Irmgard Schöndorf Welch

Geschichten aus der Nacht 16 .... Die Milleniumsfeier

*

 


Die Millenniumsfeier

Silvesterparty 2005. Ort: ein Schlösschen am Fuß des Taunus. Stimmung: mäßig.
Da fängt man lieber an, über alte Zeiten zu reden:

"Jahreswechsel 2000, Millennium ... also wir sind am Times Square in New York gewesen", sagt Herr Müller lässig..
"Ja, toll ... mehr Trubel, mehr Feuerwerk als üblich, logisch - es ist eh schon immer zu viel - doch in DER Nacht ging es drunter und drüber, klar ... alles war ja irgendwie anders ... das Warten aufs Besondere ... aufs Grauen ... wisst ihr noch? Hofften oder fürchteten wir nicht alle tief in unseren schwarzen Seelen den ultimativen Untergang, den Zusammenbruch – zumindest des Computersystems weltweit - was fast dasselbe bedeutet hätte? Schön wäre es ja nicht geworden, aber interessant. Was da alles dranhängt! Flugzeuge wären vom Himmel gefallen und so weiter ...


Aber nix geschah, nix. Alles war eigentlich wie immer."


"Same procedure as every year, dear ..." schmunzelt eine Dame.
"Die Flugzeuge sind ja dann doch noch vom Himmel gestürzt. Nur mit etwas Verspätung", sagt jemand und verstummt schlagartig. Denn er löst mit seiner Bemerkung einen einsamen Lacher aus.

Das kommt von einem kahlgeschorenen Jüngling im gelben Anzug. "O sorry", sagt er, " war nicht bös gemeint ... aber lasst Euch mal von meiner Millenniumsfeier berichten. "Bei uns passierte wenigstens etwas ... nicht viel, aber immerhin ... Und vergesst nicht, die Geschichte ist WAHR ! Also Ohren spitzen!"

"Wir wollen sie gar nicht hören", singen Clara und Parisia, die Societygirls, im Chor!"

"Was ist denn das für ein komischer Vogel? Wer hat denn DEN eingeladen?" Frau Doritz, die Hausherrin, ist verduzt.

"Also hören sie zu: ... Ich verbrachte die Silvesternacht 2000 in einer prächtigen Berghütte bei St. Moritz in ausgesuchtester Gesellschaft. Wir waren ein kleiner, aber feiner Kreis von fünfzehn Leuten. Eine unvergessliche Nacht, nicht zuletzt, weil Verona, unsere ebenso schöne wie exzentrische Freundin, in ihrem Überschwang da fast ein wenig zu weit ging.

Genau eine Minute vor zwölf war es. Die Kirchenglocken unten in den verschneiten Dörfern hatten zu läuten begonnen, vielfarbige Raketen zischten aus den Tälern zu uns herauf und himmelwärts. Auch wir waren gerade dabei, draußen im Schnee unsere Böller und Feuerwerkskörper an den vorbereiteten Rampen in Stellung zu bringen, um sie Punkt Mitternacht zu zünden zur jubelnden Begrüßung des neu aufsteigenden Millenniums. Grandios würde es sein. Die Spannung stieg. Da geschah es:

Verona kam schreiend aus dem marmor-befliesten Badezimmer gerast, wo sie, wie sich später herausstellte, noch zu guter Letzt in der Wanne alle Beschwerlich– und Schmutzigkeiten des vergehenden Jahrtausends wohl auf symbolische Weise hatte abwaschen wollen. Nur ein Fransentuch um die Hüften geschlungen, eine breite, nasse Spur nach sich ziehend, so durchquerte sie die Räume. Nackt.
In Händen schwenkte sie ein Blatt Papier, von dem sie nachträglich gestand, dass es die Liste mit ihren nicht eingehaltenen guten Vorsätzen von neunzehnhundertneunundneunzig gewesen sei. Irre kichernd zerriss sie den Wisch in hundert Fetzen und streute sie hektisch über die Festtagstafel. Danach packte sie das Gefäß mit dem Flambieralkohol - er war eigentlich fürs nachmitternächtliche Schlemmermahl bereitgestellt worden - goss dessen Inhalt über das Tischtuch und setzte alles blitzschnell in Brand.

Da wir andere uns alle draußen an den aufgebauten Raketenrampen zu schaffen machten, war keiner von uns Zeuge des Vorgangs, nur der Butler Gaston Zeuge, welcher sich vergeblich mühte, Verona beizustehen. Es gelang ihm nicht, sie zum Einhalten zu überreden, wie er, nachträglich befragt, mit Bedauern zugeben musste.

Auf diese Weise entstand um Punkt Mitternacht unser sehr privates Sylvesterfeuerwerk, das wir alle mit bewundernden Ausrufen würdigten ... Feierlich und doch eilends hatten wir uns in einem nicht zu engen Halbkreis draußen um das lichterloh brennende Chalet versammelt.

Als die herbeigerufenen Löschfahrzeuge endlich ankamen, wälzte sich Verona, die Verursacherin dieses pfiffigen Happenings, noch immer unbekleidet, aber lustvoll stöhnend im Schnee und genoss in freudiger Erregung das Funkenstieben und den Anblick des in der Gluthitze malerisch herunterprasselnden Dach-Gestühls, sog den Duft der schmorenden Vertäfelung aus Zedernholz ein, jenem kostbaren Tropengewächs, das sich gerade in einem Feuerfanal buchstäblich in aromatischen Rauch auflöste.

Wie herrlich ist ein solches Flammenspektakel vor eisstarrender, frostklirrender Alpenkulisse! Was bedeuten dagegen der lauteste Knallkörper, die sprühendste Rakete. Sie sind Lächerlichkeiten, verglichen mit einem solch gewaltigen Schauspiel! Ja, es war eine erhebende Stunde, die wir ganz unvermittelt erleben durften. Denn nicht länger als eine Stunde dauerte das Geschehen.

Diesen aparten Auftakt des Milleniums wird keiner von uns so schnell vergessen. Am allerwenigsten die braven Feuerwehrleute. Sie konnten ihre Begeisterung kaum verhehlen. Erst recht nicht, da es schon bei ihrer Ankunft nichts mehr zu löschen gab und sie ihre Hände andächtig in den Schoß legen und von uns mit einem guten Tropfen versorgt, entspannt und staunend diesem grandiosen Happening beiwohnen durften.

Marcel, der Besitzer des Chalets, der sich auf einer Prominentenparty irgendwo drunten in St. Moritz tummelte, soll nicht wenig geschmunzelt haben, als ihm ein Freund noch in der gleichen Nacht bei einem Fläschchen Dom Perignon über diese unsere denkwürdige Millenniumsfeier berichtete.

"Haha", dröhnt Mister Miller, "und ... war die Hütte wenigstens gut versichert?"
"Die Police war eben abgelaufen ... das ist es ja gerade ... sonst hätte Marcel sich doch nicht so über die Sache amüsiert."

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Copyright Irmgard Schöndorf Welch, 25. Dezember 2002.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 29.06.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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