Ulrike M. Dierkes

Griechenland oder Gedankenreise

Alles auf diesem Schreibtisch zeugte von Chaos. Ansichtskarten von Freunden. Notizzettel mit Recherchen, Skizzen. Martina ließ unsanft ihre Kamera, Notizblock und Stifte auf dieses angehäufte aufgetürmte Chaos gleiten. Sie hatte noch einen Termin. Eine Lokalgeschichte. Studententreffen. Würde wieder weit nach Mitternacht werden, sie würde den Artikel noch in der Nacht schreiben.
Ihr Blick fiel auf den Brief von Helene und Jürgen, der zwischen den Zetteln herauslugte. Sie waren nach Griechenland gegangen, schrieben von ihrem Haus auf Kreta in der Hafenstadt Chania, schwärmten vom griechischen Alltag, der Freundlichkeit der Griechen. Es klang sehr glücklich. Sie luden sie ein zu kommen und so lange zu bleiben, wie sie wolle. Sie hatte sofort darauf geantwortet, Weihnachten könnte es klappen. War ein paar Wochen her.
Das wär's! Einfach abtauchen ... Warum eigentlich nicht? Wer oder was hielt sie eigentlich? Martina ging in die Küche. Ihr Magen hing am Boden, weil sie nicht zum Essen gekommen war oder sich nie die Zeit dazu nahm oder es ihr einfach alleine nicht schmeckte. Der Kühlschrank gähnte wie üblich vor Leere ... Sie hatte mal wieder vergessen, einzukaufen. Kein Geld. Sicher würde sie etwas bekommen, irgendeiner bot ihr immer etwas an. Sollte einer sagen, ihr Job würde sie nicht ernähren, Schreiben sei eine brotlose Kunst. Es war dunkel, als sie die Wohnung wieder verließ. Es war September. Der Spätsommer kündete seinen Abschied an. Es wurde abends früher dunkel und kühler.
"Nach Griechenland?" fragte Martina. "Toll! Da will ich auch hin, habe dort Freunde, die ein Haus auf Kreta haben!" "Wenn Du willst, kannst Du mit mir mitfahren!" sagte Metternich, als sei es selbstverständlich, als habe er nur auf sie gewartet, "brauche ich nicht alleine reisen!" "Sag das nicht noch mal, sonst nehme ich Dich beim Wort" erwiderte Martina ... "Wann und wie fährst Du denn?"
"Was?! Ach sooo. Ich dachte an Weihnachten ..." "Morgen. Zwölf Uhr. Wenn Du mitfahren willst, musst Du Dich entscheiden. Und eine Bedingung: Nur das Nötigste!! Nur ein Gepäckstück!! Alles Überflüssige bleibt am Straßenrand stehen!". Martina verließ weit nach Mitternach das Treffen. Nachdenklich. Klang verlockend. So schnell würde sie nie wieder nach Griechenland kommen. Sie hatte genau bis zum Aufwachen Zeit, eine Entscheidung zu treffen. Eigentlich hatte sie sie längst getroffen. Am nächsten Mittag stand sie mit dem nötigsten Gepäck wartend auf Metternich am Marktplatz. Er kam tatsächlich. In seiner grünen Ente. Und los ging die Fahrt. Sie hatte sich nicht mal verabschiedet. Von niemandem. Sie würde ja wiederkommen.
Die Fahrt ging über Frankreich und über Italien bis Ancona. Von dort aus mit der Fähre rüber nach Athen und von dort aus direkt nach Kreta. Am frühen Morgen gingen sie von Bord der Fähre. Chania lag noch im Schlaf. Nur Hafenarbeiter hatten ihre Arbeit aufgenommen. Metternich war inzwischen sauer, weil Martina ihn im Laufe der Annäherung an Kreta darüber in Kenntnis gesetzt hatte, dass sie weder wisse, wo Helene und Jürgen definitv lebten, da ihre Post stets postlagernd nach Griechenland gegangen war und soweit Martina wusste, holte Jürgen diese einmal in der Woche vom Hauptpostamt ab, sie konnten nicht ahnen, dass sie in Griechenland war.
"Was willst Du denn jetzt machen?" schimpfte er laut vor sich hin, "Chania ist eine große Stadt. Die findest Du nie! Mit mir kannst Du nicht weiterreisen!!" ... Sie nahmen Platz in einem Hafencafé. Bestellten sich erstmal einen griechischen Kaffee. Martina war nachdenklich, ruhig. Ihr Optimismus sagte ihr, dass sich alles fügen würde. Inzwischen war die Sonne aufgegangen, der Hafen hatte sich mit jeder fortschreitenden Tagesstunde mit Leben gefüllt. Sie merkte, dass Chania eine lebendige Hafenstadt, Zentrum Kretas war. Wie ihr Blick an der Hafenmauer entlang streifte, sah sie einen Angler am Kai sitzen. Er saß da, ließ die Beine unter hochgekrempelten Blue Jeans ins Wasser baumeln und hielt die Angel ins Meer. Martina ließ ihn nicht mehr aus den Augen. "Du, warte mal..." sagte sie zu Metternich, "ich muss mir mal den Typ da auf der Hafenmauer anschauen, bin gleich wieder da".
Sie spazierte langsam an der Mauer auf den Mann zu. Als sie sich ihm auf wenige Schritte genähert hatte, schaute er mehr zufällig hoch. Sie sah einen schlanken, braungebrannten, dunkelhaarigen, bärtigen Typ. Ihre blauen Augen trafen sich. Irritiert. Dann folgte ein Moment des Erkennens, als kennen sie sich. Plötzlich sprang der Mann auf, ließ seine Angel fallen und fiel ihr in die Arme:"Bist Du es wirklich?? Du bist es wirklich!!"... Während sie sich in die Arme fielen und er sie Willkommen hieß, sie ihrer Wiedersehensfreude Ausdruck verliehen, war Metternich herangekommen, stand ungläubig da, als verstehe er nicht, was hier geschehe, "Helene wird sich freuen!! Komm, wir gehen gleich zu ihr. Wir wohnen gar nicht weit weg ..."
Helene und Jürgen hießen auch Metternich herzlich willkommen. Der hatte es aber eilig, trank noch einen Kaffee und setzte seine Reise fort. Sie einigten sich, dass er in vier Wochen wieder kommen und Martina wieder mit heim nehmen würde. "Hast Du unseren Brief bekommen?" fragte Jürgen ungläubig ... "So schnell geht das doch nicht!" Martina sah ihn ungläubig an: "Brief? Welchen Brief?". "Wir hatten Dir erst letzte Woche geschrieben, dass Du nicht erst bis Weihnachten warten musst, sondern auch gleich kommen kannst!". Es wurden wunderbare vier Wochen. Sie boten Martina an, für immer zu bleiben. Doch irgendetwas zog sie zurück. Sicherlich nicht dieses Provinztagesblatt. Als sie wieder zurück kam, fiel der Brief von Jürgen und Helene aus dem Briefkasten. Darin stand tatsächlich geschrieben: "Du musst nicht erst bis Weihnachten warten, komm doch sofort!!"
Das hatte sie getan!!


(Ulrike M. Dierkes)


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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 27.06.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Lebenseindrücke: Gedichte von Annette Messerschmidt



Die Autorin, geboren 1960, wohnt im Dreiländereck Nordrhein-Westfalen/Hessen/Rheinland-Pfalz. Erst spät hat sie ihr Talent zum Dichten entdeckt und ihre Gedanken und Erfahrungen zusammengetragen. So entstand eine Gedichtsammlung, an der die Autorin gerne andere Menschen teilhaben lassen möchte, und daher wurde der vorliegende Band zusammengestellt.

Das Leben ist zu kurz, um es mit Nichtigkeiten zu vergeuden oder um sich über die Schlechtigkeit der Welt allzu viele Gedanken zu machen. Wichtig ist, dass man sich selbst nicht vergiften lässt und so lebt, dass man jederzeit in den Spiegel schauen kann.

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