Heinz Albers

Die wundersamen Hände des Mohamed T.

Heiß weht der Wind von der Wüste her. Wie von einem riesigen Fön angeblasen trocknet er alles Lebende und Tote aus.

Die Lippen sind spröde, die Zunge schwillt unter dem dürren Gaumen. Das Sprechen wirkt etwas ungeübt, mühsam nur kommen die Wörter. Räuspern.

„Durst“, sage ich zu Mohamed Taher, „Wasser“! Und krame gleichzeitig in meinem Gehirn  nach dem arabischen Ausdruck. „Maya! Maya!“

Mohamed Taher lächelt. Unter seinem Schnauzbart werden Zähne einer Perlenkette gleich sichtbar. Längst hat er erkannt, was los ist. Hat mich von Ferne schon im Staub des Weges gesehen. Er weiß zu schätzen, dass ich ihn in seiner Landessprache angesprochen habe und nimmt mich mit.

 

Unter einer Plastikplane befindet sich das Wohnzimmer. Ein paar Teppiche im Sand bilden das Mobiliar. Eine in Schwarz gehüllte rundliche Frau, eine der vielen Schwiegermütter des Taher, bringt mir in einem erstaunlich schmutzigen Glas heißen Tee. Ich sehe nur im Rahmen tiefer, dunkler Runzeln ihre braunen Augen.

 

Zunächst verbrenne ich mir am Glas die Finger, danach die Zunge. Trinken, auch wenn es danach einen Lippenherpes gibt! Aber der Tee, heiß geschlürft, tut gut, belebt den Geist und spült die Spuren der Wüste aus der Kehle.

 Was ist geschehen? Irgendwo auf halben Wege zwischen Gebel Musa und Dahab streikt der Minibus, will nicht mehr weiter, rollt auf der staubigen Straße aus, tuckert noch einmal vor sich hin und steht dann still wie ein störrischer Esel.

 

Der nächste Ort ist an die zwanzig Meilen entfernt, erst an der Küste, drüben am Golf von Aqaba.

Ramadan Osman, der Fahrer, hebt, nachdem er eine Weile den Motor angeschaut hat, hilflos die Schultern, spricht mit Mohamed Adel, setzt sich hinter das Lenkrad, schaut seelenruhig in die Ferne. Seine Gedanken sind rätselhaft und arabisch.

Mohamed Adel, unser Guide von Cairo Express Travel, sucht mit seinem Handy nach Feldstärke. Fehlanzeige. Kein Empfang.

Die Straße, inmitten der gelblichen Felsenwüste des Sinai, liegt wie ein schwarzes Band unter und vor uns und weist den kurvigen Weg in Richtung Horizont. Flimmernder Asphalt. Kein anderes Fahrzeug, kein Mensch weit und breit. Nur hinten weiter sind ein paar Kamele zu sehen, die einsam ihres Weges ziehen.

Nein, wir werden nicht laufen. Da waren Angelika und ich uns einig. Irgendwann wird ein anderes Gefährt kommen uns aufzulesen. Allerdings sollte dies bald geschehen, denn unsere Fähre nach Hurghada wird nicht auf uns warten.

Rund 45 Grad Celsius. Ganz weit entfernt werfen die rötlich schimmernden Felsen etwas Schatten auf den Wüstenboden. Und selbst dort ist es nicht kühler.

 Adel will irgendwie versuchen, gemeinsam mit  Osman den Bus wieder flott zu machen und schickt mich los:

 „Geradeaus“ (welch Scherz, als wenn es hier nur von Straßen so wimmele), sagt Mohamed Adel.

Nur drei, vier Kilometer seien es. Linker Hand an der Straße wohne sein Freund, der Beduine Mohamed Taher. Den solle ich aufsuchen, ihm sagen, was passiert sei. Taher spreche etwas Englisch, wohne dort mit zwei seiner drei Frauen. Ich solle mit ihm zurückkommen, denn der Beduine sei ein guter Mechaniker.

Als ich mich in den Staub begebe, ruft Adel mir noch nach: „Wasser heißt Maya“!

 

Der Weg zieht sich dahin, es ist glühend. Rundherum bis zum Horizont nur Sand, Geröll und gebirgehohes Gestein. Die Sonne kriecht nur langsam in Richtung Bergkette auf der rechten Seite. Keine Aussicht auf Schatten. Eine halbe Stunde ist vorbei. Nicht eine Spur von Taher und seinem Miniharem. Durst. Die Straße steigt an, die Schritte werden kürzer. Etwas Wasser und eine Kopfbedeckung hätte ich mitnehmen sollen. Kein Geräusch, nur meine Tritte sind zu hören und mein schwerer Atem. Ein kühles Bier? Biene Maja geht mir durch den Kopf. Durch die Nase atmen. Die Sonne brennt auf der Haut. Flimmernde Hitze steigt in den Jeansbeinen hoch. Brennt meine Hose? Kein Speichel im Mund. An der gegenüberliegenden Straßenseite verrottet der Kadaver eines Kamels.

Eine weitere halbe Stunde später sehe ich es schon von Ferne her: einige Zeltplanen, dahinter ein graues Steingebäude, alles nur wenige Meter vom Straßenrand entfernt. Meine Schritte werden schneller. Ein Mann winkt mir zu. Neugierig schauen kleine Kinder mit Schnupfennasen zu mir hoch.

 

„Es salama aaleikum“, ruft der Beduine mir zu. „Aleikum es salama“, krächze ich. Damit ist mein Wortschatz an Arabischem schon nahezu ausgebeutet.

Kurz berichte ich ihm von unserer Panne und der unbekannten Diagnose, schlürfe den Tee und verscheuche matt die unzähligen Fliegen.

Taher tut wissend; gibt mir zu verstehen, ich solle mitkommen. Wir gehen an seinem Steinbau vorbei in Richtung Felsen. Dahinter zu meinem Erstaunen im Boden einige dürre Grashalme, ein paar Zelte und Kamele und unter einem Wellblechdach ein kleiner Pritschenwagen. Ein junger Mann hält mir die Tür auf; er redet unverständlich auf mich ein. Danach lädt er einen Benzinkanister auf die Ladefläche.

Der Beduine und ich steigen ein. Zerfetzte Sitze, Sprungfedern, Rost und mehliger Staub. Es riecht nach Sprit. Die Armaturen sind ausgebaut. Taher startet den alten Wagen. Vorsichtig quält er das Getriebe, und die Reifen fassen Halt. Bewegung kommt in das Gefährt. Langsam schaukelt sich der Transporter krachend und schwarzen Qualm hinter sich lassend über Stein und Sand, am Wohnzimmer vorbei und auf die Straße. Die Kinder lärmen neben uns her und wollen offensichtlich mit. Arabisch werden sie abgewiesen.

 

Die Fahrt zu unserem havarierten Minibus ist kurz. Warum braucht man zu Fuß mit einem Wohlstandsbauch so entsetzlich lange?

Ein freundliches Palaver bei unserer Ankunft. Überall lachende Gesichter. Zigaretten werden geraucht, eine Wasserflasche macht die Runde. Aus dem Kanister wird Diesel in den Tank geschüttet.

Mohamed Taher schaut mit ernster Miene prüfend den Motor an, schraubt hier, dreht dort, murmelt wie ein Wunderheiler Beschwörungsformeln.

Er ruft Osman etwas zu. Der gibt sorgsam Gas und der Motor nuckelt und hustet. Stille.

Taher wiederholt seine Riten, schraubt, murmelt, dreht.

Der Motor läuft! Er läuft!

 

Taher fährt mit seinem Wagen rußend und knatternd davon.

 

Zu Adel gewandt sage ich voller Hochachtung: „Ein toller Mechaniker“!

Adel pflichtet bei und sagt zu mir, dass er mit Taher telefoniert hatte.

Wie das, wo er doch gar keinen Empfang hatte? Telepathie statt Telefonie?

Angelika meldet sich zu Wort und erläutert. Kurz nachdem ich gegangen war habe sie Adel ihr Handy gegeben. Damit sei eine Verbindung zu Taher zustande gekommen. „Übrigens,  der Tank war leer“.

Der Beduine wusste also bereits alles, bevor ich bei ihm war? Warum hat man mich den harten Weg machen lassen? Dieses ganze Geschraube und Gemurmel am Motor, alles nur Show?

„Jawohl“, sagt der lächelnde Guide. „So hast du zu Hause etwas zu erzählen“.

 


 
 
©Heinz Albers, 22.12.2004

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 04.07.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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