Michael Böhme

Das schnelle Geld - eine unendliche Geschichte

Geld ist wie Energie; es ist nicht weg, sondern nur immer woanders. So sagen es Leute, die es wissen müssen. Wenn aber nun Geld gebraucht wird, das gerade nicht vorhanden ist, dann geht der Normalbürger zu seiner Hausbank und bekommt vielleicht das benötigte Geld. Er hat noch eine andere Möglichkeit; er verkauft ein Stück seines Grundstückes. Und nach einer schier unendlich langen Zeit bekommt er das Geld — nur dann braucht er es nicht mehr.
»Die Ausdauer nicht zu verlieren, auch wenn es unmöglich scheint, das ist Geduld«, lehrt uns ein japanischer Meister, der uns jedoch in diesem vorliegenden Fall nicht viel hilft.

Vor langer Zeit habe ich ein Stück Land verkauft. Ein ganz legitimer Vorgang, denn so ein Landverkauf ist keine komplizierte Angelegenheit. Aber wie ich erfahren musste, ist es doch nicht so einfach, wie es aussieht. Drehen wir die Zeit zurück. Wir befinden uns im Winter vor zwei Jahren.
Ein Nachbar, der eine Erweiterung seines Geschäftes plante, kam auf mich zu und fragte mich, ob er ein kleines Stück meines Grundstückes erwerben könne. Da ich dieses besagte Stückchen Land nie benutzen würde, sagte ich zu. Außerdem war der ausgehandelte Preis vollkommen in Ordnung, was meine Entscheidung noch um ein Vielfaches erleichterte.
»Dann sollten wir die Angelegenheit hinter uns bringen«, sagte mein Nachbar freundlich in Hinblick auf einen baldigen Beginn seiner Geschäftserweiterung.
Also trafen wir uns bei einem Notar in der großen Stadt. »Das ist der beste Notar, den wir für Geld bekommen können!«, rief mein Nachbar mir mit erhobenem Zeigefinger freudig entgegen.
»Na, dann mal los ...«, erwiderte ich etwas unsicher, denn so ein Geschäft hatte ich zu diesem Zeitpunkt noch nie abgewickelt. Wir trafen uns am Abend in Flensburg bei dem besten Notar, den wir bekommen konnten.
Rasch wurde der Vertrag in allen Einzelheiten vorgelesen und die Summe, die ich bekommen sollte, würde auf einem Treuhandkonto, bis die letzten und kleinen Formalitäten abgewickelt wären, sicher und gewinnbringend verwahrt werden. Nun, daran hatte ich keinerlei Zweifel, denn mein Nachbar ist äußerst seriös.
Zweifel hatte ich allerdings in der Abwicklung der kleinen Formalitäten. Denn es handelte sich hier um Behörden. Ich gebe es offen zu: Ich mag keinerlei Behörden. Meine Erfahrungen, die ich mit den Kommunalbediensteten und deren Dienststellen machen musste, waren alles andere als gut. Die Tatsache, dass die Bediensteten für uns Bürger eine Hilfe sein sollen – nun das ist in manchem Büro scheinbar völlig unbekannt. Man war sich in den Amtsstuben, die ich aufsuchte, um einen Lastenzuschuss zu beantragen, sicher, dass meine Frau und ich von dem Lehrlingsgehalt meiner Tochter leben würden. Ebenso sicher war sich der Bedienstete, der das alleinige Entscheidungsrecht über ›stattgegeben‹ oder ›abgelehnt‹ innezuhaben schien, dass der Lehrlingslohn einer Friseurin im ersten Lehrjahr ausreichen würde, einen Drei-Personenhaushalt zu finanzieren. Auch die Tatsache, dass unsere Tochter nur noch ihren Hauptwohnsitz bei uns hatte, konnte die Angelegenheit für uns entscheiden. So galt der Antrag auch nach einer schier endlos scheinenden Zeit der Überprüfung als »Abgelehnt«. Er hatte sichtlich mit sich kämpfen müssen um ein »Abgelehnt« über seine Lippen zu bringen.
»Haben sie mir zugehört?«, riss mich der beste Notar, den wir bekommen konnten, aus meinen Gedanken.
»Wie? … ja natürlich.«, log ich, denn ich überlegte mir, wann ich wohl das Geld, das ich bekommen sollte, auf meinem Konto haben würde.
Da ich es nicht wusste, griff ich auf den Erfahrungsschatz des besten Notars, den wir bekommen konnten, zurück.
»Das ist nur eine Formalität«, sagte er. »Zunächst wird das Land neu vermessen und weil es sich um ein Teilstück handelt, bekommt es eine neue Nummer und wird noch in das Grundbuch eingetragen. Wenn das gemacht ist, muss der Käufer noch die Eintragungen bezahlen und schon ist alles erledigt. Ich bekomme dann die Ausfertigung von Grundbuchamt und schon haben sie ihr Geld. In Deutschland geht alles seinen geregelten Gang.«
»Wenn das so ist, dann wird es sicher relativ zügig vorangehen«, dachte ich damals – vor langer Zeit.
Nach einer Zeitspanne von zwei Monaten dachte ich mir, ich sollte vielleicht einmal nachfragen, wie weit die Sache gediehen ist. Schließlich wollte ich auch irgendwann einmal im Besitz meines Geldes kommen. Im Augenblick fühlte ich mich ein wenig wie der legendäre Robinson Crusoe, der auf seiner Insel eine Schatztruhe findet und sie nicht nutzen kann.
Also versuchte ich nachzufragen, was allerdings völlig fehl am Platze war. Alles läuft in Deutschland seinen Gang. »Waren die Leute vom Vermessungsbüro denn schon da?«, fragte das Fräulein in der Notariatskanzlei.
Ich wusste es nicht und ließ mir die Firma geben, die den Auftrag erhalten hatte. Um die Sache zu beschleunigen, hatte der beste Notar, den wir bekommen konnten, eine Privatfirma engagiert, weil er die völlige Überlastung des Katasteramtes zu kennen schien. Also hatte ich wenig später die Angestellte der Firma ›Dunst und Milbe‹ am Telefon.
»Vermessen? Ja richtig. Wir waren da. Aber der Kollege, der vor Ort war, ist nicht im Hause. Ich schaue eben mal nach, wo sich die Akte befindet.«
Lange Zeit hörte ich nichts. Dann wieder diese nette und freundliche Stimme: »Hallo? Hören sie? Die Akte ist bereits zum Katasteramt in die Kreisstadt geschickt worden. Ich denke, da müsste sie jetzt sein. Vielleicht rufen sie da einmal an.«
Ich bedankte mich und rief in meiner Kreisstadt beim Katasteramt an. Nachdem es unendlich lange klingelte, weil man in den Behörden umgekehrt proportional Dienst versieht, meldete sich eine gestresste Männerstimme.
»Katasteramt Raster, wohin darf ich sie durchstellen?«
Woher sollte ich wissen, wer und wann meine Akte bearbeiten würde? Ich erzählte ihm meine Geschichte. Er verlangte noch einige Details und überlegte lange.
»Eine Nummer haben sie nicht zufällig für mich?«, fragte er mich am Ende seiner nachdenklichen Ruhephase.
Da fiel mir ein, dass die freundliche Mitarbeiterin im Vermessungsbüro mir ein Aktenzeichen nannte. Das war wie das Passwort eines Computers. Plötzlich fand der Angestellte im Katasteramt meinen ›Eingang‹ und was mich sehr freute, er kannte sogar den Mitarbeiter, der die Akte bearbeite. »Das ist Herr Müller«, sagte er entschlossen und stellte ohne zu zögern durch.
Nach einer Zeit meldete sich Herr Müller, der auch sehr viel zu tun hatte. Ich fragte ihn frei heraus, wie lange es noch dauern würde, bis diese Berechnungen und Zeichnungen nebst Zuordnung einer Unternummer eingetragen sein würden.
»Wann haben sie das Land Vermessen lassen?«
»Vor acht Wochen ungefähr.«
»Länger nicht?«
»Wie … Länger nicht.«
»Na ich denke, ich schau mal nach wann wir den Vorgang bekommen haben. Ja, da ist er ja.« Die Stimme klang freudig, wie die eines Menschen, der etwas gefunden hat, wonach er sein halbes Leben gesucht hatte. »Also, das wird ungefähr noch zwei bis drei Wochen dauern.«
»Warum?«
»Wie… Warum!«
»Das bisschen Zeichnen und neu benennen kann doch nicht so lange dauern.«
»Wissen sie eigentlich, was wir hier alles zu tun haben? Eine Flut von Anträgen und Änderungen kommt auf uns zu, ganz zu schweigen von den vielen Außenaufträgen, die wir zu erledigen haben. Da ist es nicht verwunderlich, dass es so lange dauert. Schließlich sind wir hier im Katasteramt, da geht alles seinen genauen Weg. Aber…«, sagte er und machte eine bedenklich lange Pause. »Es gibt da einen Weg, die Sache zu beschleunigen. Sie stellen einen Antrag auf Vorziehung ihres Antrages.«
Das war eine gute Idee, wie ich meinte. Sogleich, um keine Zeit zu verlieren, stellte ich formell und verbal den Antrag auf Vorziehung.
»Halt! Nicht so eilig. So geht das nicht. Sie können nicht den Antrag direkt an das Katasteramt stellen. Dann würde ja jeder einen Antrag auf Vorziehung stellen und wir wären wieder da, wo wir jetzt sind.«
»Also was muss ich machen?«, fragte ich langsam die Geduld verlierend. Mir fiel wieder der alte japanische Meister ein, der mir auch jetzt nicht helfen konnte.
»So einen Antrag kann nur das Vermessungsbüro stellen, das die Vermessung durchgeführt hat.«
»Und wie viel Zeitersparnis habe ich dann?«
»Ich verstehe ihre Frage nicht.«
»Ich habe nichts gefragt. Ich beauftrage also die Firma ›Dunst und Milbe‹ einen Antrag auf Vorziehung zu stellen. Wann würden sie dann fertig sein?«
»Ganz genau so wird es gehen. Die Dauer des Verfahrens? – nun, das richtet sich nach dem derzeitigen Aufkommen. Aber ich denke in drei bis vier Wochen wird das Ganze vergessen sein.«
»Gestatten sie mir noch eine letzte Frage: Und wie viel Zeit würden sie ohne Vorziehung benötigen?«
»Ich kann das nicht genau sagen, aber ich denke ungefähr einen Monat.«
»Na, dann besten Dank!«, sagte ich laut und legte auf.
Gleich darauf rief ich die freundliche Sekretärin im Vermessungsbüro an und bat sie, für mich einen Antrag auf Vorziehung zu stellen. Mit einem netten »Ja, machen wir« war der Antrag gestellt. Ich wollte nichts unversucht lassen, um doch noch in der nächsten Zukunft das langersehnte Geld in den Händen zu halten.
Ich fragte noch einmal in der Kanzlei des besten Notars, den wir bekommen konnten, wie lange es noch dauern würde – inzwischen waren drei Monate vergangen. Wir waren beim Richtfest meines Nachbarn, der uns hervorragend beköstigte und eine Lärmschutzwand, die wir nicht wollten, hatte man uns von Amtswegen auch verordnet. Nun schauen wir auf eine Holzwand, die uns immerhin – von Amtswegen – gegen den Lärm schützt. Bevor die Behörden sich unseres Gehörschutzes annahmen, hielt es auch keiner für nötig, eine Lärmschutzwand zu installieren. Der Lärm hat seither auch nicht zugenommen. Ja, wir sind eben mündige Bürger in diesem Land. Alles muss behördlicherseits geregelt und verordnet sein. Aber die Kosten, die daraus erwachsen, die trägt natürlich nicht die Obrigkeit.
»Nun sind sie doch nicht so ungeduldig«, versuchte mich die Angestellte der Kanzlei, die Frau Rahn, zu besänftigen. Ich habe ihnen doch gesagt, in der frostfreien Zeit haben die Ämter mehr zu tun.«
»Ich bin froh, das wir die meiste Zeit im Jahr keinen Frost haben«, erklärte ich fröhlich um dann aber doch auf den Kern der Frage zurückzukommen: »Wann ist die Angelegenheit erledigt?«
»Das kann ich ihnen nicht sagen. Wir haben darauf keinerlei Einfluss. Inzwischen wird die Sache wohl beim Grundbuchamt sein und wie lange es da dauert … nun, das kann ich ihnen wirklich nicht sagen. Ich kann mich an einen Fall erinnern, der ging sehr schnell über die Bühne – wurde aber zurückgefordert, wegen irgendwelcher Fristen oder so ...«
Nun, ich bedankte mich und rief noch einmal bei meinem Katasteramt an. Die Nummer kannte ich inzwischen auswendig wie den Namen des Sachbearbeiters, der allerdings seinen Jahresurlaub absolvierte.
»Die Sache liegt beim Chef«, erklärte die Mitarbeiterin nach Prüfung des Aktenzeichens.
»Wieso beim Chef?«
»Weil der unterschreiben muss.«
»Und das dauert so lange?«
»Weiß ich, wann der Chef ihre Urkunde unterschreibt? Ich kann ihm da nicht reinreden. Ist immerhin der Chef.«
»Oh verstehe. Was denken sie, wann wird er sich dazu herablassen können?«
»Ich weiß aus früheren Angelegenheiten, dass er immer freitags unterschreibt. Er ist da sehr eigen. Jeder Antrag wird von ihm noch einmal aufs Genaueste geprüft, ob sich nicht noch ein Fehler eingeschlichen hat.«
»Das lobe ich mir, so eine korrekte Arbeitsauffassung«, stimmte ich zu und dachte, es würde meiner Gesprächspartnerin gefallen.
»Denken sie nur nicht, es wäre wegen der Antragsteller oder so. Es ist nur wegen uns. Personalkürzungen, verstehen sie?«
Ich verstand und stieg mit einem Fuß aus dem Fettnäpfchen.
Nun waren wieder zwei Monate ins Land gegangen und mein Geld hatte ich immer noch nicht.
Mit der Post kam eines Tages ein Brief, dass meine Angelegenheit vorgezogen wurde und sich nun beim Grundbuchamt befinden würde. Ich solle aber, um eine weitere Verzögerung zu vermeiden, auf jeden Fall von eventuellen Rückfragen absehen.
Ich gab mich geschlagen. Bloß keine Fragen stellen. Schon gar nicht, wenn etwas beschleunigt werden soll. Vielleicht bekomme ich das Geld, wenn ich ein gesetzteres Alter erreicht habe. Wer weiß???

Mir fiel wieder der japanische Meister ein, der mir sagte: »Geduld ist wie eine Pflanze mit bitteren Wurzeln aber mit süßen Früchten.«

 

 

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Michael Böhme).
Der Beitrag wurde von Michael Böhme auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 28.06.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

  Michael Böhme als Lieblingsautor markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Dicke Enden von Volker König



Einen Augenblick hatte die Welt ganz anders ausgesehen ... Tiefer, einfacher.
Ein Adventskalender mit 358 Türchen, ein Prost! in die Weiten des Alls oder ein Pfirsich, der nach dem Sinn des Lebens sucht.
Eine haarsträubende Sammlung aus Texten und Zeichnungen, der man gelassen entgegenblicken sollte.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (1)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Satire" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Michael Böhme

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Demokratie - alle Macht geht vom Volke aus von Michael Böhme (Satire)
Mein MASTERPLAN mit 65 Punkten * von Siegfried Fischer (Satire)
Der Engel meines Lebens von Elke Gudehus (Liebesgeschichten)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen