Manfred Bieschke-Behm

AUS MEINER BIOGRAPHIE: Das Kondom

 

Ich erwähnte bereist die beiden Nachtschränke, die die elterlichen Betten flankierten. Der Inhalt des Nachtschränkchens meiner Mutter war für mich wenig interessant. Die hier aufbewahrten Gegenstände wecken weder meinen Neugierde, noch fand ich Dinge, die sich lohnten näher untersucht zu werden.

Vaters Nachtisch dagegen übte auf mich einen größeren Reiz aus. Sicherlich lag es daran, dass ich irgendwann Kondomschachteln in ihm entdeckte. Zum Zeitpunkt meines Stöberns wusste ich schon in etwa wozu Kondome verwendet wurden. Aber dass mein Stiefvater „so was“ auch besaß fand ich aufregend und spannend.

Ich untersuchte die Packung genauer. Ich hatte zwar schon Kondome gesehen, aber das ich je die Gelegenheit haben würde ein Kondom in der elterlichen Wohnung zu entdecken ließ mich vor erstaunen und gleichzeitiger Aufregung die Luft anhalten. Jetzt wollte ich unbedingt wissen wie ein Kondom verpackt ist.  Ich öffnete sehr  vorsichtig die Packung, denn letztendlich durfte ich keine erkennbaren Spuren   hinterlassen. Das Kondom nahm ich vorsichtig aus der Packung und spürte ein  Unbehagen. Das „Ding“ in seiner jetzigen Form anzufassen war mir unangenehm. Während ich das Kondom zwischen zwei Fingern hielt, untersuchte die Verpackung auf eventuelle Abbildungen. Denn ich wollte  unbedingt wissen, oder besser noch sehen, wie ein Kondom funktionell angewendet wird. Leider wurde ich enttäuscht. Keinerlei Abbildungen, keine Gebrauchsanweisung die meine Fantasie beflügelt  hätte können. Gerne hätte ich das Kondom selbst an mir ausprobiert. Aber dazu    fehlte mir erstens Mut und zweitens die Erfahrung.  Nachdem ich es so einigermaßen hinbekommen hatte dass Kondom in seine „Verpackungslage“ zu drapieren,   platzierte ich die Schachtel zurück zum Fundort. Nichts durfte darauf hinweisen, dass ich mich mit einem so hoch sensiblen Gegenstand beschäftigt hatte. Meine  anhaltende Neugierde machte es erforderlich, dass ich hin und wieder den Nachtisch des Stiefvaters untersuchte. Ich wollte, ja ich musste unbedingt wissen, ob  immer noch eine oder mehrere Packungen „London Gefühlsecht“ in ihm lagen.
Für mich war klar, dass ich irgendwie und irgendwann mehr über die Philosophie eines Kondoms in Erfahrung bringen wollte. Meiner Schwester erzählte ich natürlich nichts von meiner Entdeckung. Sie war noch zu klein um begreifen zu können wofür Kondome, oder besser gesagt wogegen Kondome, gut sind.
Eines Tages, ich  war mit anderen Kindern zusammen auf der Straße, holte einer der Jungen ein Kondom aus seiner Hosentasche.  Nicht nur ich war erschrocken und gleichzeitig neugierig und verzückt. Was hat er vor? Was will er mit „dem Ding“ machen? Ich war aufgeregt. Woher hatte er das Kondom? Fand er es auch im Schlafzimmer seiner Eltern?
Nie habe ich die Herkunft erfahren. War letztendlich auch egal. Auf alle Fälle war das Kondom jetzt Mittelpunkt des allgemeinen Interesses. Nachdem das Kondom die Runde gemacht hatte, ein jeder es genauestens untersucht hatte, an  „ihm“ zog oder versuchte Luft hinein zu pusten, wurde beschlossen „es“ mit Wasser zu füllen. Mit großem Vergnügen wurde also das Kondom mit Wasser gefüllt. Mit jedem Liter  Wasser mehr veränderte sich die Form. Das Kondom hatte eine beachtliche Länge angenommen. Letztendlich wurde das obere Ende mit einem Knoten versehen. Das wassergefüllte Kondom, das jetzt einen länglichen Ballon mit einer nippelähnlichen Ausprägung am gegenüberliegenden Ende des Knotenverschlusses darstellte, wurde von Hand zu Hand gereicht. Jeder wollte die „Wasserbombe“ in seinen  Händen spüren. Auch ich nahm den Knotenverschluss in die Hand und ließ den Gummischutz auf- und abwippen. Die Elastizität war für uns unbeschreiblich genauso wie den Spaß den wir bei der „Zweckentfremdung“ verspürten. Manchmal ließen wir die „Wasserbombe“ auf die Erde fallen. Eigentlich erwarteten wir ein Platzen. Aber das Ergebnis war ein anderes: Das „Ungetüm“ wabberte wie eine Qualle auf dem Boden. Vorbeilaufende Passanten schüttelten die Köpfe oder gaben missbilligende Kommente. Aber alle Reaktionen schmälerte unser Vergnügen keinesfalls. Im Gegenteil, erst durch die Aufmerksamkeit der Vorbeilaufenden, steigerte sich unsere Freude ins unermessliche.
Jungen, die schon etwas älter waren als ich, wussten natürlich genauestens zu      berichten wozu das Kondom eigentlich vorgesehen ist. Sie prahlten sogar damit, es selbst schon zu  benutzten. Sie erzählten von Verhütung, was wohl bedeutete, keine Kinder zu machen. Sehr detailliert und anschaulich berichteten sie was alles   zwischen Mann und Frau „in gewissen Stunden“ passiert. Sie erzählten von Stellungen, Erregungen, Samenergüssen und Lustbefriedigung. Ich hörte sehr  interessiert zu und tat so, als ob das alles nichts Neues für mich ist. Dabei hatte ich Null-Ahnung und keinerlei Erfahrung. Nebenbei erfuhr ich, dass der Geschlechts-verkehr nicht ausschließlich zum „Kindermachen“ praktiziert wird, sondern vielmehr auch aus „Spaß an der Freude“.
Irgendwann, meine Schwester und ich lagen längst im Bett, drangen aus dem Wohn- Schlafzimmer meiner Eltern eigenartige Geräusche an mein Ohr. Zunächst nahm ich an, dass die Geräuschkulisse aus dem Fernseher kam. Aber dem war nicht so. Sehr schnell bekam ich mit, dass meine Eltern entweder „Kinder machten“ oder „Spaß an der Freude“ praktizierten. Ich fand das sehr aufregend zumal ich ja erst vor kurzem meine „Straßenaufklärung“ hatte. Auch meine Schwester wurde von den uns ungewohnten Geräuschen wach. Sie bekam es mit der Angst zu tun. „Hat Mutti Aua?“, fragte sie mich ängstlich. „Kann schon sein“, antwortete ich ungeschickt.
„Aber mach dir keine Sorgen, versuchte ich meine Schwester zu beruhigen, „morgen ist Mutti sicherlich wieder gesund“. Meine Schwester hatte ich, wir ich fand „weltmännisch“ beruhigen können, und  damit erreicht, dass sie gleich darauf wieder einschlief. Ich dagegen hielt mich wach, denn ich wollte unbedingt  das Ende von der Geräuschkulisse mitbekommen. Bevor ich einschlief nahm ich mir vor am nächsten Tag in Vaters Nachtisch nachzusehen ob eine Kondom-Schachtel fehlt. Wenn dem so ist, wusste ich das es nur „Spaß an der Freude“ war und kein „Kindermachen“. 

 

 

Als ich "Das Kondom" geschrieben habe, musste ich schon des Öfteren schmunzeln. Warum? Weil ich meine damalige Naivität und Neugierde nachspürte. Wie geht es wohl der heutigen Jugend im Umgang mit ähnlichen Situationen? Oder gibt es solche Situationen heute gar nicht mehr? Wie weit ist man doch seiner Zeit entrückt und wie wenig weiß man über das Jetzt und Heute. Manfred Bieschke-Behm, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 01.07.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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