisher unbekannte Verbindung zwischen Nase und Rachenraum.
 
Immer, wenn ich heute Mozarts Arie "„In diesen heil´gen Hallen“ " höre, denke ich an den abgedrehten Schlafanzugknopf in meiner Nase.
 
Mozart mit Langzeitwirkung! 
 

"Mozart und der Knopf" ist eine Geschichte die mir über Jahre im Kopf haften blieb, bis ich sie endlich aufgeschrieben hatte. Schon während des Aufschreibens wurde mir wieder klar mit wie viel Angst vor Bestrafung meine Kinder- und Jugendjahre behaftet waren. Glücklicherweise sind die Zeiten der Bedrohung vorbei und ich kann heute mit Abstand auch über die „Knopfgeschichte“ lächeln. Manfred Bieschke-Behm, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 26.06.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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